Big Brother Awards UK 2002

Sci-Fi-Überwachungstechniken bei den Hauptpreisen, Tortenwurf auf Winston-Preisträger

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Ein Zählbogen für Schüler, der in ein Tracking System eingefüttert wird? Ein Identitätsausweis mit Irisscan und anderen abrufbaren persönlichen Informationen auf Chip? Eine Lebensversicherung, die auf Basis genetischer Daten kalkuliert wird? Was sich hier wie das Szenario eines SciFi-Films über die Überwachungsgesellschaft liest, stellte eine Auswahl an Nominierungen für die Big Brother Awards dar, die Anfang dieser Woche in London verliehen wurden. Während die Hauptpreise ungeteilte Zustimmung erfuhren, ging es bie den Winston-Preisen, den positiven Erwähnungen, temperamentvoll zu.

Die den Telepolis-Lesern bekannten, jährlich inzwischen in 8 Ländern stattfindenden Big Brother Awards wurden von Simon Davis, Gründer der in London ansäßigen Organisation Privacy International, ins Leben gerufen, um das Scheinwerferlicht auf die Bösewichte und Helden im Kampf um die Privatsphäre zu lenken. Die Preise wurden in der London School of Economics vor einem 300-köpfigen Publikum von dem britischen investigativen TV-Satiriker und Comedian Mark Thomas verliehen. (siehe z.B. Die ersten Big Brother Awards in den Niederlanden, Frankreichs große Brüder und Orwells und Simons ins Dänemark)

Simon Davis vor der Preisstatue, Foto Paul O'Connor

Dieses Jahr sah sich die Jury mit einer schockierend langen Liste von sich für die Nominierung qualifizierenden Aktivitäten konfrontiert, die außerdem von Technologien und Techniken angeführt wurde, die außerhalb möglicher Regulierung liegen. "We have been almost overwhelmed this year by a flood of new entries, many of which involve technologies and techniques that are beyond the control of law, and outside the comprehension of policy makers", bemerkt Simon Davis in seinem Statement.

Der Big Brother Preis für "Worst Public Servant" (Beamter im öffentlichen Dienst mit schlechtestem Verhalten) ging "unvermeidlich" an Sir Richard Wilson, Cabinet Secretary, für "seinen ununterbrochenen Einsatz zur Verringerung von Informationsfreiheit, Datenschutz und ministerieller Rechenschaftspflichtigkeit."

Das Ministerium für Unterricht gewann den Preis der Kategorie "Most Heinous Government Organisation" ["Ruchloseste Organisation in der Regierung" ] für ihren Vorschlag, ein Schüler-Tracking-System zu etablieren, das nicht nur Daten sammelt, die notwendig sind, um das Schulwesen vorauszuplanen, sondern diese Daten auch mit Namen und Postleitzahl versieht. Potentiell können externe Organisationen Zugang zu dieser Datenbank bekommen.

Privacy International sandte Überbringer des Big-Brother-Preises an Sir Richard Wilson und das Unterrichtsministerium aus, doch wie erwartet, war keiner der Ernannten anwesend, weder an der Rezeption seiner Büroadresse, noch bei der Veranstaltung selbst, um dort den Preis entgegenzunehmen.

Big-Brother-Statue in besserem Licht, Foto Paul O'Connor

Allerdings meldete sich die Rechtsabteilung der nominierten Versicherungsanstalt Norwich Union zu Wort, mit der Drohung einer Verleumdungsklage. Norwich Union gewann tatsächlich den Preis in der Kategorie "Most Invasive Company", für ihren unautorisierten Versuch, Lebensversicherungen auf der Basis genetischer Tests abzuschließen. Die Versicherung argumentiert, dass diese Praxis vielen Kunden günstigere Polizzen bescheren würde, aber auch, dass die Anstalt dadurch in der Lage wäre, das Risko zur Absicherung eines größeren Teils der Bevölkerung zu übernehmen. Die Öffentlichkeit befuerchtet jedoch die Diskriminierung von Individuen mit genetischen Krankheiten, wie etwa Alzheimer.

Doch damit nicht genug an Einfallsreichtum. Norwich Union testete vergangenes Jahr ein weiteres kontroversielles Schema namens Pay-As-You-Drive. In diesem Pilotversuch bietet Norwich Union Gelegenheitsfahrern die Möglichkeit, ihr Fahrzeug mit Satelitentracking-Equipment zu versehen, das die genauen Daten über die Fahrstrecke und Fahrverhalten an die Versicherungsanstalt sendet, die aufgrund dieser Information die Kosten kalkuliert.

Trubel bei den Winston Awards

Die Veranstaltung lenkt mit dem Winston Preis das Augenmerk auf besonderen Einsatz für die Bewahrung der Privatsphäre und den Schutz der Menschenrechte. Der Name 'Winston' ist nach dem Helden des Orwellschen Referenzwerkes ueber Totalitarismus, '1984', benannt - das Werk das auch die Benennung 'Big Brother' lieferte.

Die Entscheidungen der Jury um die Winston-Preisträger wurden vom Publikum nicht so einhellig begrüßt, wie die um die Big-Brother-Preisträger. Ein "Winston" ging an den ehemaligen Bediensteten des britischen Geheimdienstes MI5, David Shayler, für seinen Einsatz um einen transparenteren Staat und seinem Rütteln am Official Secrets Act, der Kommentare über die Arbeit jedes Arbeitsnehmers des britischen Sicherheits- und Geheimdienstes illegalisiert.

Shayler nach Kontakt mit Torte, Foto Paul O'Connor

Shayler war vor 5 Jahren mit Informationen über einen vermeintlichen MI5-Plot zur Ermordung des libyschen Führers Muammar Gadafy an die Öffentlichkeit gegangen. Dieser Schritt leitete seine Wende vom Geheimdienstler zum Menschenrechtskämpfer ein. Im Publikum befanden sich Redakteure des radikalen alternativen Newsletters SCHNEWS, die sich von Shaylers Bemerkungen während der Preisverleihung veranlasst fühlten, ihm eine Sahnetorte ins Gesicht zu klatschen. Ganz abgesehen von weiteren Faux Pas, schien er mit einer Bemerkung die Existenz des Geheimdienstes MI5 grundsätzlich zu rechtfertigen.

Ein weiterer Winston Preisträger, Stephen Robinson, Redakteur der "Free Country Kampagne" des Daily Telegraph, bezahlte seine Verbindung mit dem konservativen Tagesblatt mit einem Pint Bier im Nacken.

Star des Abends war Ilka Schroeder, die deutsche Grüne Abgeordnete im Europäischen Parlament. Sie nahm einen Winston für ihren Einsatz gegen den Eingriff des Staates in die Privatsphäre der Bürger und für ihre Rolle in der Echelon- Untersuchung des europäischen Parlaments entgegen.