"Blogs!" das Buch über die Webtagebücher
Don Alphonso und Kai Pahl stellen sich der Bloggeria
Wer über Blogs schreibt, wird hoch gelobt – wenn das eigene Blog erwähnt wird. Ist dies nicht der Fall, was sich rein statistisch in den meisten Fällen nicht vermeiden lässt, dann gibt es im Netz leicht einen hundertfachen Verriss, wenn der Rest nicht hundert Prozent sitzt. Folglich haben sich hier zwei Autoren auf einen heißen Ritt eingelassen.
Don Alphonso wird sich hiervor nicht fürchten, er ist an virtuell fliegende Eier, Tomaten und Handgranaten bereits gewohnt: Er ist der bekannteste Schreiber des Gemeinschaftsblogs "Dotcomtod", auf dem seit bald 5 Jahren deftige Sprüche zu meist ebenso deftigen unsauberen Geschäften der New Economy und Artverwandten gekloppt werden. Daneben führt er seit noch nicht ganz einem Jahr auch ein eigenes Blog, die "Rebellen ohne Markt" und hat mit "Liquide" auch den ultimativen Roman über die New Economy im freien Fall geschrieben.
Kai Pahl, der zweite Autor und Herausgeber des neuen Blog-Buchs, fing mit seinem Hundefutter-Blog dagegen schon vor knapp über 5 Jahren an und ist in der Blog-Szene einer der meistgelesenen und bekanntesten Blogger.
"Blogs!" ist natürlich nicht das erste Buch über Weblogs, so gab es beispielsweise bereits "Das Blog-Buch" aus dem bei Computerthemen stets überflinken Hause Markt & Technik, in dem Dirk Olbertz die Blog-Technik und einige ausgewählte Blogs vorgestellt hat, deren Betreiber davon teils völlig überrascht wurden und "readme.txt" als Book on Demand im Eigenverlag von Knallgrau.at, die Anfang 2003 den kommerziellen Bloghoster Twoday.net ins Leben gerufen haben und in dem Buch eine Auswahl ihrer besten Blogs versammelten.
Blogs statt am Schirm auf Papier nachlesen zu können, ist einerseits zum Einstieg ganz putzig, wenn man dazu freie Momente im Urlaub oder an einem sonnigen Tag auf der Terrasse verwenden kann, andererseits fehlt natürlich das Wichtigste am Blog: Die Möglichkeit, die Links in den Beiträgen anklicken zu können. Blogs, die stark von Links leben, wie Moes Blog oder Industrial Technology and Witchcraft sind folglich für den Buchabdruck eher ungeeignet und Bücher über Blogs – mal abgesehen von der Archivierung einer Zeitströmung und der Bauchpinselei für die so auf totem Baum verewigten Blogger – vor allem für Neulinge nützlich, obwohl auch diese das Topic eher online entdecken dürften. Aber so könnte mancher ein Blog entdecken, auf das er von alleine nicht gekommen wäre. Neben 15 klassischen Einzel-Blogs wurde in "Blogs!" mit woman.twoday.net auch ein Blog-Duett aufgenommen und mit dem schon erwähnten Dotcomtod und den Tagebüchern von Jetzt.de auch zwei Gemeinschaftsblogs.
Angekündigt war "Blogs!" bereits für den April diesen Jahres, doch dann kam einem der Autoren der Aufbau dazwischen. Doch Kai und Don hatten Glück: in den vergangenen 5 Monaten kam ihnen trotzdem niemand mit einem Standardwerk über Blogs zuvor, obwohl einige Manuskripte in Arbeit sein sollen und am 1. September 2004 kommt "Blogs!" nun endlich in den Buchhandel.
Don't hate the media
Become the media
Jello Biafra
Das Ergebnis hat prinzipiell den bewährten Aufbau "praktische Hilfe und Best of Blogs", doch die Ausführung ist gelungen. Die ewige Diskussion, ob Blogs nun vorzugsweise Journalisten auf Fehler überwachen und eine Konkurrenz zu etablierten Medien darstellen oder gar den Tod des Journalismus einläuten sollen, wird zwar etwas überbewertet, denn inzwischen leben sowohl die Blogs gut davon, die einschlägigen Newsticker zu beobachten als auch umgekehrt und das Establishment aus Politik, Parteien und Medien ist längst dabei, die Blog-Revolution zu fressen. Aber auch im Jahr 2004 wollen halt viele Internetuser nicht nur passive Konsumenten sein, so wie Rundfunk und Fernsehen das Net gerne hätten, sondern selbst etwas beitragen (Jeder ist Chefredakteur) – und seien es nur ein paar unwichtige ketzerische Gedanken auf einer Graffittiwand hinter der letzten Firewall links unten.
Auch wenn die Blogs professioneller werden und längst über das Tagebuchstadium des Formats heute wieder schwere Blähungen gehabt hinaus sind, müssen sie sich meist noch nicht mit denselben Problemen herumschlagen wie richtige journalistische Online-Magazine – außer den juristischen Fallen, die sich für Amateure und Privatleute meist deutlich übler auswirken als für die Profis, die zudem einen Verlag mit Rechtsabteilung hinter sich haben und bei denen es ihnen auch kein Jurist persönlich übel nimmt, wenn jene das Problem löst und nicht der Schreiber persönlich. Deshalb steuert Don Alphonso, der selbst Journalist ist und nicht Techniker, auch keine Technik-Tipps zum Buch bei, sondern unter dem Titel Was tun, wenn der Anwalt kommt? praxisnahe erste Hilfe, wenn Abmahner bestimmte Texte oder Links verschwinden oder ein Impressum auftauchen lassen oder gar die ganze Website samt Domain an sich nehmen wollen. Von "Dotcomtod" den Kontakt mit Anwälten gewohnt, spricht Don hier ein wahres Wort fast zu gelassen aus:
Das Internet war zu Beginn ein rechtsfreier Raum aber dann brach die New Economy herein, und in ihrem Schlepptau kamen die Anwälte, die im Bereich Internetrecht das ganz grosse Geschäft witterten. Musterprozesse wurden angestrengt, untaugliche Gesetze für das neue Medium zu(un)rechtgebogen, und bald waren auch unseriöse Abmahnjuristen da: Raubritter des Internets, die mit Serienabmahnungen Websitebetreiber ausplündern, weil sie Rechtsverstöße unterstellen. Aus dem rechtsfreien Raum wurde ein Ort, wo ein falsches Wort oder eine vergessene Angabe zur unerfreulichen und teuren Bekanntschaft mit Leuten führen kann, die sich ironischerweise als "Organe der Rechtspflege" bezeichnen.
Nach dem Boom bei den Internet-Juristen kam die Pleite. Zu Tausenden wurden Juristen arbeitslos, weil sich die Spezialisierung auf Online-Recht als Sackgasse erwies. Zum einem brauchte die Mandantschaft der Startups anwaltliche Hilfe nur noch wegen so altmodischer Gesetzesverstöße wie Unterschlagung, Insolvenzverschleppung und Kreditbetrug. Zum anderen zeigte sich schnell, dass sich das Internet problemlos mit den bestehenden Gesetzen regeln lässt. Mit den Entrepreneuren, Consultants und Online-Redakteuren landete eine ganze Generation von Juristen beim Arbeitsamt.
Wenn Aufträge fehlen, muss man sie sich selbst machen. Momentan tendieren viele Anwälte dazu, ihrer Mandantschaft selbst bei rechtlich aussichtslosen Fällen einen Rechtsstreit einzureden. Ins Visier gewisser fadenscheiniger Anwaltskreise geraten dabei gerade Einzelpersonen und Freiberufler, die im Gegensatz zu Firmen nicht bei jeder Gelegenheit eine Rechtsabteilung konsultieren können. Bei ihnen geht man in davon aus, dass sie sich von den offiziös anmutenden Schreiben einer Kanzlei beeindrucken lassen, und lieber den rechtlichen und finanziellen Förderungen nachkommen, als sich auf den angedrohten, gefährlich wirkenden Rechtsstreit einzulassen.
<SATIRE>Wenn dann so eine Abmahnung im Briefkasten landet, denkt man im ersten Moment natürlich gern an die Herbeiführung gewaltsamer und qualvoller Todesumstände mittels eines stumpfen Gegenstands bei gleichzeitigem Ersticken durch die Einführung besagter Schreiben in die Atemröhre. Allerdings wäre mit dem Anwalt und seinem Auftraggeber das juristische Problem an sich nicht aus der Welt geschafft, zudem wären neue Probleme und Gesetzesverstösse entstanden.</SATIRE>
In jedem Fall ist es erst mal besser, ruhig durchzuatmen, locker zu bleiben und diesen Abschnitt von Anbeginn noch mal zu lesen.
Und sich vor Augen zu halten: Auf der anderen Seite sitzen in der Regel nicht diejenigen, die im Recht sind, sondern oft nur ahnungslose Choleriker, denen mickrige Hungerleider dieses Vorgehen für zwei Stundensätze aufschwatzen. Meistens ist es ein Steuerberater, Kumpel, Ex-Lover oder alter Schulfreund des Mandanten, der sich hinter dem hochtrabenden Namen wie, sagen wir mal, "Hans-Dieter Lochsocky, Partner bei Axelsweiss, Spekragen & Associates" verbirgt. Ein wirklich guter Anwalt hat es eigentlich nicht nötig, sich um eine Äußerung in Blogs zu kümmern. Und selbst wenn ein besserer Name auf dem Schrieb steht, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass es letztlich von einem Praktikanten im 4. Semester aufgesetzt wurde.
In der Regel kommen Blogger vor allem in drei Bereichen in Konfliktsituationen: Bei Urheberrechten, Markenrechten und durch Kritik und Schmähungen, die möglicherweise nicht durch die Meinungsfreiheit gedeckt sind. In fast allen Fällen sehen dabei Privatpersonen und Unternehmen ihre Rechte verletzt. Egal wie brutal das Schreiben dann klingt: Es ist alles nur halb so schlimm, solange es nicht der Staatsanwalt ist.
All das kann man natürlich umgehen, wenn man sein Blog im Ausland hostet und auf einen Realnamen verzichtet. Neben dem Ausbleiben von Anwaltspost erspart dies auch Ärger mit Arbeitgebern und Freunden, denen nicht alles im Blog gefällt. Denn es gibt nun mal keine Website und keinen E-Mail-Account, der unwichtig genug wäre, um von den Abmahnanwälten garantiert in Ruhe gelassen zu werden.
Die von Kai und Don vorgestellten Blogger sind sowohl von der High-Risk-"Ich schreibe mit Impressum und eigener Domain"- als auch von der "Ich schreibe anonym, denn nur so kann ich offen reden"-Fraktion und die einen sind deshalb nicht langweiliger oder unverschämter als die anderen. Auch Hal Faber, der gute Heise-Geist, der stets Sonntag um Mitternacht auf dem Newsticker erscheint, hat ein Vorwort beigetragen, in dem er klarstellt, dass er aber nun mal eine Kolumne schreibt und kein Blog.
Danach werden die Weblogs vorgestellt:
- Miss Understood
- Banana's Spackonauten
- Emily's Beatbox
- @lles wird gut - oder auch mal net
- Elfengleich
- Anke Gröner
- Ligne Claire
- Argh!
- der Kutter mit Grundsatzfragen, SOS Deutschland und Musikängsten
- Miagolare über Männer und Frauen
- die Reisenotizen aus der Realität, der Frankfurter Provinz und von Buchmessen
- DeKaF der ins Silicon Valley geflüchtete Blogger und die Strickbloggerinnen
- Siebenviertel über US-Kultur und schließlich
- die Freakshow unter anderem über eine Begegnung mit Tim Renner
Kai Pahl geht schließlich noch ausführlich auf die Technik ein, wobei es hier nicht um HTML-Programmierung geht, sondern um die grundlegenden Fragen: "Normalhoster oder spezieller Bloghoster?", "Blogsoftware oder Content Management System/Portalsoftware", "eigene Domain oder anonymer Freespace", Seitenlinien wie Audioblogging, Videoblogging oder Mob-Logging, nein, Mo-Blogging (mobile blogging), Grundfunktionen wie Archiv, Trackbacks, unterschiedliche populäre Blogsysteme, Bloghoster und Blogsuchmaschinen.
Damit ist auch dieser Aspekt abgehandelt und das Buch komplett, rund und auch für den geeignet, der dem Thema "Weblog" bislang distanziert gegenübersteht. Allerdings sollte man nicht übersehen, dass viele der beschriebenen Blogger ihre Online-Zeiten mit "vom Aufwachen bis zum ins Bett gehen, der Rechner auch noch, während ich schlafe" beschreiben. Ein kleines bisschen Internetsucht und Masochismus gehört zum regelmäßigen Führen eines Blogs, denn neben lästigen und mitunter auch kostspieligen Belästigungen durch Rechtsanwälte (Abmahner und Absahner: Anwälte packen aus) muss der Blogger ja auch noch mit Besuchen von Trollen und Stalkern ("Der Troll, der mich liebte") rechnen, die diesen Tätigkeiten nicht beruflich, sondern "nur" in ihrer Freizeit nachgehen...
Don Alphonso & Kai Pahl, "Blogs", Schwarzkopf & Schwarzkopf, Berlin, Broschiert, 350 Seiten, ISBN: 3-89602-600-3