Bilderberg-Konferenz: Was geschieht in Dresden?

Das Hotel Taschenbergpalais in Dresden-Altstadt mit Absperrungen für die Bilderberg-Konferenz. Bild: Derbrauni/ CC-BY-SA-4.0

Die einen sehen ein Treffen der geheimen Weltregierung, die anderen versuchen, es in seiner Bedeutung herunterzuspielen

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Während rechte Verschwörungstheoretiker das Bilderberg-Treffen in Dresden zu einem Treffen der geheimen Weltregierung oder zumindest der Global Player der NWO kolportieren, bemühen sich "Experten" und Medien darum, das Treffen in seiner Bedeutung herunterzuspielen. Beides trübt den Blick auf ein im Wesen demokratiefeindliches Treffen selbsternannter westlicher Eliten.

Die Bundesregierung verlautbart, dass auf der Bilderberg-Konferenz "ein informeller Gedankenaustausch über aktuelle politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Themen" stattfindet. "Austausch und Dialog, insbesondere in internationalen Formaten, sind der Bundesregierung grundsätzlich wichtig, auch ohne dass hierbei konkrete Ergebnisse erzielt werden müssen." Offensichtlich gibt es nicht einmal ein Problembewusstsein innerhalb der politischen Klasse, die demokratietheoretisch als Stellvertreter des Souveräns rechenschaftspflichtig wäre, sich aber faktisch als Politelite versteht und von den Untertanen Gehorsam oder zumindest uneingeschränktes Vertrauen erwartet.

Es ist eben dieses elitäre Selbstverständnis, das Henri de Castries als "Gastgeber" und Vorsitzender der Bilderberg-Meetings Journalisten der dpa in den Block diktiert (Bilderberg-Konferenz: Prekariat soll Thema sein). De Castries ist nebenbei noch Konzernchef von AXA, einem Versicherungsunternehmen, das Vermögenswerte in Höhe von über eine Billion Euro verwaltet. "Ja, es stimmt, dass viele der Teilnehmer große Verantwortung haben, wichtige Jobs, die Akademiker einen hohen Fachkenntnisstand. Daran ist doch nichts falsch. Wenn wir unsere Welt besser verstehen wollen, ist es gut, Gespräche zwischen diesen Menschen zu erleichtern. Denn sich gegenseitig zuzuhören heißt immer, sein Verständnis zu verbessern. Und manchmal helfen widersprüchliche Sichtweisen, bessere Antworten zu finden."

Abgesehen davon, dass es angesichts der Teilnehmerliste doch sehr fraglich ist, wie es zu ernsthaften widersprüchlichen Sichtweisen kommen soll, verstehen sich die Bilderberger offensichtlich als Gestaltungsmacht der Welt. Man will die Welt besser verstehen, grenzt aber alles jenseits des Militärbündnisses der NATO konsequent aus. Ein Treffen von Superreichen, Militärs, Geheimdienstchefs, Industrie und Finanzwirtschaft, das sich gerade einmal aus Entscheidern aus 20 Ländern zusammensetzt, wird kaum zum gegenseitigen Verständnis beitragen können. Man will nicht im demokratischen Sinne miteinander reden, sondern man redet über etwas oder jemanden. China, Russland und der "Nahe Osten" sollen Themen sein. Nur wie will man seine Perspektive bereichern, wenn keine Russen, Chinesen oder Araber eingeladen sind. Es ist die Reproduktion und Verfestigung, die gegenseitige Versicherung, der immer gleichen Sichtweise.

Worüber reden die eingeladenen Finanzminister beim Thema "Geopolitik der Energie-und Rohstoffpreise" mit dem Vorsitzenden von BP, dem Vize-Vorsitzenden des portugiesischen Erdölgiganten Galp Energia oder dem CEO von Shell?

Geht es nach de Castries und zahlreichen nachplappernden Journalisten geht das niemanden etwas an: "Warum sollten diese Menschen nicht das gleiche Recht auf Privatsphäre haben wie jeder normale Bürger?" Eine so naheliegende wie vollkommen hohle Phrase.

Private Treffen

Ist Ursula von der Leyen eingeladen, um über die Doppelbelastung einer siebenfachen Mutter und gleichzeitiger Berufstätigkeit vorzutragen? Hält Wolfgang Schäuble ein Plädoyer für die Inklusion körperlich Beeinträchtigter? Oder sind die Personen eben doch als Funktionsträger eingeladen?

Der siebtgrößte Rüstungskonzern der Welt, die Airbus Group, ist Hauptsponsor des diesjährigen Bilderbergtreffens. Lädt dieser Milliardenkonzern die Mutter von der Leyen ein oder doch eher die Verteidigungsministerin von der Leyen? Möchte sich der ehemalige Oberbefehlshaber der Nato Philip M. Breedlove über Kinderbetreuung unterhalten oder doch eher über sein Lieblingsthema den seines Erachtens nach größten Feind des Weltfriedens Russland?

Die Airbus Group lädt sich den Finanzminister und die Verteidigungsministerin ein während das Prestigeprojekt, der Airbus A400M, permanent Probleme bereitet und ein Ausstieg der Bundeswehr aus den Lieferverträgen diskutiert wird. Foto: Sascha Pommrenke

Sind es private Gespräche, wenn die Verteidigungsministerin, der Finanz- und der Innenminister mit dem ehemaligen Chef des britischen Geheimdienstes MI6 oder mit David Petraeus plaudern, dem ehemaligen CIA-Direktor und Oberbefehlshaber der amerikanischen Truppen im Irak und Verantwortlicher für unzählige Geheim- und Foltergefängnisse?

Bei der Zeit scheint man die eigenen Leser für unmündig zu halten: "Man könnte also ebenso fragen, ob es nicht sogar förderlich für demokratische Prozesse ist, wenn sich die Meinungsführer der Welt zum zwanglosen Austausch treffen, weil niemand bei diesem Treffen Ergebnisse von ihnen verlangt." Natürlich, man schließt konsequent die Mehrheit der Länder aus, ernennt sich selbst zum "Meinungsführer der Welt" und glaubt auch noch tatsächlich, alle Menschen sollten einem doch dankbar sein, schließlich solle die Welt am eigenen Wesen genesen.

So sieht es auch Christoph Bertram der von 1980 bis 1998 bei den Treffen dabei war und als Mitglied der Steuerungsgruppe mehrere Bilderberger-Treffen mit organisiert hat. "Aus seiner Sicht seien die Treffen ein einzigartiges Forum, von dessen Existenz letztlich alle profitieren würden", berichtet die Wirtschaftswoche.

In der Selbstwahrnehmung der Herren der Welt ist es eine große Zusammenkunft von Philanthropen und nicht zu vergessen, dem Gründungsmythos folgend, von Antikommunisten. So beschwört Bertram: "Angesichts der Notwendigkeit, die atlantische Verbundenheit zu bewahren, wäre es ein großer Verlust, wenn dieses vertrauliche Gesprächsforum verschwände."

Dass der transatlantische Gedanke der Kern der Treffen ist, bestätig auch de Castries: "Ja, ich denke, das ist relevanter denn je. Was haben wir gemeinsam? Vor allem zwei sehr grundlegende Werte: die Überzeugung, dass die individuelle Freiheit wichtig ist und dass jedes Individuum die anderen respektieren muss. Wir leben in einer Welt, in der die Dinge sich sehr schnell wandeln und wo es nicht unbedeutende Bedrohungen gibt. Deshalb ist es wichtig, dass wir gemeinsam zu verstehen versuchen, wie diese zwei Kernwerte am Leben gehalten werden können."

Die Herren der Welt

Einige wenige, meist männliche, weiße Konservative bestimmen für sich und die Welt, was die zentralen Werte sind. Die ganze Verlogenheit der Veranstaltung zeigt sich an den demonstrativ hervorgehobenen Werten von de Castries. Es ist die Lüge von der friedlichen westlichen Welt , die die Freiheit und Unversehrtheit anderer Menschen respektieren würde. Das stimmt nur, solange die Profitmaximierung der sich zur Machtelite zählenden Personen und Konzerne nicht gefährdet wird oder solange niemand die geopolitischen Interessen des Westens stört.

Wie sehen wohl die Gespräche zur individuellen Freiheit und Unversehrtheit zwischen von der Leyen, Kissinger, Breedlove und Petraeus aus? Der transatlantische Gedanke muss wohl doch stärker sein als die Menschenrechte.

Der Mythos der besseren und universalen Werte des Westens und das damit einhergehende Gruppencharisma sind eine Waffe im Kampf um Macht, Status und Prestige. Das ist die Hauptfunktion exklusiver elitärer Zirkel, Clubs und Netzwerktreffen: die gegenseitige Vergewisserung der Höherwertigkeit, Überlegenheit und Rechtmäßigkeit der Autorität. Und damit gleichzeitig der Verfestigung und Sicherung der Strukturen der Herrschaft, von denen alle Mitglieder profitieren, jenseits möglicher Konkurrenz- und Konfliktverhältnisse.

Bei internationalen Machtzirkeln, wie den Bilderbergern geht es nicht um die Herstellung einer "Neuen Weltordnung", einer "New World Order". Damit übernimmt man bereits die Propaganda der elitären Kreise, denn die neue Weltordnung kennzeichnet sich ja gerade durch die Aufrechterhaltung der alten Weltordnung. Und diese ist vor allem eine militärische wie wirtschaftliche Dominanz des "Westens" über den Rest der Welt. Es handelt sich bei der globalen Machtelite nicht um eine geheime Regierung. Die Vorstellung, in globalen oder nationalen Machtzirkeln würden die Geschicke der Welt oder des Landes geplant und bestimmt, ist selbst bereits verzerrter Abkömmling des Gruppencharismas der Eliten.

Vielmehr sind es Netzwerke der Macht, die vor allem eines wollen: die Aufrechterhaltung der Herrschaft. Dabei geht es nicht um die Herrschaft einzelner Personen, sondern um die Herrschaft und Beständigkeit des Systems. Kapitalismus, Freihandel und Privateigentum sind die heilige Dreifaltigkeit, die es zu beschützen, zu erhalten und auszubauen gilt. Es ist diese Idee und Ideologie, die mit dem gemeinsamen Gruppencharisma der Auserwähltheit und Überlegenheit die Einstellungen und Verhaltensweisen der Mitglieder, Teilnehmer und Assoziierten prägt.

Und das ist zugleich auch das Problem: Regierungen können gestürzt werden. Einzelne Herrscher können entmachtet werden. Aber das kollektive Selbstbild, das Gruppencharisma der Superreichen und Machteliten, das in den unzähligen Clubs, Logen, Bruderschaften, Zirkeln, Orden, formellen und informellen Treffen und Netzwerken gegenseitig bestätigt und verfestigt wird, ist wesentlich beständiger und wirkungsmächtiger, weil es ohne bestimmte Personen auskommt. Es spielt kaum eine Rolle, ob ein Bill Gates, ein George W. Bush, eine Angela Merkel, eine Friede Springer oder wer auch immer bestimmte Positionen einnehmen. Sie alle teilen die Grundüberzeugung der Meritokratie (der Herrschaft der Leistungsfähigsten) und des kapitalistischen Wirtschaftsliberalismus mit all seinen Mythen. Sie teilen die Annahme, dass die Welt, in der sie leben, die beste aller Welten ist. Und diese müsse mit aller Macht aufrechterhalten werden. Koste es, was es wolle.

Dabei können selbstverständlich die einzelnen Netzwerke untereinander konkurrieren, zum Beispiel Davos als Treffen einer sich als Führer der Weltwirtschaft verstehenden Elite gegenüber den Bilderbergern, die sich vornehmlich als Elite der (geo)politisch-militärisch strukturierenden Macht verstehen. Die Machteliten können untereinander im Wettbewerb stehen, können konfligieren und unterschiedlicher Meinungen sein. Einzelne Mitglieder können auf- oder absteigen. Neue Mitglieder können kooptiert, alte verfemt werden. Die herrschenden Eliten müssen nur das gemeinsame Charisma teilen und den gemeinsamen Feind erkennen. Sie können konfligieren, solange die grundlegende Kooperation gegenüber den Massen, den Außenseitern, überwiegt. Es bedarf keiner konfliktfreien homogenen Elite. Sie kann bis zu einem gewissen Grad heterogen sein.

Das alles heißt jedoch nicht, dass sich einzelne Zirkel nicht entschließen, jenseits legaler Strukturen zu agieren. Gerade der Glaube an die eigene Höherwertigkeit und Auserwähltheit, vielleicht noch verbunden mit dem Glauben an eine historische oder religiöse Mission, birgt immer die Gefahr, andere Menschen nicht nur als weniger wert, sondern als unwert wahrzunehmen. Die Intransparenz, Verschwiegenheit und Unkontrollierbarkeit der Netzwerke bieten einen Nährboden für die Herausbildung tiefenstaatlicher, paralleler Strukturen.

Der Sozialpsychologe Philip Zimbardo warnt in seinem Buch "Der Luzifer-Effekt" vor exklusiven Zirkeln. Der innere Kreis "ist das Ideal der auserwählten Tafelrunde des König Artus, die exklusive Akzeptanz einer besonderen Gruppe, einer privilegierten Verbindung, die direkt Status und Anerkennung verleiht. Deren Verlockung liegt für die meisten Menschen auf der Hand - wer wollte denn nicht Mitglied der "Ingroup" sein? Wer wollte denn nicht erleben, geprüft und für wert befunden zu werden, in eine neue exklusive Sphäre sozialer Akzeptanz aufgenommen zu werden, aufsteigen zu dürfen?"

Die Sphäre der Akzeptanz ist in diesem Falle die geopolitische "Gestaltungsmacht" der transatlantischen Eliten. Man will die Welt so gestalten, wie man es selber für richtig erachtet. Die Perspektive der anderen spielt dabei keine Rolle. Zimbardo konstatiert:

Autoritäten können totalen Gehorsam durchsetzen - nicht etwa durch Strafen oder Belohnungen, sondern mit einem zweischneidigen Schwert: dem Lockmittel der Akzeptanz gekoppelt mit drohender Ablehnung. Dieses menschliche Motiv ist so stark, dass sogar Fremde Macht über uns gewinnen, wenn sie uns einen besonderen Platz an der Tafelrunde ihrer geteilten Geheimnisse versprechen - "ganz unter uns".

Philip Zimbardo

Bei den Bilderbergern zeigt sich dann auch wie militärische und wirtschaftliche Macht verbunden sind, wie die Sicherung geostrategischer Positionen zugleich immer auch die Sicherung von Absatzmärkten, Ressourcen und Warenwegen bedeutet.

Wer protestiert dagegen?

"Bislang sind 19 Kundgebungen und Mahnwachen gegen die Konferenz angemeldet, darunter von der NPD, der AfD und linken Gruppen", weiß N24 stellvertretend für die meisten Medien zu berichten. Schaut man genauer hin, respektive kommt man seiner journalistischen Pflicht nach und recherchiert ein wenig, stellt sich schnell heraus, dass es keinen Protest von linker Seite geben wird. Die Pseudo-Antifaschistische Aktion der "Roten Fahne" besticht eher durch nationalen Sozialismus und findet deshalb auch freudigen Anklang bei rechten verschwörungstheoretischen Autoren des Kopp Verlages. Wer schon immer mal eine Querfront suchen wollte, findet sie in genau dieser national-sozialistischen Verbindung von Roter Fahne und Neuen Rechten.

Eine humanistische, progressive Linke hat sich vom Protest gegen den Dünkel der Machtelite bereits im Vorfeld verabschiedet. Was auch immer der Sinn war, das Bilderbergtreffen in Dresden abzuhalten, ein bedeutender Nebeneffekt ist, dass die Veranstaltung im Nabel des deutschen Rechtsextremismus und Autoritarismus, jeglichen seriösen Protest delegitimiert, da genügend Verschwörungstheoretiker, Antisemiten, Neofaschisten und Hassbürger in den Straßen Dresdens unterwegs sind. Offensichtlich fürchtet sich das linke Spektrum vor der sozialen Ansteckung. Damit geschieht jedoch genau jene Absurdität, dass die notwendige Kritik an Entdemokratisierung, Kapitalismus und Herrschaftsverhältnissen den völkischen Nationalisten überlassen wird.

Der Abschnitt "Die Herren der Welt" beruht in Teilen auf dem gleichnamigen Beitrag in dem Band "Wie Eliten macht organisieren: Bilderberg & Co.: Lobbying, Think Tanks und Mediennetzwerke" (VSA, 19,80 Euro), dessen Mitherausgeber neben Björn Wendt, Marcus Klöckner und Michael Walter der Autor ist.

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