Bedrohung für jeden Nationalismus: Kriegsdienstverweigerung

Denkmal des unbekannten Deserteurs in Stuttgart. Foto: Kamahele / CC-BY-SA-3.0-DE

Der Umgang mit Verweigerern zeigt: Neben dem russischen ist auch der ukrainische Nationalismus ein Problem für eine Friedenslösung. Dennoch wird er weiter auch von Liberalen unterstützt.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron trifft sich mit Wladimir Putin – und der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat zumindest mit dem russischen Präsidenten telefoniert. Sollten das erste Anfänge eines Auswegs aus der Eskalationsspirale sein? Schon warnen die engsten Freunde des ukrainischen Nationalismus, man dürfte der Kiewer Regierung auf keinen Fall Verhandlungen aufdrängen.

So meldete sich im Deutschlandfunk der Politwissenschaftler an der Universität der Bundeswehr in München, Carlo Masala zu Wort. Er erklärte, Verhandlungen könne es erst geben, wenn die Ukraine sämtliche Gebiete, womit er auch die Krim meinte, zurückerobert habe.

Solche Töne stoßen bei Pazifisten berechtigterweise auf Kritik. Deren Positionen könnte man am Mittwochabend in Berlin hören. Ein Plakat mit einem zerbrochenen Gewehr vor dem Haus der Demokratie und Menschenrechte in Berlin wies den Interessierten den Weg zu der Solidaritätsveranstaltung mit den Menschen, die verfolgt werden, weil sie sich weigern, eine Waffe in die Hand zu nehmen und in einen Krieg zu ziehen.

Der 1. Dezember ist der wenig bekannte Internationale Tag der Gefangenen für den Frieden, wie die verfolgten Militärdienstverweigerer genannt werden. Hauptreferent auf der Veranstaltung war Franz Nadler. Der langjährige Antikriegsaktivist ist Vorsitzender von Connection e. V.. Nadler hat den Verein vor fast 30 Jahren in Offenbach mit dem Ziel gegründet, Kriegsdienst- und Militärverweigerer auf allen Seiten zu unterstützen.

In seinem Referat zeigte Nadler auf, dass sich die Situation der Militär- und Kriegsdienstverweigerer in Russland und der Ukraine gar nicht so sehr unterscheidet: Das Recht auf Kriegsdienstverweigerung sei in beiden Ländern in der Verfassung verankert, in der Praxis werde es aber nicht umgesetzt.

Repression gegen Pazifisten in Russland und der Ukraine

In der Ukraine sei zudem das Recht auf Militär- und Kriegsdienstverweigerung schon vor dem russischen Einmarsch auf bestimmte religiöse Gemeinschaften begrenzt gewesen. Anschaulich zitiert Nadler auch aus Berichten über zunehmende Zwangsrekrutierungen in der Ukraine. Im ganzen Land gäbe es Checkpoints, um wehrpflichtige Männer aufzuspüren, die sich dem Kriegsdienst verweigern wollen. Auch Hotels in Grenznähe würden häufig nach Militärflüchtlingen durchsucht.

Erst in jüngster Vergangenheit sei auch ein Angehöriger einer eigentlich von der Wehrpflicht befreiten religiösen Gemeinschaft zu einer dreijährigen Haftstrafe verurteilt worden, weil er keine Waffe in die Hand nehmen will. In einem anderen Fall floh ein Mann aus den russisch besetzten ukrainischen Ostgebieten, um nicht eingezogen zu werden, in den unbesetzten Teil der Ukraine. Auch dort weigerte er sich, eine Waffe in die Hand zu nehmen und wurde zu einer vierjährigen Haftstrafe verurteilt.

Beide Gefangene für den Frieden werden von Verein Connection unterstützt. Der Verein ist auch solidarisch mit dem ukrainischen Pazifisten Ruslan Kotsaba der wegen seiner pazifistischen Haltung gegen jeden Krieg in der Ukraine kriminalisiert wurde und mittlerweile wie fast alle Gründungsmitglieder der kleinen ukrainischen pazifistischen Bewegung im Ausland lebt.

Deserteure und Militärverweigerer als Bedrohung für jeden Nationalismus

In Russland würden verstärkt ethnische Minderheiten aus wirtschaftlich schwachen Regionen Asiens als Kanonenfutter im Krieg verheizt, so Nadler. Sein Verein hat Kontakt zu einem Exilverein vor Burjaten, die in der Nähe des Baikalsee leben. Eine größere Gruppe dieser Ethnie hätte sich nach der Rekrutierung an sie gewandt und um Unterstützung gebeten, weil sie nicht in einem Krieg sterben wollen, mit dem sie nichts zu tun haben.

Auch in anderen fernöstlichen Regionen Russlands sei die Stimmung gegen den Krieg und die Zwangsrekrutierungen gewachsen. Aber auch Menschen, die den Krieg der Ukraine unterstützen, seien oft nicht bereit, an die Front zu gehen. Hierin sieht Nadler auch eine große Chance. Schließlich könne kein Krieg geführt werden, wenn viele Menschen nicht mitmachen.

Daher fordert Connection auch gemeinsam mit anderen pazifistischen Organisationen die uneingeschränkte Einreisemöglichkeit für Kriegs- und Militärverweigerer aus Russland, Belarus und der Ukraine nach Deutschland.

Ein gleichlautender Antrag der Linksfraktion sei von allen anderen Parteien, auch den Grünen, abgelehnt worden, moniert Nadler. Auch die ukrainische Regierung ist über russische Deserteure und Militärdienstverweigerer gar nicht erfreut. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat die EU-Länder aufgefordert, keine russischen Deserteure aufzunehmen.

Das zeigt eben sehr deutlich die Logik des Nationalismus. Da ist jeder Deserteur und Militärverweigerer eine Bedrohung, weil diese Bewegung ja auch Nachahmer finden könnte – und dann gäbe es nirgends mehr Kanonenfutter für den Krieg. Was für Pazifisten in aller Welt eine Hoffnung ist, sehen Nationalisten aller Couleur als Gefahr. Denn sie wollen, wie es Nadler ausdrückte, keinen Krieg gewinnen, sondern alles tun, um ihn sofort beenden.

Büchervernichtung in der Ukraine

Ein Kennzeichen des Nationalismus besteht auch darin, dass man einen Kulturkampf gegen den angeblichen Feind führt. Dazu gehört die großangelegte Entsorgung von Büchern russischer Autorinnen und Autoren in der Ukraine. Betroffen sind Klassiker der russischen Literatur wie Tolstoi und Puschkin sowie bekannte russisch-ukrainische Antifaschisten, aber auch Comics.

Fast überwiegend sind Autoren betroffen, die überhaupt nichts mit dem gegenwärtigen Konflikt zu tun haben. "Die Altpapiersammlung russischer Bücher hat zwei Ziele: unseren Kopf freizubekommen von diesen russischen Narrativen und die Armee zu unterstützen", wird eine der Organisatorinnen der Aktion in der taz zitiert.

Kulturkampf in der Disko

Auch die Disko bleibt von dem antirussischen Kulturkampf nicht verschont, wie der ukrainische Autor Alekander Babakow berichtet.

Das Einzige, was ich nicht verstehe, war, warum sie noch immer zu russischen Liedern tanzten. Als ob es keine ukrainischen Künstler:innen gäbe, keine gute ukrainische Musik. so tief in uns verwurzelt, dass wir es gar nicht mehr bemerken. Klar, wir sind daran gewöhnt, diese bekannten russischsprachigen Künstler:innen zu hören, die gerade in sind. Gewohnheiten sind schwer zu durchbrechen, aber Gewohnheiten machen uns auch kaputt.


Alexander Babakow aus Kiew

Die Auswirkungen des Nationalismus werden hier sehr deutlich bekannt. Bis in alle Alltagsbereiche soll die russische Sprache in einem Land ausgemerzt werden, in dem die weit überwiegende Mehrheit bisher nur Russisch gesprochen haben.

Kulturkampf in der Kirche

Auch die Razzien an verschiedenen Standorten der russisch-orthodoxen Kirchen in der Ukraine sind Teil dieses Kulturkampfs. Nun sind diese Kirchen bestimmt kein Hort der Emanzipation. Aber sie stehen traditionell dem prorussischen Teil des ukrainischen Nationalismus nahe.

Mit dem keineswegs bürgerlich-demokratisch erfolgten Machtantritt des pro-ukrainischen Nationalismus geraten Ideologieapparate wie Kirchen, die dem nicht folgen, ins Visier der Repressionsorgane.

Das ist der Hintergrund für die Razzien gegen die Kirche, in der der Machtkampf schon seit Jahren läuft. Für die gegenwärtigen Machthaber ist diese Auseinandersetzung gefährlich. Denn hier wird deutlich, dass sie ein Teil der ukrainischen Bevölkerung eben keinesfalls der Linie des prodeutschen und prowestlichen Nationalismus folgt. Nach den Maidan-Ereignissen wurden sämtliche Parteien und Organisationen kriminalisiert, die nicht auf dessen Linie sind. Nun soll auch die Orthodoxe Kirche auf Linie gebracht werden.

Das ist das Kennzeichen eines besonders aggressiven Nationalismus, der aber vom globalen Westen immer noch unkritisch verteidigt wird. Dabei hat der schon erwähnte Carlo Masala im Deutschlandfunk-Interview einen wichtigen Punkt angesprochen: Sollte Selenskyj einem Abkommen zum Ende des Krieges mit Russland zustimmen, das nicht alle von Russland beanspruchten Gebiete zurück in die Ukraine bringt, wäre er nicht mehr länger Präsident, so Masala.

Das hindert ihn und viele andere aber nicht, diesen aggressiven ukrainischen Nationalismus nicht etwa zu dämpfen, sondern noch zu fördern. Das wird auch in der Sprache deutlich, die fast täglich in der linksliberalen taz zu lesen ist.

Die dortigen Berichterstatter zum Ukraine-Krieg sprechen dann offen von Russland als "einen Virus, der besiegt werden muss". Eigentlich hätte man in einer der dem woken Kapitalismus verpflichteten Zeitung mehr Sprachsensibilität erwartet.

Aber es gab ja auch in einer Sonderbeilage der taz mit jungen Journalistinnen und Journalisten aus Osteuropa keine einzige pazifistische Stimme. Es wird komplett ignoriert, dass fast alle bekannten Pazifisten aus Angst vor Strafverfolgung das Land verlassen mussten. Auch das ist das Kennzeichen des aggressiven Nationalismus.

Noch Chancen auf Frieden?

Trotzdem gibt es hierzulande noch immer wenig Kritik am ukrainischen Nationalismus – und auch den meisten Grünen fällt nur noch mehr Aufrüstung ein. Dagegen wendet sich ein Appell für weltweite Abrüstung, der von der Gruppierung "Unabhängige Grüne Linke bei Bündnis 90/Die Grünen" verbreitet und von Aktivisten verschiedener Friedensgruppen initiiert wurde, aber den Ukraine-Russland-Konflikt bewusst ausspart, weil eine Positionierung hier zur Spaltung beitragen könnte.

Die Kernsätze des Aufrufs lauten:

Frieden entsteht nicht durch mehr Krieg! Kriege enden nicht im Frieden! Nur eine Politik, die ehrlich alle Gefahrenpotentiale zeitnah angeht, kann die Zukunftsgefährdungen abwenden.

Wir erwarten von der Bundesregierung, dass sie sich hier eindeutig positioniert und konsequent im Rahmen internationaler Absprachen handelt!


Aus: Appell für den Frieden

Gute Worte, doch man hätte auch einen Satz zur Ukraine in diesem Aufruf erwarten können.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.