Bombenteppiche für Gaddafi

Seite 3: Vorbeugender Schutz?

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Wie immer man sich in dieser Frage auch positioniert, all das ändert nichts daran, dass das der Resolution neu hinzugefügte Prinzip, das von einer "Verantwortung zum Schutz" ausgeht, allen künftigen Interventionen Tür und Tor öffnet. Gestützt auf diese neue Maxime, so der bulgarische Philosoph Todorov in der Libération, könne fortan jede äußere Macht sich das Recht herausnehmen, in einem anderen Land militärisch zu intervenieren. Eine Vielzahl von Kriegen wäre unter Umständen die Folge.

Irgendwo auf der Welt gebe es immer irgendeine Minderheit, eine Ethnie oder eine Kultur, die bedroht ist, die Tibeter in China, die Tschetschenen in Russland, die Palästinenser in Israel. Oder morgen vielleicht die Basken in Spanien, die Sinti in Rumänien, die Schiiten in Saudi-Arabien oder die Katholiken im Irak.

Stimmte man der in der Resolution aufgemachten Ausgangsprämisse zu, wonach es um die Verhinderung eines Massakers gegangen sei, dann hieße das zugleich auch, zuzugeben, dass eine der Basissätze der Bush-Doktrin), nämlich die "preemptive strikes" (Vorbeugende Militäreinsätze) nicht nur richtig und wichtig sind, sondern auch im Falle eines Falles begründet und gerechtfertig sind.

Unvoreingenommen betrachtet trifft das in Libyen aber nicht zu. Weder ist dort ein "Völkermord" zu befürchten noch handelt es sich da um ein "Verbrechen gegen die Menschlichkeit". Auch von einer "ethnischen Säuberung" kann nicht gesprochen werden. Streng genommen liegen bislang nicht mal Beweise für mögliche "Kriegsverbrechen" vor. Berichte über den Einsatz von Streubomben oder das Köpfen von Gaddafi-Gefolgsleuten sind eher Teil der Propaganda und der psychologischen Kriegsführung, die beide Seiten verfolgen.

Gaddafi und seine Schergen mögen in Gefängnissen gefoltert, Terroranschläge in Berlin und über Lockerbie initiiert und das Volk schamlos ausgebeutet haben; und mag er auch die eine oder andere Drohung in Richtung der Rebellen und ihrer Hochburgen ausgestoßen haben, für eine Anwendung des Prinzips "Verantwortung zum Schutz", das erstmals auf Initiative des damaligen Generalsekretär Kofi Annan auf dem UN-Gipfel 2005 in die UN-Charta aufgenommen wurde, reichen diese Vergehen, so schlimm sie im Einzelnen auch sein mögen, nicht aus.

Innerstaatlicher Konflikt

Dass von den Unruhen im Land eine "Bedrohung des internationale Friedens und der internationale Sicherheit" ausgehen, ist eher ein politischer Vorwand, um einer "Koalition der Willigen" erneut den passenden Vorwand zum militärischen intervenieren zu liefern. Der Verdacht liegt auf der Hand, dass erneut und bewusst Recht, Ethik und Moral unzulässig vermischt und für durchsichtige politische Ziele missbraucht werden. Folgt man einigen völkerrechtlichen Analysen, dann stellt sogar das "Abschlachten von Zivilisten" nicht automatisch eine "internationale Bedrohung" dar (The Folly of Protection).

Laut UN-Charta ist der UN-Sicherheitsrat zwar zuständig für die "Erhaltung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit". Aber hat der libysche Oberst auch wirklich dagegen verstoßen? Objektiv und nüchtern gesehen, führt Oberst Gaddafi Krieg gegen bewaffnete Aufständische, die wiederum Krieg gegen ihn führen. Rechtlich betrachtet handelt es sich um einen innerstaatlichen Konflikt, mithin einen Bürgerkrieg.

Wächter über Menschenrechte

Machtpolitisch ist es zunächst völlig unerheblich, wie unlauter und unredlich oder wie lauter und redlich die Absichten der sich bekämpfenden Parteien sind. Hinzu kommt, dass es sich bei Gaddafi um einen bislang von allen anderen Staaten zwar meist wenig geschätzten, aber doch von allen anerkannten politischen Führer handelt, der Mitglied in internationalen Gemeinschaften ist, Verträge mit anderen Staaten geschlossen hat und eine Zeitlang und vor nicht allzu langer Zeit für die UN über die Einhaltung der Menschenrechte wachen durfte.

Nach dem klassischen Völkerrecht ist eine Einmischung Dritter nicht zulässig, da die Parteinahme für eine der Konfliktparteien diese gegenüber der anderen bevorteilen würde (Militärintervention gegen Gaddafi ist illegitim). Erst mit dem seit 2005 neu verankerten Prinzip der "responsibility to protect" ist es rechtlich möglich, dass sich eine äußere Macht in die Interna eines souveränen Staates einmischen und sich auch auf eine Seite der beiden Konfliktparteien schlagen darf. Aber dann auch nur, wenn ein konkrete Beweise für einen Verstoß gegen die vier genannten Vergehen vorliegen.