Beim Anwaltsnotdienst auf dem G 7 Gipfel

Seite 5: Es war "ekelhaft" friedlich

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Vermutlich würde gleich Julie Andrews in der Rolle der Maria Trapp singend durch die Wiesen hüpfen und alle werden sich dann walzertanzend in die Arme fallen. Aus Richtung Garmisch konnte man jetzt aber schon von weitem eine Dreiergruppe von Fußgängern ausmachen, die von zwei berittenen Polizisten begleitet wurde. Nach einiger Zeit übergaben die Reiter "ihre Beute" an die Bundespolizei, die den Ortseingang sicherte. Die zuständigen Landespolizisten übernahmen das "Paket" und lieferten es, nach entsprechender Kontrolle, am Bahnhofsplatz ab. Später sollten die Drei ihren Rückweg in Begleitung von vier Bereitschaftspolizisten antreten, die die Gruppe bis in den nächsten Ort begleiten musste.

Stunden vergingen. Gegen 11 Uhr konnte man die Fahrraddemonstration ausmachen. Man sah zuerst die zahlreichen Begleitfahrzeuge der Polizei (vier Mannschaftswagen, zwei Kleinbusse und vier "Weiße Mäuse"). Im Bereich der Abstellfläche wurde der Tross gestoppt. Ungefähr 35 Fahrraddemonstranten standen vor einer Wand von Bereitschaftspolizisten. Die Demonstranten, Model "Ökotourist", waren von der Anfahrt, die stetig bergauf ging, geschafft. Einige Damen wollten sich im angrenzenden Wald, der jenseits der Wiesen lag, erleichtern. Die Beamten witterten einen Ausfall und eilten fast panisch hinterher. Die Radlerinnen entluden sich und schlossen sich - unter Polizeibegleitung - wieder der übrigen Gruppe an.

Zwischenzeitlich waren auch die Kommunikationsteams zum Einsatzort geeilt und betreuten die Demonstranten. Wegen der großen Zahl der Kommunikationsprofis konnte vermutlich jeder Demonstrant einmal sein Anliegen bei der Polizei loswerden. So konnten keine Spannungen aufkommen. Es kam aber dann Unmut auf, als die Polizei verlangte, dass die Demonstranten ihre Fahrräder auf dem "Fahrradparkplatz" stehenlassen sollten.

Der Demonstrationsleiter, ein gemütlicher älterer Herr, der mich unweigerlich an Heinz Erhardt erinnerte, war aber ein Wolf im Schafspelz. Ohne sich von dem Polizeiaufgebot beeindrucken zu lassen, hielt er der Aufforderung des zuständigen Hundertschaftsführers stand. Der Polizist in seinem schwarzen Overall schien sich die Zähne an dem sanftmütigen Herrn auszubeißen. Die Argumentation, es wäre kein Platz am Demonstrationsort mehr für die Fahrräder, wenn die übrigen fünfhundert Demonstranten kämen, wirkte, angesichts der Tatsache, dass die einzige Zufahrtsstraße seit Stunden gesperrt war und diese Demonstration vor Stunden hätte beginnen sollen, blamabel. Ich hätte nie geglaubt, dass ich mich einmal für die Polizei fremdschämen würde.

Schließlich siegte die Beharrlichkeit der Demonstranten. Auf dem Bahnhofsplatz vereinten sich die beiden Demonstrationszüge und man langweilte sich noch einige Zeit gemeinsam. Da für uns nichts mehr zutun sein wird, entschloss sich der Kollege Sch. unser Faltrad zu nutzen und nach Garmisch zu rollen. Von einer Kollegin des Anwaltsnotdienstes, die die Fahrraddemonstration begleitet hatte, hörte ich, dass der Weg zeitweise durch eine Sitzblockade versperrt war. Zehn Sitzdemonstranten hatten sich auf den Wirtschaftsweg gesetzt. Es gab längere Diskussionen. Nach einer Stunde habe sich die Polizei an die Räumung gemacht. Von den Zehn haben sich fünf entschieden, freiwillig zu gehen, unter anderem, weil am Montag eine Kunstklausur anstand. Die Übrigen haben sich wegtragen und in Gewahrsam nehmen lassen.

Die Kollegin berichtete, dass sie ursprünglich zu zweit waren. Die "Aufgeber" hatten aber um Begleitung durch den Kollegen gebeten, weil sie eine nachträgliche Verhaftung befürchteten. Der Kollege war, wie er mir später erzählte, über den vorzeitigen Rückweg nicht traurig und begleitete die "Rückkehrer" ohne Vorkommnisse nach Garmisch zurück.

Die B2 war immer noch gesperrt. Es war immer noch heiß und schwül und alle schwitzten. Die Journalisten maulten. Nicht einmal diese konnten jetzt durch den Bahnhof und über die Schienen zu ihren Autos gehen. Alle warteten auf den Tross des US-Präsidenten. Ein langer Konvoi von Fahrzeugen unterschiedlichster Art jagte irgendwann in Richtung des Schlosses. Dabei auch die Limousine Obamas. Er selbst war geflogen.

Zum Schluss wurden die Leute in der "Pfanne" von der Bundespolizei an die Landespolizei jenseits der Straße übergeben, die die Betroffenen zu ihren Autos oder zum Gasthof bringt. Die Radfahrer fuhren später - unter Polizeibegleitung - auf dem Wirtschaftsweg zurück nach Garmisch. Gegen Mittag war ich wieder in der Bayernhalle. Die "Auftragslage" war bescheiden. Der Kollege Sch., der einen Ausflug auf die Zugspitze gemacht hatte, berichtete abends, dass auch die Bergspitze von der Polizei bewacht wird.

Ich entschloss mich, den Demonstrationszug im Ort zu begleiten. Die Demonstration war an der Loisach zum Stehen gekommen. Es war sowieso nur noch ein harter Kern zur Demo gekommen. Offensichtlich alles Demoprofis. Um sich hielten sie ihre Seitentransparente. Es waren wenige hundert. Die Polizei war vollzählig erschienen und übertraf die Anzahl der Demonstranten auch diesmal um ein Vielfaches.

Im Gegensatz zur Demonstration am Tag zuvor wurden hier die Kommunikationsteams der Polizei eingesetzt. Aus einem Lautsprecher erklangen die Erklärungen der Polizei, warum der Zug nicht fortfahren konnte. Der Grund waren die verknoteten Transparente. Es gab offensichtlich einen Dialog zwischen Polizei und Demonstranten, der den weiteren Verlauf gewaltfrei gestalten sollte. Der Anwaltsnotdienst war vielköpfig vertreten. Ich wurde nicht gebraucht.

Am Abend fand wieder eine "Manöverkritik" statt. Im Wesentlichen hatte es keine nennenswerten Einsätze gegeben. Wegen der Aufhebung des Schengenabkommens war der Polizei bei einer Grenzkontrolle ein peruanischer Schleuser ins Netz gegangen. Dieser und ein lokaler Radl-Dieb profitierten vom Anwaltsnotdienst.

Interessant war für mich zu erfahren, dass, soweit es das Demonstrationsrecht betrifft, die G7-Gipfel-Bedingungen noch hinter denen der Türkei zurückfallen. Das Bundesverfassungsgericht hielt es für notwendig, dass den Demonstranten die Möglichkeit gegeben wird, in Hör- und Sichtweite der Politik ihre Meinung äußern zu können. Aus Sicherheitsgründen war dies verweigert worden. Wie in der Türkei bot man den Demonstranten an, eine Delegation von fünfzig Teilnehmern zum Schloss entsenden zu dürfen. Voraussetzung: Die Demonstranten hätten sich - vermutlich nach vorhergehender Kontrolle - mit Polizeifahrzeugen zum Schloss fahren lassen müssen. Die Demonstranten lehnten diese Variante ab. Wir erfuhren bei dieser Besprechung noch von den verletzten Demonstranten vom Tag zuvor. Ergebnis: "Außer Spesen nichts gewesen." Auch für diese Nacht boten wir uns wieder für die Rufbereitschaft an.