Beim Anwaltsnotdienst auf dem G 7 Gipfel

Seite 3: Diskussionen waren nicht vorgesehen. Es galt "zero tolerance"

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Plötzlich, Tumult am Lautsprecherwagen. Eine weiße Wolke steigt auf. Der Befehl ertönt: "Helm aufsetzen", dann die Anweisung: "Visier runter". Jetzt wird es martialisch. In der ersten Reihe warten Bereitschaftspolizisten aus NRW auf ihren Einsatz. Sie tragen grüne Overalls. Dahinter die schwarzen Kampfanzüge der bayrischen Polizei. Vorn sehe ich Leichtzelte oder Strandmuscheln durch die Luft fliegen. Der Lautsprechermann beschreibt das Geschehen. Er fordert die Demonstranten auf, sich zu setzen. Ein Teil folgt der Aufforderung. Es entbrennen dogmatische Diskussionen zwischen den "Stehern" und den "Sitzern". Die "Sitzer" müssen sich für ihr Sitzen rechtfertigen.

Ich bin zu weit weg, um die Auseinandersetzung am Kopf der Demo beurteilen zu können. Später habe ich von Kollegen gehört und auf YouTube gesehen, was passiert war. Die Spitze der Demonstranten hat sich wenige Schritte mit Styroporplatten, die als Requisiten zu dem Theaterstück gehörten, auf die Polizeiwand zubewegt. Die Polizisten nutzten diese Chance und versprühten ihr Pfefferspray wahllos in die Menge der Demonstranten und - teilweise - der eigenen Kollegen. Da die Transparente, entgegen der Vorgaben, verknotet waren, versuchten Bereitschaftspolizisten, diese den Demonstranten zu entreißen. Ein Demonstrant entlud einen Feuerlöscher. Widerstand wurde mit sofortigem Schlagstockeinsatz bestraft.

Bei der abendlichen Besprechung des "Legal Teams" wurde berichtet, dass es zu Arm- und Beinbrüchen durch den Polizeieinsatz gekommen sein soll. Der Lautsprechermann bittet, dass sich das "Legal Team" vor die Demonstranten stellt. Das Transparent neben mir hebt sich. Die Demonstranten bilden eine Gasse und schleusen mich nach vorn. In die Gegenrichtung kommen junge Frauen, die offensichtlich Kontakt mit Pfefferspray hatten. Demosanitäter mit Helm und Gasmaske waschen Augen aus. Vom Lautsprecherwagen werden Wasserflaschen gereicht, damit sich die Verletzten ihre Augen ausspülen können.

Durch die Reihen der Polizei geht das Gerücht, brennbare Flüssigkeiten werden verteilt. Die Situation ist angespannt. Die Mitglieder des Anwaltsnotdienstes bilden einen neonroten Film zwischen Polizei und Demonstrationszug. Eine Frau, vermutlich die Demonstrationsleiterin, spricht mit dem Einsatzleiter der Polizei. Ein Mann in Zivil, Outdoorkleidung, der Bart zu zwei Strängen geflochten, hager und das Ebenbild von Jethro Tulls Ian Anderson, trägt eine grüne Armbinde mit der Aufschrift: "Polizei". Vor uns die Wand der Polizisten, Hunderte. Die Beamten blicken angriffslustig. Wo der Feind steht, ist klar. Beim Anblick der hochgerüsteten Polizeibeamten fällt mir ein Satz aus Shakespeares Julius Cesar ein:

"Cry havoc, and let slip the dogs of war."

Die Psychologie lehrt uns, dass wir uns entsprechend unserer Kleidung verhalten. Wer schwer bewaffnete Krieger schickt, darf sich nicht wundern, wenn diese bei erster Gelegenheit die Auseinandersetzung suchen. Diese Kämpfer bieten auch eine hervorragende Projektionsfläche für all das, was die Demonstranten der Regierung und den G-7-Teilnehmern vorwerfen. Ein Konflikt ist vorprogrammiert. Diskussionen waren bei dieser Demonstration nicht vorgesehen. Es galt "zero tolerance". Vor dem Demonstrationszug gab es nur die offene Mündung des Polizeiapparates.

Zwischen den Reihen der Polizei und der Demonstranten bewegen sich die Journalisten. Mit Helm und teilweise mit Gasmaske ausgerüstet, schlüpfen sie durch den Polizeitrombus. Ein Reporter, der mich kurz zuvor befragt hatte, was es denn mit dem "Legal Team" auf sich hatte, rät mir, mich schnell in Sicherheit zu bringen, wenn es losgeht. "Die dreschen auf alles los, da siehst du später aus, wie aus dem Fleischwolf." Was mache ich hier eigentlich?

Die Situation entspannt sich allmählich, nicht zuletzt vielleicht durch den Einsatz des "Legal Teams". Die Polizisten vor Ort konnten die Anwälte in ihren neonfarbenen Hemden nicht einordnen. Die Spekulationen gingen von OSZE-Beobachtern über Veranstaltungsordner bis zu Staatsanwälten. Und wer wollte sich als Polizist schon durch ein Band von Staatsanwälten "arbeiten"?

Mühsam dreht der Lautsprecherwagen und fährt die Strecke zurück. Er kämpft sich durch den Pulk der Demonstranten. Hinter ihm wird das Ende mit Seitentransparenten geschlossen. Wir laufen rechts und links entlang des Demonstrationszuges. Nach gut vier Stunden tun mir die Beine und Füße weh. Ich bin dankbar, dass ich nicht die schwere Ausrüstung der Bereitschaftspolizisten tragen muss. Die Polizei fotografiert eifrig die Schuhe von Demonstranten, deren Transparentstangen nicht das richtige Maß haben oder über das Seitentransparent ragen. Immer wieder höre ich, wie die Beamten darüber sprechen, einzelne Demonstranten aus der Masse herauszuholen. Unter Umständen haben sie darauf verzichtet, weil sich stets Mitglieder des Anwaltsnotdienstes in Sichtweite befanden. Der weitere Verlauf der Demonstration war unspektakulär. Er endete in einem Wolkenbruch, wie man ihn nur in den Bergen erlebt.

Das Zeltcamp wird wegen der Wassermassen evakuiert. In der Bayernhalle sammeln sich die Kollegen. Am Abend trifft sich das "Legal Team" zu einer Besprechung. Der Anwaltsnotdienst hatte nur wenige Einsätze. Am kommenden Tag sollen verschiedene Demonstrationszüge als Sternmarsch stattfinden. Der Kollege Sch. und ich übernehmen die Demonstrationsbegleitung im Ort Klais. Wir werden mit Kopien der Bescheide des Landratsamtes ausgerüstet, um die behördlichen Auflagen zu kennen. Wir melden uns für die Rufbereitschaft in dieser Nacht. Das Versprechen wird jedoch nicht eingefordert.