Blockaden in Mexiko
Die Anhänger des Linkskandidaten in Mexiko blockieren nach einer erneuten Massenkundgebung das Zentrum der Hauptstadt
Mexiko ist nach dem Wahldebakel vom 2. Juli blockiert. Das gilt nicht nur politisch. Ganz materiell blockieren die Anhänger des Kandidaten der Linkskoalition Andrés Manuel López Obrador (AMLO) das Zentrum der Hauptstadt, um eine Neuauszählung der Stimmen zu erreichen. Am Wochenende hatten mehr als eine Million Menschen gegen den unterstellten „Wahlbetrug“ demonstriert. Obrador hat sich zum Wahlsieger erklärt und einige Teilsieg erreicht. Das Wahlgericht hat die Anfechtungsklage angenommen. Die Opposition kann Anomalien in zahllosen Wahllokalen für eine gerichtliche Begutachtung belegen. Die Lage spitzt sich weiter zu, bevor die Richter bis zum Ende des Monats möglicherweise die Wahlen annullieren oder eine Neuauszählung anordnen.
Dass sich das Linksbündnis nicht geschlagen gibt, hatte es schon vor zwei Wochen mit einer eindrücklichen Demonstration gezeigt. Doch die Mobilisierungskraft der Koalition „Für das Wohl aller", hinter der federführend die „Partei der Demokratischen Revolution" (PRD) steht, verstärkt sich weiter. Am Wochenende forderten weit mehr als eine Million Menschen in der Hauptstadt erneut eine Neuauszählung der Wahlen. Das war damit die dritte Massendemonstration in nur einem Monat.
Angesichts der vielen Anomalien bei der Auszählung ist der Vorsprung von 0,58 Prozentpunkten (244.000 Stimmen) zu dünn, um damit behaupten zu können, der konservative Felipe Calderón habe die Wahl gewonnen. Schon die Manipulation durch die regierende „Partei der Nationalen Aktion“ (PAN) an jeweils zwei Stimmen in jedem der 130.000 Wahlbüros hätte gereicht, um das Ergebnis zu fälschen.
Obrador, der 52-jährige Ex-Bürgermeister von Mexiko-Stadt, hatte seine Anhänger dazu aufgerufen, 47 „ständige Protestcamps“ zu errichten, um so den „friedlichen Widerstand“ zu intensivieren. Obrador nimmt so die Widerstandsform der Lehrer im südlichen Bundesstaat Oaxaca auf, die seit Monaten für bessere Bedingungen protestieren. Dass die Stadtpolizei in der Hauptstadt wie in Oaxaca gegen die Protestierer vorgeht, ist kaum zu befürchten, da sie von Anhängern des ehemaligen Bürgermeisters Obrador kontrolliert wird.
Mit dem Protest ist es dem gelungen, das Zentrum der Hauptstadt zu belagern. Der Verkehr im Zentrum einer der größten Metropolen der Welt brach am Montag und am Dienstag zusammen, weil auch die Hauptverkehrsader blockiert wird, an der unter anderem die mexikanische Börse, diverse Regierungsstellen sowie große Konzerne ihren Sitz haben. Die 47 Protestcamps, dessen zentrales Lager sich auf dem Zócalo, dem politischen Zentrum der Hauptstadt befindet, repräsentieren die 31 Bundesstaaten und die 16 Wahlbezirke der Hauptstadt. Bis zur definitiven Entscheidung des Bundeswahlgerichts über die Anfechtung der Wahlen durch Obrador, will er rotierend in den Zeltlagern nächtigen.
Zwei Wahlsieger
Nach Calderón hatte Obrador sich letzte Woche auch zum „wahren Wahlsieger“ erklärt: „Wir haben das Präsidentenamt gewonnen und ich werde niemals anerkennen, dass diese Wahl sauber, frei und unter gleichen Bedingungen stattfand.“ Die Mobilisierungen werde er nu abbrechen und das Resultat anerkennen, wenn es zu einer kompletten Nachzählung der Stimmen komme. Auf dem Weg zur Neuauszählung - „Stimme für Stimme, Wahllokal für Wahllokal“ - hat Obrador einige wichtige Teilsiege erreicht. Der Präsident des Bundeswahlgerichts hat seine Hauptanfechtungsklage zugelassen. Der Opposition gelang es „Anomalien“ in mehreren zehntausend Wahllokalen so weit zu belegen, dass sie für eine gerichtliche Begutachtung in Betracht kommen. Obrador spricht davon, dass in 72.000 Wahllokalen massiv geschummelt wurde.
Tatsächlich muss es sogar bei der Kontrollzählung nicht sauber zugegangen sein. Nun hat das Wahlgericht (TEPJF) die Neuauszählung dieser 300 Referenzpunkte „Stimme für Stimme“ angeordnet. Bei der Kontrollzählung war die Besonderheit zu beobachten gewesen, dass Obrador bis zur Auszählung von 95 % der Stimmen vorne lag und ganz zum Schluss drehte sich das Ergebnis plötzlich um (Der Tabasco-Effekt bei den Wahlen in Mexiko).
Doch für die Linkskoalition ist die Anordnung des Wahlgerichts noch kein Grund, falsche Hoffnungen zu schüren. Erst wenn alle Stimmen neu ausgezählt werden, würde der ganze Betrug auffliegen. Dass die Wahlkommission (IFE) wieder einmal eigene Zahlen „richtig stellen“ musste, hatte den Boden für den Vorgang geebnet. In einem Bericht musste die Behörde zugeben, dass bei der Kontrollzählung nicht 2.873 Wahlurnen geprüft worden waren, wie zuvor behauptet wurde, sondern nur 2.864.
Das ist eine neue Peinlichkeit, die das Vertrauen in diese Kommission weiter untergraben hat. Obrador hat derweil Strafanzeige gegen die Behörde gestellt. Sie richtet sich gegen das neunköpfige Direktorium und vor allem gegen den IFE-Präsident Luis Carlos Ugalde, der schon vor dem Ende der Auszählung Calderón zum Sieger erklärt hatte.
Calderón hält sich weiter für den Sieger und spricht gebetsmühlenhaft von den „demokratischsten Wahlen“ in der mexikanischen Geschichte. Er forderte seinerseits das Wahlgericht auf, die Wahlen für gültig zu erklären. Auch das ist wenig demokratisch, wenn der Führer einer Regierungspartei versucht, der Justiz Vorschriften zu machen. Auch dafür muss er sich die Seitenhiebe von Obrador gefallen lassen: „Wer nichts zu verbergen hat, hat auch nichts zu fürchten“, gibt der gebetsmühlenartig zurück.
Die sieben Richter des Bundeswahlgerichts müssen nun bis zum 31. August über den Antrag von López Obrador entscheiden, ob die Stimmen neu ausgezählt werden, die Wahl insgesamt annulliert wird. Denn nach dem Wahlgesetz muss bis zum 6. September der Namen des neuen Staatspräsidenten offiziell bekannt gegeben werden. Wenigstens bis dahin wird sich Mexiko auf eine unruhige Zeit einstellen müssen.