Blog or Die

Nun fangen auch schon Konzernchefs zu bloggen an, beispielsweise der Vizevorsitzende von GM

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Blogs haben Erfolg - oder er wird ihnen zumindest attestiert. Die persönliche Nachrichtenauswahl, die durch ein Subjekt gefilterte Perspektive auf die Welt oder einen Ausschnitt von dieser, der Journalismus von unten, die Wir-Medien - das scheint mittlerweile eine Art Erfolgsrezept zu sein, bei dem allerdings nur viel, was das Internet schon immer ausgezeichnet hat, noch einmal so erzählt wird, als wäre es neu.

Der viralen oder memetischen Ansteckung dieser Mode sind die Medien-Profis schon längst verfallen - und sei es nur, dass sie sich von dem "grassroot journalism" bedroht oder herausgefordert fühlen, wenn sie ihn nicht selbst nachahmen, möglicherweise auch nur aus dem Grund, nicht von der Entwicklung abgehängt zu werden. Wir sind auch dabei, ist die Losung. Wir schwimmen mit (und verbringen so noch mehr Zeit mit Informationsverarbeitung und dem Internet als zweiter Heimat).

Aber mittlerweile scheint die Idee auch als Marketing-Konzept nicht nur bei mitteilsamen Individuen, aufstrebenden Aufmerksamkeitssuchern, altgedienten Journalisten oder wie auch immer motivierten Zeitgenossen angekommen zu sein. Es hat auch die Bosse der Konzerne erwischt, die nun über ein Blog persönlich mit dem Volk, optimal: mit den Käufern der Produkte, in Kontakt treten wollen, sozusagen Auge in Auge, wenn auch aus sicherer Entfernung.

Irgendwie hat es jedenfalls mittlerweile auch Robert A. Lutz, den 72-jährigen Vizevorsitzenden von GM und den Vorsitzenden von GM Nordamerika erwischt, zumindest scheint er so beraten worden zu sein, im neuen Jahr mit viel Schwung einen Blog zu beginnen, um womöglich auch so dem Konzern wieder ein wenig Schwung zu verleihen. Natürlich darf man daran zweifeln dass Lutz seine Beiträge selbst verfasst, der ja vermutlich seinen auch im Blog Fastlane veröffentlichten Reden von einem Ghostwriter verfertigen lässt. Und vermutlich ist nach dem GM-Blog Smallblock, gestartet im Oktober 2004, eine weitere Werbeoffensive opportun gewesen.

Den zufällig vorüberstolpernden Leser wird natürlich viel versprochen, Einblick in die neuesten Gedanken der eigentlich nicht gerade reüssierenden GM-Chefs über das Unternehmen und den Gang der Wirtschaft. Und Lutz oder wer auch immer kündigt die Vorfreude über einen "offenen Austausch von Meinungen" an und begrüßt die Ideen und den Feedback der Besucher. Wie nicht anders zu erwarten, findet aber Kommunikation bislang nur einseitig statt. Immerhin sagt Lutz oder wer auch immer: "Really happy and pleased to see the comments. I like the fact that Saturn still has your interest." Aber das könnte sich ja noch ändern, egal, ob dies Lutz, Saturn oder die Nicht-Kommunikation betrifft. Oder wird doch kommuniziert, wie dieser Eintrag vom 8.1. nahelegt - oder auch nicht:

Wow

I'm impressed with the passion and insight of you fastlane bloggers. Believe me: interiors definitely are as high on my list as they are on yours. Stuff like you see on HHR and Cobalt, H3, or the Sky will be the standard at GM going forward. Very much encouraged also by many of you acknowledging that you see the progress we're making. You real people have more faith in us than many media seem to do! Pity I can't reply individually to each of you. Keep up the flow, even though I might be too busy these next 2-3 days with the Detroit auto show to give much of an instant response.

Schön ist auch die Begründung, warum es den Konzernchef dazu treibt, Blogger zu werden (oder dies zu simulieren). Bislang habe er nur immer die Automobilpublikationen gelesen oder auf diese reagiert, aber da nun im Zeitalter des Internet jeder ein Journalist werden kann, auch die Top-Manager, wird nun Lutz ein paar Kommentare machen. Als erstes werden von ihm einige Produkte im Vorfeld der Automesse in Detroit angepriesen. In den Olymp der empfohlenen Blogs hat es immerhin auch der von Dan Gilmore gebracht. Sonst liebt man halt das Produkt-Verbundene aus der Welt der Automobile. Und die Blogosphere wird den Einfall der Werbe- und Marketingstrategen auch überleben. "Blog or Die" dürfte hier wohl heißen, dass die "Tagebücher" der Konzernlenker, wenn sie nicht tatsächlich den Geist des Internet übernehmen und tatsächlich auch einmal ein wenig zumindest nicht-strategische Gedanken und Verweise zulassen und die versprochene Kommunikation einlösen, mangels Interesse und Zukunftsfähigkeit wieder einschrumpfen.