Beim Anwaltsnotdienst auf dem G 7 Gipfel

Seite 2: Genehmigt wurde nur ein genau geregelter "Wanderkessel" als Demonstration

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Bevor ich nun zum Bahnhof ging, sollte ich mir noch ein neonrotes Trägerhemdchen greifen. Vermutlich waren es Hemden für Rentner. Die Größe war mit "Senior" angegeben. Ich streifte es über und sehe aus, wie Presswurst mit Hut oder Bernd das Brot. Inhalt: "legal team". Wie wir erfahren, hatte man "legal team" als Aufschrift gewählt, weil "Anwaltsnotdienst" zu lang gewesen wäre. Außerdem handelte es sich um einen internationalen "Einsatz" wie in Heiligendamm, wo sich diese "Marke" bewährt hatte. Wir wurden noch informiert, dass ein Fahrdienst bereitstand, der die Rechtsanwälte des Notdienstes fahren würde. Mitglieder der Motorradgruppe "Kuhle Wampe" würden uns auf ihren Motorrädern zu den Einsatzorten fahren und wieder abholen.

Ich ging zu Fuß. Auf dem Weg zum Bahnhof wusste man nicht, ob man nicht bereits auf der Demo war. Ganze Divisionen von Bereitschaftspolizisten, Rot-Kreuzlern und Feuerwehrfahrzeugen säumten die Wege zum Bahnhof. Alle Gullideckel waren mit weißen Kunststoffsiegeln verschweißt. Die Revisionsdeckel an den Ampeln trugen die Siegelmarken einer Einsatzhundertschaft aus München. Der rechtliche Hinweis auf den Siegeln informierte über die Konsequenzen, wenn man den Papierstreifen verletzte.

An strategisch wichtigen Stellen stehen, als elektronischer Ausguck, Polizeiwagen, die Kameras an langen hydraulischen Teleskopsäulen, aus dem Fahrzeugdach, mehrere Meter in die Höhe schieben können, im Polizeijargon Giraffen genannt. Am Bahnhof angekommen bietet sich mir ein buntes Bild. Unterschiedliche Gruppen haben ihre Transparente ausgebreitet. Da sind Naturschützer, Linke, Gewerkschafter, Ökos und zahlreiche andere kleine und große Gruppen mit verschiedenen Anliegen. Die weitaus größte Gruppe trägt grüne oder schwarze Overalls und ist mit Helmen, Pistolen, Schlagstöcken und Pfefferspray ausgerüstet.

Ich fühle mich wie Rip van Winkle, der nach zwanzigjährigem Schlaf in einem neuen Staatssystem aufwacht. Meine Demonstrationskenntnisse beschränkten sich auf die Lehrfälle aus dem Studium vor über dreißig Jahren. Der "Bannmeilenfall" und der "Hamburger Kessel" fallen mir ein. Das Versammlungs- und Demonstrationsrecht sollte das schlechthin konstituierende Recht einer Demokratie sein. Meine aktiven Demonstrationserfahrungen habe ich bei den letzten beiden Rechtsanwaltskundgebungen gegen Datenvorratsspeicherung und Bespitzelung durch die NSA gesammelt. Da wir dort, trotz eines Potentials von 165.000 Anwälten, nur eine Handvoll waren, traute man uns vermutlich nicht zu, etwas verändern zu wollen. Polizeipräsens war mir nicht aufgefallen. So hatte ich mir eine Demonstration vorgestellt. Hier aber war alles anders.

Der Staat - so schien es - genehmigte, aufgrund der Entscheidungen des Verwaltungsgerichts, eine Demonstration - ausnahmsweise. Der Ort war genau definiert. Die Bereitschaftspolizisten beschrieben mit ihren uniformierten Körpern einen rechteckigen Raum. Zweier- und Dreierreihen von Polizisten bewegten sich entlang der Demonstrationsstrecke. Den vorderen und hinteren Teil des Demonstrationsrahmens bildeten Hunderte von Beamten. In den Seitenstraßen, auf Tankstellen und Einfahrten warteten ebenfalls unzählige Bereitschaftspolizisten. Auf den Mauern standen Dokumentationsteams mit Foto- und Videokameras.

Die Regeln innerhalb dieses "Wanderkessels" sind streng. So ist zum Beispiel der Durchmesser der Stangen, die die Transparente halten, limitiert. Seitentransparente dürfen nicht verknotet sein und, es ist ein Abstand von drei Metern zwischen den Transparenten einzuhalten. Kleidungsstücke, die als Schutz vor Pfefferspray dienen könnten, werden als passive Bewaffnung angesehen.

Kollegen berichten mir, dass es mittlerweile eine Demonstrationskasuistik gibt, die die Bedingungen einer Demonstration beschreiben. Die Polizei definiert nicht nur den genauen Ort der Demonstration, sondern auch noch ihre Bedingungen. Wie ich später erfahren sollte, wird der Ungehorsam gegen diese Polizeiregeln sofort, an Ort und Stelle, bestraft. Jeder Widerstand sowie Körperteile (falls nötig) werden umgehend gebrochen.

Erinnert man sich an die beißenden Kommentare der westdeutschen Fernsehkommentatoren wegen des Polizeiaufgebots anlässlich der Besuche von Willi Brandt und Helmut Schmidt in der DDR, fragt man sich zwangsläufig: Wie ist das hier zu kommentieren? Gegen dieses Polizeiaufgebot war der DDR-Polizeiapparat das "Fähnlein Fieselschweif".

Der Demonstrationszug setzt sich in Gang. Vorneweg ein Führungsfahrzeug mit Lautsprechern. Auf der Ladefläche stehen Leute. Ein Mann mit Mikrofon ruft Parolen. Die Polizeireihen bewegen sich auf den Gehsteigen. Es ist nur Platz für die Polizei. Alle, die auf dem Trottoir stehen oder gehen, werden in den Kessel gedrängt. Hier gibt es nur Polizisten oder Störer. Zuschauen nur von den Fenstern und Balkonen der angrenzenden Häuser.

Ich laufe zwischen der Polizei und einer Gruppe, die sich in ein Seitentransparent gehüllt hat. Die jungen Demonstranten lassen die Internationale hochleben, versichern sich auf Italienisch, dass sie Antikapitalisten und Antifaschisten seien und meinen, wir hätten mit Daimler, Siemens und der Deutschen Bank schon den Feind im eignen Land. Vor mir läuft ein Zweimannteam Sanitäter. Die Aufschrift auf ihrem Erste-Hilfe-Rucksack weist sie als "Demonstrationssanitäter" aus. Von ihnen hatte ich schon einige entlang des Zuges gesehen.

Zwei Bundeswehrsoldaten in Uniform fotografieren die Demonstranten. In Rufweite sehe ich vor mir und am anderen Ufer der Demonstration einige Freiwillige des Anwaltsnotdienstes in ihren neonfarbenen Leibchen. Das Gros ist wohl an der Spitze. Wir halten. Vom Lautsprecherwagen aus wird ein Theaterstück aufgeführt.

Es ist heiß. Den Polizisten in ihren schweren Rüstungen, Riot Gear genannt, läuft der Schweiß herunter. Sie sehen müde aus. Gierig saugen sie das Wasser aus den Plastikflaschen, die ihnen Kollegen reichen. Die jungen Polizistinnen wirken in ihren Kampfanzügen fehl am Platz. Ich denke noch bei mir: "Wer hat Barbie bloß in die Actionklamotten von Ken gesteckt?"