"Beim Klimaschutz gehen wir keine Kompromisse ein"

Simone Peter. Bild: Laurence Chaperon/CC BY-3.0

Simone Peter, die Bundesvorsitzende der Grünen, über schlechte Umfragewerte, Fairness im Wahlkampf und mögliche Koalitionen.

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Frau Peter, wird im aktuellen Wahlkampf zu wenig gestritten?
Simone Peter: Die Debattenschärfe nimmt zu, aber das reicht noch nicht. Vor allem das Erstarken der AfD muss jetzt alle demokratischen Parteien motivieren, mit der AfD den Streit zu suchen. Es wäre verheerend, wenn sie den dritten Platz belegen würde.
Der SPD-Abgeordnete Johannes Kahrs sagte kürzlich, das sei "ein langweiliger Wahlkampf, eine Katastrophe".
Simone Peter: Es liegt auch an der SPD, dies zu durchbrechen, und Themen spannend zu machen. Es ist längst überfällig, über den richtigen Kurs unseres Landes zu streiten, bei Klimaschutz, Gerechtigkeit oder Europa.
Was halten Sie all jenen entgegen, die sagen, kein Großthema tauge in Deutschland derzeit zur echten Kontroverse?
Simone Peter: Angesichts von Dieselgate, Überschwemmungen, Zweiklassenmedizin, Kinderarmut in einem reichen Land und der Tatsache, dass mehr als 65 Millionen Menschen weltweit auf der Flucht sind, halte ich solche Aussagen für bedenklich.
Der Klimaschutz spielt im Wahlkampf allerdings keine große Rolle.
Simone Peter: Gäbe es die Grünen nicht, spielte das Thema überhaupt keine Rolle. Wir streiten dafür, dass der Klimaschutz ganz oben steht auf der Agenda, denn Hurrikane wie Irma zeigen, wie wichtig hier ambitioniertes Handeln ist. Und wir enttarnen diejenigen Politiker, die schöne Sonntagsreden zur Klimakrise halten, sich aber immer dann wegducken, wenn es konkret wird.
An wen denken Sie da?
Simone Peter: Die Liste ist lang (lacht). Frau Merkel zum Beispiel verspricht seit vielen Jahren immer wieder Fortschritte in der Umwelt- und Klimapolitik. Faktisch ist ihre Bilanz aber desaströs: Dieselfahrzeuge sind bis heute nicht sauber und Deutschland verfehlt seine Klimaziele für 2020 krachend. Das ist ganz bitter für Deutschland.
Überdies reicht ein Blick nach Nordrhein-Westfalen, um erahnen zu können, wohin es ginge, wenn Schwarz-Gelb auch im Bund wieder ans Ruder käme: in NRW zerstört die neue Landesregierung das Wachstum der erneuerbaren Energien und setzt weiter auf die klimaschädliche Braunkohle.
Warum schließen Sie eine sogenannte Jamaika-Koalition dann nicht aus?
Simone Peter: Weil es uns um Inhalte geht, und die werden wir in jeder Konstellation sehr genau prüfen. Wir haben 10 Punkte festgeschrieben, an denen wir festmachen, ob eine Koalition Sinn ergibt. Beim Klimaschutz gehen wir keine Kompromisse ein. Mir stellen Bürger immer wieder dieselbe Frage: Wie können wir die fortschreitende Klimakrise bremsen? Das ist ein Megathema, das viele Menschen umtreibt, weil es ums Überleben ihrer Kinder und Kindeskinder geht. Hier geben wir Grüne klare Antworten.

"Wir werden noch Stimmen bis zum Wahltag gewinnen"

Das klingt so, als seien Sie zufrieden mit dem Verlauf des grünen Wahlkampfes.
Simone Peter: Ja, natürlich. Wir zeigen beim Diesel-Skandal, dass für uns der Schutz von Gesundheit, Umwelt und Verbrauchern ganz vorne steht, und nicht die Profite von Konzernen. Der Fipronil-Skandal und die Extremwetter auf dem Globus machen deutlich, dass es starke Grüne im Parlament braucht. Wir wollen dabei Ökologie und Ökonomie verbinden, die Verkehrs- und Energiewende vorantreiben - und die Agrarwende endlich einleiten. Und genau damit erreichen wir die Menschen.
Ihre Partei liegt in den Umfragen zwischen sechs und neun Prozent. Ihr Parteikollege Robert Habeck sagte vor Kurzem, den Grünen sei es nicht gelungen, markanter wahrgenommen zu werden...
Simone Peter: ... Ich bin weiter fest überzeugt, wir werden noch Stimmen bis zum Wahltag gewinnen. Und wir werden in den letzten Tagen noch ordentlich für die grüne Sache werben.
Was macht Sie so zuversichtlich?
Simone Peter: Es gibt noch viele unentschlossene Wähler. Ebenjene wissen genau, welch große Rolle es spielt, welche Partei auf Platz drei landet. Wir Grüne wollen das Land voranbringen. Die FPD dagegen will vieles zurückdrehen, ich nenne nur die Stichworte Erneuerbare, Mindestlohn und Schadstoff-Grenzwerte. Kurz: Wir stehen vor einer Richtungsentscheidung.
Sie sagten im April, Ihre Partei habe nach der Nominierung von Martin Schulz an Zustimmung verloren. und es gehe nun darum, noch deutlicher zu machen, wofür die Grünen stehen. Sie sprachen damals von einer Delle, die sie schleunigst wieder ausbügeln wollten...
Simone Peter: ... Ja, genau, und dann kam unser überaus erfolgreiche Parteitag im Juni. Dort haben wir uns auf einen Fahrplan geeinigt. Wir stehen für den Dreiklang: Ökologie - Gerechtigkeit - offene Gesellschaft. Und dafür streiten wir mit vollem Einsatz.
Der sogenannte Schulz-Hype ist längst vorbei, doch die Umfragewerte der Grünen sind nahezu gleich geblieben. Frau Peter, haben Sie die Lage im Frühling falsch einschätzt?
Simone Peter: Nein. Es war richtig, das eigene Profil zu schärfen. Aber wir beobachten ein neues Phänomen: Auch viele unserer Wählerinnen und Wähler entscheiden sich erst in den letzten Tagen.
Was folgt daraus?
Simone Peter: Wir werden weiter zuspitzen. Die entscheidenden Fragen sind doch: Bleibt es bei einer Große Koalition im Schlafwagen-Modus? Erleben wir ein reaktionäres schwarz-gelbes Bündnis? Oder werden starke Grüne weiterhin eine laute Stimme sein für Klimaschutz, Bürger- und Menschenrechte und gegen Armut und Ungleichheit?

Wir lassen uns von Einzelstimmen wie der von Boris Palmer nicht vom Kurs abbringen

Apropos, sind Sie eher wütend oder enttäuscht, dass Ihr Parteikollege Boris Palmer wenige Wochen vor der Wahl sein Buch mit dem Titel: "Wir können nicht allen helfen" vorgestellt hat?
Simone Peter: Ich bin da weder wütend noch enttäuscht, weil er eine Einzelstimme ist. Boris Palmer hat von unserer Partei die Rückmeldungen erhalten, die das Buch verdient: kaum welche.
Grenzen die Grünen Boris Palmer aus?
Simone Peter: Überhaupt nicht. Boris Palmer ist als jemand bekannt, der extreme Positionen vertritt. Aber seine Thesen spielen in unserer Partei, mit Verlaub, keine Rolle. Ich denke, die Wähler können da gut unterscheiden.
Schadet er der Partei?
Simone Peter: Das Entscheidende ist: Wir lassen uns von Einzelstimmen wie der von Boris Palmer nicht vom Kurs abbringen.
Was heißt das konkret?
Simone Peter: Wir Grüne wollen eine menschenrechtsbasierte Asylpolitik. Wir wollen, dass Europa sich solidarisch verhält. Das heißt, dass die Seenotrettung im Mittelmeer gestärkt wird und dass die Militarisierung der Flüchtlingspolitik an den Außengrenzen aufhört. Und wir wollen, dass sich diejenigen, die zu uns kommen, auch aufgenommen fühlen. Wir müssen diesen Menschen eine gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen, sonst scheitert deren Integration. Auch deshalb wird ein Einwanderungsgesetz eine der zentralen Forderungen bei möglichen Sondierungsgesprächen sein.
Haben Sie Boris Palmers Buch gelesen?
Simone Peter: Nein, dafür fehlt mir die Zeit.
Wären Sie überrascht, wenn Boris Palmer - wie Elke Twesten in Niedersachen - irgendwann sagte: Ich schließe mich der CDU an?
Simone Peter: Ich sehe da keine Gemeinsamkeiten. Frau Twesten hatte eine persönliche Motivation, nachdem sie nicht mehr aufgestellt wurde, Boris Palmer argumentiert politisch, auch wenn mir die Position nicht gefällt. Er ist Oberbürgermeister von Tübingen und muss sich seinen Wählerinnen und Wählern gegenüber verantworten. Die würden ihn als CDU-Kandidat wohl eher nicht wählen.

Wir haben eine "Internetfeuerwehr" gegen Angriffe oder Falschmeldungen etabliert

Frau Peter, ist es aus Ihrer Sicht bislang ein fairer Wahlkampf?
Simone Peter: Im Großen und Ganzen ja. Von der AfD mal abgesehen.
Wann wird es unfair?
Simone Peter: Grundsätzlich gilt für mich: Überspitzungen müssen möglich sein, die gehören dazu.
Wo ziehen Sie die Grenze?
Simone Peter: Wenn es unter die Gürtellinie geht; wenn es diskriminierend wird; wenn Politiker persönlich attackiert werden oder Falschmeldungen in Umlauf gebracht werden. Beleidigungen und Hetze sollten tabu sein. Leider gehört genau das zur Strategie der AfD. Wir Grüne treten dem entschieden entgegen. Wir haben eine "Internetfeuerwehr" etabliert, die derlei Angriffe oder Falschmeldungen aufspürt, kennzeichnet und richtig stellt.
Führende Mitglieder Ihrer Partei fügten erfundene Zitate in FDP-Plakate ein - und teilten jene in den sozialen Netzwerken. Fanden Sie das lustig?
Simone Peter: Das war eine Überspitzung, eine Satire.
Wenn die FDP Plakate der Grünen gefälscht hätte, wäre dann ihre "Internetfeuerwehr" eingeschritten?
Simone Peter: Die Internetfeuerwehr reagiert auf Fake News und Hassbotschaften, nicht auf Satire.
Abschlussfrage, Frau Peter: Können Sie sich vorstellen, dass FDP- und Grünen-Politiker Ende des Jahres an einem Kabinettstisch sitzen?
Simone Peter: Mir fehlt dafür ehrlich gesagt die Fantasie. Wir wollen, dass Diesel-Stickoxide aus der Stadtluft verschwinden, während Herr Lindner die Grenzwerte zum Schutz unserer Gesundheit aufweichen will. Wir wollen ein Ende der Zweiklassenmedizin, während die FDP Klientelpolitik betreibt. Wir wollen ein solidarisches Europa, während die FDP die Einheit Europas aufs Spiel setzen will, indem sie Staaten aus dem Euro schmeißen will. Beim besten Willen fehlt mir da der Glaube, wie das zusammen gehen soll.