Beinahe zwei Arten Homo sapiens?

Nach einer umfangreichen Analyse mitochondrialer DNA haben Menschen in Afrika lange Zeit in kleinen geografisch und genetisch isolierten Gruppen gelebt

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Vor 150.000 Jahren haben sich nach einer Analyse von mitochondrialer DNA (mtDNA) die frühen Menschen in Afrika vermutlich in zwei grundlegende Abstammungslinien und in bis zu 40 isolierte Populationen aufgeteilt und sich gesondert weiter entwickelt. Erst vor 70.000 Jahren sollen die Populationen wieder zu einer einzigen Art verschmolzen sein.

Ein internationales Team von Genforschern haben im Auftrag des 2005 gegründeten Genographic Project (DNA-Proben für räuberische Kolonialherren?) die bislang umfangreichste Analyse afrikanischer mtDNA veröffentlicht. Mit0chondriale DNA wird matrilinear vererbt und mutiert mit einer konstanten Rate, so dass sich daraus relativ genau Rückschlüsse über die Verwandtschaft und über die Abstammung von Menschen machen lassen. So wurde mit der Analyse der mtDNA die so genannte mitochondriale Eva, die hypothetische Stammmutter aller heute lebenden Menschen, auf eine afrikanische Frau zurückgeführt, die vor etwa 200.000 Jahren gelebt haben soll.

Für ihre neue Studie, die im American Journal of Human Genetics erschienen ist, analysierten die Wissenschaftler 624 vollständige mtDNA-Genome von Angehörigen afrikanischer Stämme südlich der Sahara, um die demografische Geschichte zurückzuverfolgen, bevor die Menschen Afrika verlassen und sich auf der übrigen Welt verbreitet haben. Im Vordergrund standen dabei die Genome von Angehörigen der südafrikanischen Khoi- and San-Stämme, die als Nachfahren der frühen Jäger und Sammler-Völker gelten und deren Gene weiter als die aller anderen Stämme in die Frühgeschichte des modernen Menschen zurückreichen sollen. Bei den Khoisan wird dies auch durch Mutationen des männlichen Y-Chromosoms belegt.

Nach der Hypothese der Wissenschaftler spaltete sich Homo sapiens in zwei Populationen, die sich isoliert in Süd- und Ostafrika weiter entwickelten. Vor 70.000 Jahren vermischten schnelle Wanderungsbewegungen die beiden Populationen.

Bei den Khoisan gibt es zwei grundlegende mtDNA-Linien, die aus mehreren Haplogruppen bestehen. Nach der Analyse gehen sie auf gemeinsame Vorfahren zurück, die etwa vor 40.000 Jahren gelebt haben und sich von der anderen Linie unterscheiden, der der Rest der Menschen in Afrika und in der übrigen Welt angehören. Schon vor etwa 140.000 Jahren hatten sich die Menschen in zwei verschiedene matrilineare Linien aufgespalten und sich dann unabhängig voneinander im südlichen und im östlichen Afrika während einer Zeitspanne von 50.000 bis 100.000 Jahren entwickelt, bis in der Jungsteinzeit unter besseren Umweltbedingungen der "verhaltensmäßig moderne homo sapiens seinen Lebensraum erweitern" konnte.

Die entscheidende Phase für die Verzweigung verorten die Wissenschaftler in der Zeit zwischen 133.000 und 155.000 Jahren. Eine matrilineare Linie sei im südlichen Afrika lokalisiert gewesen und habe sich bis zu den heutigen Khoisan erhalten, aus der anderen Linie könnten alle Nicht-Khoisan-Angehörigen in Afrika und der ganzen Welt abstammen. Die Wissenschaftler vermuten, dass es lange Zeit nur kleine, geografisch und genetisch isolierte menschliche Gemeinschaften gegeben habe, die in mehr als 40 mtDNA-Linien aufgesplittet waren. Beginnend mit den Wanderungsbewegungen vor 60.000-70.000 Jahren haben sich diese wieder zu einer einzigen Population vermischt, vor allem ausgehend von Wanderungsbewegungen aus dem Nordosten Afrikas in den Süden. Vor 40.000 Jahren fand schließlich erst die Verzweigung statt, aus der sich die Khoisan-Population gebildet hat, die heute in Ost- und Westafrika lebt.

An der Studie beteiligte Wissenschaftler spekulieren in Kommentaren, dass aufgrund ungünstiger klimatischer Bedingungen mit langen Trockenzeiten die menschlichen Populationen bis zur Steinzeit nur in den kleinen, isolierten Gemeinschaften überlebt haben können – und womöglich deswegen hätten vom Aussterben bedroht sein können. Möglicherweise hätte sich die Menschheit durch die lange Zeit der Isolation auch in zwei Arten aufspalten können, was dank der Wanderungsbewegung, der technischen Fortschritte und der besseren klimatischen Bedingungen aber nicht eingetreten ist. Allerdings stecken vor allem in der Analyse der geografischen Verteilung der mtDNA-Linien in der Geschichte viele Vorannahmen. Erzählt wird eine mögliche (genetische) Geschichte, die möglicherweise auch ganz andere Interpretationen zulässt.