Beim Anwaltsnotdienst auf dem G 7 Gipfel

Seite 7: Ein persönliches Resümee

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Hat es sich gelohnt?

Ohne Zweifel. Auch wenn die Einsätze wenige waren, hat allein die Anwesenheit der Anwälte des Anwaltsnotdienstes die Demonstrationssituation positiv beeinflusst. Wäre es nach den Vorstellungen der bayrischen Justiz gegangen, hätten Festnahmen, Ingewahrsamnahmen, Beschlagnahmungen und Verurteilungen im Schnellverfahren im verteidigungsfreien Raum stattgefunden. Die Justiz musste aber mit heftigem Widerstand engagierter Rechtsanwälte rechnen.

Die Richter und Staatsanwälte brauchen die Rechtsanwälte nicht, sie sind ja die Guten, aber die Bürger brauchen Anwälte, die sich für ihre Rechte einsetzen. Nicht zuletzt geht es auch um unsere Rechte.

Ich glaube, dass wir als Rechtsanwälte eine besondere Pflicht haben. Wir erleben zurzeit eine starke Erosion der Grundrechte. Es gibt mittlerweile das "Superrecht" Sicherheit, das alles überstrahlt und, hinter das alles zurücktreten muss. Wenn nicht die Rechtsanwälte, die mit den Waffen des Systems vertraut sind, wer sonst soll die Grundrechte verteidigen? Das Bundesverfassungsgericht hat keine eigenen Truppen, die die Grundrechte durchsetzen.

Als Juristen neigen wir dazu, uns mit den Rahmenbedingungen abzufinden. Wenn unser Spielraum gestern noch so groß wie Fußballfeld war, haben wir heute kein Problem damit, uns mit einer Murmelbahn zu begnügen. Wir sind satt und faul. Die Rechte, die wir uns heute so sorglos wegnehmen lassen, waren gestern noch ein Grund dafür, dass Menschen ihr Leben riskierten.

Ein Freund, der Examensklausuren im öffentlichen Recht korrigiert, erzählte mir, er habe in den letzten Jahren einen Paradigmenwechsel festgestellt. In Klausuren im Polizeirecht haben die Prüflinge offensichtlich rechtswidriges Verhalten der Polizei z.B. in einem Fall, der dem Hamburger Kessel nachempfunden war, vor zehn oder fünfzehn Jahren in der Masse problemlos erkannt. Heute "glauben" 90% der Prüflinge, das Verhalten der Polizei sei rechtmäßig.

Du bist jetzt auf der Liste

Bereits am Samstag vor der Demonstration der Rechtsanwälte in Roben vor dem Kanzleramt hatten Kollegen, die ich animieren wollte, auch teilzunehmen, gewitzelt, man sei dann auf der "Liste". Es war unverkennbar, dass in dieser Äußerung etwas Sorge lag. Als ich Kollegen und Freunden aber von meinem Vorhaben berichtete, am Anwaltsnotdienst beim G7-Treffen teilzunehmen, ließen diese keinen Zweifel daran, dass ich dann sicherlich auf irgendeiner ominösen Liste von irgendeinem Dienst stehen werde.

Bei Gesprächen auf der Fahrt zwischen dem Kollegen Sch. und mir, gingen wir ebenfalls davon aus, dass wir zukünftig registriert sein werden. Bei Gesprächen am Telefon stelle ich immer öfter fest, dass die Gesprächspartner voraussetzen, dass das Telefonat abgehört und mitgeschnitten wird. Paranoia? Sicher nicht.

Die derzeitigen Offenbarungen geheimdienstlichen Handels und die Sammelwut der Bürokratie belehren uns eines Besseren. Wenn, wie Christian Ströbele, Burkhardt Hirsch und der ehemalige Bundesdatenschutzbeauftragte Scharr anlässlich der Demonstration vor dem Kanzleramt vorgetragen haben, weder die Vorratsdatenspeicherung noch der Patriot Act nennenswerte Erfolge gezeitigt haben, also "Rechtsfeinde" dingfest gemacht bzw. Anschläge verhindert wurden, kann Sinn und Zweck solcher Maßnahmen nur die Überwachung der Bürger sein.

Der Bürger soll durch die vermeintlichen Sicherheitsmaßnahmen willfährig gemacht werden. So, wie ein Stalker das Verhalten seines Opfers lenkt, lenkt der Staat durch seine Maßnahmen die Bereitschaft der Bürger, ihre Grundrechte wahrzunehmen bzw. darauf zu verzichten.

Sind wir ein Polizeistaat?

Aus meiner Rip-van-Winkle-Perspetive erscheint es mir fast so. Das Polizeiaufgebot in Garmisch-Partenkirchen hat mich sehr beeindruckt, fast erschlagen. Ich hätte, mit meinem Achtzigerjahre-Demonstrationsverständnis, nicht geglaubt, dass man das Demonstrationsrecht derart einschränken kann.

Der demokratisch-rechtsstaatliche Zuckerguss auf unserer Demokratietorte ist abgeleckt. Darunter erscheint der Tortenkörper. Es ist derselbe wie im "Tausendjährigen Reich", in der Weimarer Republik und im Kaiserreich. Man kann noch die alte Aufschrift lesen: "Ruhe ist die erste Bürgerpflicht." Es ist der Körper des Obrigkeitsstaates, der, unter dem Vorwand Sicherheit zu garantieren, die bürgerlichen Rechte einschränkt. Es ist der Staat, der wie ein Versicherungsvertreter das Reptiliengehirn in Angst und Schrecken versetzt. Wie ein Versicherungsvertreter, der uns dazu bringt, Versicherungsverträge für jeden nur denkbaren Schadensfall abzuschließen.

"Vater Staat" verbreitet Angst. Angst, die uns willfährig macht, auf unsere Grundrechte zu verzichten. Schützend nimmt er uns anschließend in seine schützenden Arme. Die jüngeren Kollegen des "Legal Teams" waren nicht verwundert. Sie sind mit den Einschränkungen aufgewachsen.

Es zeigt sich heute, dass uns das demokratisch-rechtsstaatliche Handeln nach dem Krieg aufgezwungen wurde. Verinnerlicht haben wir es nicht. Offensichtlich ist die Mehrheit aller Bevölkerungsteile einverstanden, die wesentlichen Rechte aus dem Grundgesetz aufzugeben. Wahrscheinlich wären, bei einer staatlichen Sperrung von Facebook, Millionen auf die Straße gegangen.

Es gilt zurzeit, so mein Eindruck vom G-7-Gipfel, folgende Staatsdoktrin:

  1. Jeder Bürger ist ein potentieller Straftäter, deshalb müssen seine Kommunikationsdaten gespeichert werden.
  2. Jeder Demonstrant, der die gegenwärtige Politik kritisiert, ist ein Störer. Mehrere Demonstranten sind eine Gefahr.
  3. Ungehorsam gegen polizeiliche oder behördliche Auflagen im Zusammenhang mit Demonstrationen wird sofort, gegebenenfalls unter Anwendung unmittelbaren Zwanges, gebrochen.
  4. Bei der strafrechtlichen Verfolgung von Verhalten im Zusammenhang mit Demonstrationen ist die Möglichkeit der professionellen Verteidigung nach Möglichkeit mit allen Mitteln zu verhindern. Es ist für eine reibungslose Verurteilung zu sorgen.

Wie ich darauf komme?

Die bayrischen Behörden haben im Vorfeld des Gipfels Angst und Schrecken unter den Bürgern der betroffenen Orte verbreitet. Es wurde alles versucht, den Demonstranten den Aufenthalt im Bereich des Gipfels so schwer wie möglich zu machen. Die Politik hat die Polizei vom Beschützergaranten, der den Bürgern die Wahrnehmung ihrer demokratischen Rechte garantiert, zum Überwachergaranten, der die Politik vor den Bürgern schützt, mutieren lassen.

Alle Demonstranten wurden als potentielle Straftäter angesehen. Die Gefahr musste in einem Überwachungs- und Regulierungsoverkill in Uniformen erstickt werden. Die eingesetzten Polizeikräfte haben keinen Hehl daraus gemacht, dass sie eine Gefahr, die von allen Demonstranten ausgeht, überwachen und gegebenenfalls sofort beenden. Unmittelbarer Zwang wurde nicht angedroht, sondern sofort exekutiert. Wer ein verknotetes Transparent festhält, hat es nicht anders verdient, als dass ihm nötigenfalls der Arm mit einem Schlagstock "fraktioniert" wird.

Jeder Bürger, der sich spontan hätte an der Demonstration beteiligen wollen, war von dieser Kriminalisierung abgeschreckt. Sicher hätten sich einige Bürger der Demonstration angeschlossen, da sie, angesichts der riesigen Verschwendung von 300 Mio. Euro, die selbst Ludwig XIV. die Schamesröte auf die gepuderten Wangen getrieben hätte, sympathisierten.

300 Mio. Euro für eine dreitägige Versammlung von sieben Staatschefs. In Garmisch-Partenkirchen bestanden die Seitenstraßen zum Teil nur aus Teerpflastern. Diese Gemeinde hatte ganz offenbar nicht von diesen Kosten profitiert. 27.000 Polizisten haben drei bis viertausend Bürger gebändigt, die ihre Meinung äußern wollten. Die Demonstration ist zur Farce verkommen. Zuschauer wurden auf Privatgrundstücke verwiesen. Keine Zuschauer auf öffentlichem Straßenland. Die Transparente waren durch die Spaliere der Bereitschaftspolizisten nicht zusehen. Eine Demonstration in Hör- und Sichtweite derer, die es angeht, wurde erfolgreich verhindert.

Ruhe ist die erste Bürgerpflicht! Alles kam mir bekannt vor. In meiner Jugend wurde dieses Verhalten totalitären Regimen zugeschrieben.

Angelehnt an George Orwells Farm der Tiere meine ich die Fadenscheinigkeit unserer Grundrechte wahrzunehmen. Hinter all den wichtigen Paragrafen schimmert schon die Regel durch, die letztendlich bestehen bleiben wird:

Alle Menschen sind gleich, nur manche sind gleicher, als die Anderen.

Wie hätte es denn laufen können?

Die Behörden hätten den Bürgern eine Demonstration in Hör- und Sichtweite der Kanzlerin ermöglichen müssen. Statt die Demonstranten zu behindern, hätte die Gemeinde Garmisch-Partenkirchen die Bürger bei der Wahrnehmung ihrer demokratischen Rechte, z.B. durch die Zurverfügungstellung von Wiesen zum Einrichten von Zeltlagern, unterstützen können.

Die Polizei hätte angewiesen werden müssen, den Demonstranten, die ihr Demonstrationsrecht friedlich und ohne Waffen wahrnehmen wollen, zu schützen. Die Polizei hätte sich außer Sichtweite halten müssen. Eine Demonstration bedarf keiner Polizeieskorte. Lediglich für den Fall von Gewaltanwendung aus der Demonstration hätte die Polizei die tatsächlichen Störer entfernen müssen, um den übrigen Demonstranten die weitere Meinungskundgebung zu garantieren. Die Polizei ist in diesem Fall Beschützergarant.

Die Justiz hätte für den "Ernstfall" im Gericht die notwendige Logistik bereitstellen müssen, um Rechtsanwälten ihre Arbeit zu ermöglichen. Als selbständiges Organ der Rechtspflege sind die Rechtsanwälte unabdingbarer Bestandteil des Rechtsstaates. Das alles wäre machbar und ein Aushängeschild für die deutsche Demokratie gewesen.

Würde ich wieder bei einem Anwaltsnotdienst/Legal Team mitmachen?

Ja, wenn ich nicht für eine politische Richtung vereinnahmt werde.

Wie wird sich das Demonstrationsrecht entwickeln?

Nach dem, was ich in Garmisch-Partenkirchen gesehen habe, glaube ich, dass in nicht allzu ferner Zukunf, die Bürger nur noch in bestimmten, abgesicherten Bereichen demonstrieren dürfen. In Berlin vermutlich auf dem Tempelhofer Feld. Die Demonstrationen werden im Internet "live gestreamt". Irgendwann wird man auch dies unterbinden und das Demonstrationsrecht durch ein Recht auf "Shit Storm" ersetzen.