Bombenteppiche für Gaddafi

Seite 2: Doppelmoral

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Bekanntlich knechtete auch Saddam Hussein sein Volk bis aufs Ärgste. In den Gefängnissen ließ er nicht nur bedenkenlos foltern, er mordete auch Teile seines Volkes und setzte zu seiner Beseitigung gar Giftgas ein. Auch war er in den Achtzigern, genau wie Gaddafi in den letzten fünfzehn Jahren, ein "nützlicher Idiot" für den Westen, um zu verhindern, dass sich die islamische Revolution über die arabische Halbinsel ausbreiten konnte.

Noch anno 2003 sollte die Attacke gegen den irakischen Despoten jenen demokratischen Wandel in der arabischen Welt herbeiführen, der acht Jahre später fast wie von selbst stattfindet, aber plötzlich von allen verlangt und vollmundig begrüßt wird. Als Bush und Co. der Demokratisierung mit Bomben und Kanonen auf die Sprünge helfen wollte, zeigten sich genau jene, die jetzt losjubeln und nach Waffengängen verlangen, noch grenzenlos empört.

Macht es vielleicht doch einen Unterschied, wer wann wo gegen wen und warum ins Feld zieht? Sind Bomben und Cruise Missiles, die im Namen Sarkozys und Obama abgeworfen und abgefeuert werden, moralisch höherwertiger als die von Neocons, Bush und Konsorten? Mit "rhetorischen Kunstgriffen" (Obamas Morgendämmerung) lässt sich das nicht zurechtbiegen. Damit lenkt man höchstens von diesen Widersprüchen ab.

Warum nur Gaddafi?

Es ist schon bemerkenswert, wie rasch der Gedanke der Neocons, dass man Demokratie herbeibomben könnte, auch bei vormaligen Kriegsgegnern Fuß fassen konnte. Angesichts der grandios gescheiterten Versuche, in Somalia, dem Irak und in Afghanistan demokratische Verhältnisse herzustellen, überrascht die Leidenschaft, mit der militärischen Gedankenspiele auf einmal in intellektuellen Lagern um sich greifen.

Gleichwohl muss man auch fragen, warum die NATO nur in Libyen "human interveniert", nicht aber auch im Jemen oder in Syrien (Gunfire in locked-down Syrian city). Auch da regieren Despoten, die auf ihr Volk schießen lassen. Oder nicht auch in der Elfenbeinküste, die lange Zeit ein französisches Mündel war und immer noch ist und wo unlängst ein Monate währender Bürgerkrieg tobte.

Traut man Berichten, dann gab es dort bisweilen "mehr als 800 Tote an einem Tag". Werden schon Opferzahlen zum Gradmesser einer militärischen Operation gemacht, dann hätte es womöglich eher Grund gegeben, in Abidjan zu intervenieren als in Libyen.

In Frankreich umstritten

Gleichwohl verdeckte der hierzulande ausgetragene Streit um die Libyen-Politik der Bundesregierung, dass der Militäreinsatz auch in den Befürworterstaaten nicht ganz unumstritten war.

So wies etwa der einstige Chef der Organisation "Ärzte ohne Grenzen" Rony Brauman in der Libération (Je ne crois pas aux bombardements pour instaurer la démocratie) ausdrücklich darauf hin, dass die Bilanz bisheriger Militäreinsätze zeige, dass die "Heilmittel weit schlimmer ausfallen als die Krankheiten", die sie zu heilen vorgeben. Ein Verzicht auf gewaltsame Akte sei daher besser als dem Traum vom "gerechten Krieg" weiter nachzuhängen.

Gab der bulgarische Philosoph Tzvetan Todorov in derselben Zeitung zu bedenken, dass "Massaker, die im Namen der Demokratie stattfinden nicht erträglicher sind als jene, die im Namen des Herrn, Allahs, des Führers oder der Partei begangen werden" (Il n'existe pas de guerre juste), setzte sich der neunzigjährige Jean Daniel in seiner Antwort an Todorov ausdrücklich für ein sofortiges Zuhilfekommen ein (Cher Todorov), während Alain Frachon, einer der redaktionellen Leiter bei Le Monde, sich nicht so recht entscheiden wollte, ob er nun dafür oder doch dagegen sein sollte (En Libye, on fait quoi demain et après-demain?).

In den USA ebenso

Michael Walzer, Kommunitarist, Theoretiker des "gerechten Krieges" und Mitautor des Manifests What We Are Fighting For, das Bush im Kampf gegen den Terror moralisch unterstützen und ihn rechtfertigen sollte, bemängelte in The New Republic dagegen nicht nur die "politische Zielsetzung" der Gewaltaktion, sondern auch die Vorstellung, sie werde von den arabischen Staaten breit unterstützt (The Case Against Our Attack on Libya).

Außer Katar und einigen arabischen Emiraten, die knapp ein Prozent der arabischen Bevölkerung repräsentieren, habe keine nennenswerte arabische Macht die Bereitstellung von Militärkräften zugesagt. Auch Ägypten, unmittelbarer Nachbar des Landes, und Saudi-Arabien nicht, die beide über eine sehr schlagkräftige Luftwaffe verfügten. Zudem könne er keinerlei Anzeichen oder Anlässe entdecken, die einen "gerechten Krieg" rechtfertigen könnten.

Gewiss unterdrücke Gaddafi sein Volk, der Vergleich mit Darfur, Ruanda oder gar Sebrenica sei aber völlig abwegig. Die Bedrohung der libyschen Bevölkerung sei nicht so "extrem hoch", als dass ein militärisches Eingreifen moralisch geboten sei. Demokratie lasse sich weder mit Gewalt noch unter dem Schutzmantel äußerer Mächte installieren. Sie könne nur durch die Menschen vor Ort erfolgen.

Damit legte Walzer den Finger genau in die Wunde. Gab es tatsächlich ein "Blutbad" in Benghasi zu befürchten? War es zwingend notwendig, dem Diktator "vorauseilend" ins blutige Handwerk zu pfuschen? William Galston wies Michael Walzer im selben Blatt (Necessary and Sufficient) darauf hin, dass man Gaddafi beim Wort nehmen musste, zumal er einer der schlimmsten Diktatoren der Erde ist.