"Bin ich jetzt reaktionär? Bekenntnisse eines Altlinken"

Seite 2: Prenzlauer Berg, Gender-Theorie und Islam

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Reinhard Mohr: Das ist der marktwirtschaftliche Gedanke und law and order, was heißt: Rechtsstaatlichkeit und Zivilgesellschaft. Mich hat der NATO-Einsatz im Kosovo, über den ich ungefähr so denke wie ein Kommentator in der FAZ, der diesen Einsatz befürwortet, in diese Richtung verändert. Auch für eine Intervention in Syrien bin ich heutzutage offen, obwohl es sehr schwierig ist, die Situation dort korrekt zu beurteilen. Früher war ich für die Räterepublik, heute bin ich für den Parlamentarismus. Ich habe also sehr viele bürgerliche Positionen übernommen. Was den Alltagskonservatismus anbelangt: Ich wohne im Prenzlauer Berg, also im Zentrum des Jugendwahns. Freilich waren wir früher ähnlich, aber es geht mir trotzdem auf den Senkel. Auch etwaigen Lärmquellen gegenüber zeige ich immer mehr Undankbarkeit. Das ist ganz klar eine Alterserscheinung, wobei ich aber sicher bin, dass wir sehr viel liberaler als unsere Elterngeneration sind.

"Was die SPD heute wieder zurückdrehen will, hat sie damals selber beschlossen"

Sie stellen in Ihrem Buch die These auf, dass es heutzutage "stets um den Konsens, um Diskurs und Kompromiss" ginge. Kann das damit zu tun haben, dass sich in den führenden Medien und den Volksparteien, also auch bei SPD und GRÜNEN ein recht gehirngewaschener, wirtschaftsfreundlicher und postmoderner Zeitgeist durchgesetzt hat? Und war es nicht Ihre Generation, die seinerzeit in Gestalt der rot-grünen Bundesregierung das politische Rechts-Links-Schisma abgeschafft hat?

Reinhard Mohr: Natürlich haben sich die Verhältnisse in den letzten 100 Jahren massiv verändert. Das ist ein Grund, warum die SPD momentan so schwach ist: Sie war mit ihrem Reformismus sehr erfolgreich. Schröder und Fischer haben ja erst einmal versucht, mit ihrer Politik das rot-grüne Lager gegen CDU und FDP zu stärken. Aber das Entscheidende ist eben heutzutage, dass man, sobald man regiert, viel gewaltigeren Zwängen unterworfen ist, als man vorher geglaubt hat, wie man ja an der Beteiligung der Bundeswehr am Kosovo-Krieg ersehen kann, wo man innerhalb kürzester Zeit sich für oder wider entscheiden musste. Das Gleiche gilt für Ökonomie: Was die SPD heute wieder zurückdrehen will, hat sie damals selber beschlossen. Mit einem Rechts-Links-Schisma kommt man dieser Realität nicht mehr bei, das sieht man ja auch bei Obama in den USA und Hollande in Frankreich. Sie alle müssen Entscheidungen treffen, die sie nicht wollen, zu denen sie aber durch die Umstände objektiv gezwungen werden.

Es gibt zwar auch modische Zeitgeist-Strömungen, die sich nicht unmittelbar auf die wirtschaftliche Lage beziehen, aber hinter diesen Haltungen bildet sich etwas ab, was in der Gesellschaft noch nicht verstanden wurde oder widersprüchlich ist. Doch stärker wirkt der Realitätsdruck. Es ist kein Zufall, dass der größte, wenn auch äußerst umstrittene Erfolg von Rot-Grün die Agenda 2010 und Hartz IV war: Ausgerechnet eine Regierung der linken Mitte vollzieht das, was man eigentlich von einer liberalkonservativen Regierung erwarten könnte. Ich wette: Ähnliches werden wir bald in Frankreich erleben.

Gender-Theorie "Totaler Pipifax"

Sie schreiben, dass es die Linke seinerzeit beim Thema Sex – wie etwa die feministische Polemik um das "Schwanzficken" zeigt – theoretisch und praktisch auch nicht immer leicht hatte. Welchen Weg hat seitdem der Feminismus genommen und was halten Sie von der momentan recht angesagten Gender-Theorie?

Reinhard Mohr: Das "Schwanzficken" ist ein Begriff aus den 70ern. Damals war klar, dass die männliche Sexualität ein Akt der Aggression gegen die Frau ist. Das hat zumindest Alice Schwarzer geschrieben. Viele Frauen haben sich erst einmal besinnen müssen, ob sie das auch so empfinden. Aber bei den Männern gab es eine riesige Verunsicherung, und daraus resultierte dann auch der "Softie" der späten Siebziger und frühen Achtziger Jahre. Der Feminismus ist seitdem in puncto Emanzipation und Gleichberechtigung eine echte Erfolgsgeschichte geworden. Die Gender-Theorie jedoch, bei der davon ausgegangen wird, dass das Geschlecht ein soziales Konstrukt sei und man deswegen über Gender-Mainstreaming alle Unterschiede zwischen Mann und Frau nivellieren könnte, würde ich eher einem Gleichheitswahn zuordnen.

An der Universität Leipzig werden heute auch die männlichen Professoren Professorin genannt, das ist doch totaler Pipifax. Der Feminismus hat sich so erfolgreich durchgesetzt, dass er sich heute in einen Stadium befindet, wo er sich vor allem symbolischer Handlungen annimmt. Es werden ständig neue Sprachregelungen erfunden, die ich ziemlich absurd finde.

Sie rügen, dass sich die Linke beim Thema Islam vor allem durch Realitätsverweigerung auszeichnet. Können Sie das näher erklären?

Reinhard Mohr: Ich frage mich beim Thema Islam immer wieder, wo denn die linke Religionskritik bleibt. Die ganze Zeit wurde und wird der Papst und das Christentum bekämpft, aber den Iman lässt man in Ruhe. Wo bleibt die Kritik an dem patriarchalisch-chauvinistischem Gehabe, an Antisemitismus und all dem Anti-Aufklärerischen im Islam? Was ist mit der Rolle der Frau? Was ist mit den islamischen Parallelgesellschaften, in denen die Clan-Chefs ihre eigenen Gesetze aufstellen? Hier gibt es einen seltsamen linken Multi-Kulti-Bonus, und man weigert sich, die Probleme überhaupt nur wahrzunehmen. Wenn man den obligatorischen Deutschunterricht – wie Claudia Roth vor Jahren – als "Zwangsgermanisierung" tituliert, vergibt man den jungen Leuten die Chance überhaupt Deutsch zu lernen. Sie werden dann über kurz oder lang auf der Strecke bleiben. Das finde ich wirklich fahrlässig.

Natürlich gibt es rechtsradikale Islam-Feinde und Fanatiker, die ihre Kritik völlig überziehen. Wenn man aber jede Kritik am Islam, also auch die Religionskritik und die Kritik an der Unterdrückung der Frauen, mit dem Dampfhammer-Begriff Islamophobie denunziert, dann gibt es kein geistiges Instrumentarium mehr, um die Staaten zu kritisieren, in denen der Islam Staatsreligion ist. Hier fehlt mir die Genauigkeit und die Kritikfähigkeit an Herrschaftsstrukturen, die ansonsten die Linken auszeichnet.

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