Boom der Roboterpopulation

Was die Erfolgsmeldungen des "Handbook of Industrial Robotics" mit den Katastrophenmeldungen des Berichts "State of the World 2000" des Worldwatch Institute zu tun haben könnte

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Die Weltbevölkerung wächst noch immer - aber nicht nur die Vertreter der Gattung Mensch, sondern auch ihre neuen, nichtbiologischen Geschöpfe, die Roboter, werden immer mehr. Zumindest breiten sich die Roboter vornehmlich in den Regionen der Welt aus, die nicht nur reich sind, sondern in denen die Bevölkerung auch zurückgeht sowie zunehmend älter und auch dicker wird, wie eben der Bericht "State of the World 2000" des Worldwatch Institute feststellte.

Personal Robot der nächsten Generation: "The R100 can recognize different members of the family. When called, it rolls right up and asks what it can do for you. With its built-in, full-time Internet connection, your R100 knows when you have email. Equipped with cameras and microphones, the R100 can even record video messeages and replay video messages on the TV. The R100 can turn your TV, lights and other appliances on/off at your request. When you're away from home, the robot looks after your home. If the robot comes across somebody, it can instantly record what it sees and send it to you as a video message to an e-mail address you specify. When it has nothing to do, the R100 will wander around the home. If it meets someone, it will say "Hello" or "Let's have some fun together." Sometimes it will just turn round and round, humming a tune to itself.

Nach dem Handbook of Industrial Robotics, das seit 15 Jahren kontinuierlich in aktualisierten Versionen erscheint, nimmt die Zahl der Roboter aller Art beständig zu. Die Zahl der Roboter pro 10000 Angestellten in der herstellenden Industrie sei seit 1980 bis 1996 explodiert, beispielsweise ist sie in Japan von 8,3 auf 265, in Deutschland von 2 auf 79, in den USA von 3 auf 38 und in Singapur von 0 auf 98 angewachsen. Natürlich sollte man hinzufügen, dass in dieser Zeit auch die Zahl der Angestellten in der herstellenden Industrie kontinuierlich abgenommen hat, die teilweise durch die Roboter selbst, vor allem aber durch andere Automatisierungs- und Rationalisierungsprozesse verdrängt wurden. Doch auch in absoluten Zahlen explodierte die Zahl der Roboter. Gab es im Jahr 1982 erst 35000, so 1996 schon 677000. Und im Jahr 2000 rechnet man, dass sich die Zahl mit 950000 bald einer Million nähert.

1985 sei es noch eher eine Vision gewesen, Menschen und Roboter zu integrieren, während es heute ganz gewöhnlich sei, dass Roboter und Menschen in Teams zusammenarbeiten und man immer stärker auch an der Koordination und Zusammenarbeit zwischen Maschinen und einem System mit vielen Robotern arbeite, wobei auch das kollektive Verhalten von Robotergruppen immer bedeutsamer werde. Bei Robotern kann man nicht mehr nur an die großen Maschinen denken, sondern es gibt auch zunehmend winzige Mikro- und Nanoroboter.

Shimon Nof, der Herausgeber des aktuellen Bandes, glaubt feststellen zu können, dass sich in den letzten Jahren auch die Einstellung gegenüber den Robotern grundlegend verändert habe: "Die Angst, dass Roboter Arbeiter ersetzen könnten, ist völlig verschwunden." Stattdessen hätten Roboter eine höher ausgebildete Arbeiterschaft entstehen lassen, die besser mit Robotern und Computern umgehen könne." Das freilich heißt nicht, dass sie nicht doch menschliche Arbeitskraft ersetzen, zumal es auffällig ist, dass es wohl einen Zusammenhang zwischen der Höhe der Lohnkosten und der Zahl der Roboter gibt. Die sogenannte Asienkrise hat zumindest in den USA und Asien zu einem vorübergehenden Knick in der Wachstumsphase der Roboter geführt.

Die neuen Spielzeugroboter oder jene Roboter, die zunehmend in den Dienstleistungsbereich eindringen, werden, zumal mit zunehmender Intelligenz und Autonomie, langfristig auch die Menschen immer mehr daran gewöhnen, mit den postbiologischen Geschöpfen zu kommunizieren und eine Lebenswelt zu teilen. Im Ende des letzten Jahres erschienen Bericht "World Robotics 99" wurde so prophezeit, dass Heimroboter bald so verbreitet sein würden wie jetzt Handys oder PCs, da die Leistung der Maschinen immer besser werde, während gleichzeitig die Preise fallen. Die Kinder in den reichen Ländern jedenfalls werden immer mehr mit Robotern als Spielgefährten und anderen Haushaltshilfen aufwachsen und so von früh an den Umgang mit den künstlichen Wesen trainieren. Sollte der Forschungsansatz der evolutionären Robotik Erfolg haben, bei der es darum geht, in Analogie zu evolutionären Algorithmen Roboter zu entwickeln, deren Hardware und Software sich ko-evolutionär automatisch verbessert, dann könnten sich noch engere soziale Bindungen mit den "Robotergeschwistern" ergeben. Doch Roboter dringen nicht nur in die wirkliche Welt ein, sondern zunehmend in Gestalt von Softwareagenten auch in die virtuelle Welt.

Tritt man einen Schritt zurück, so könnte allerdings die Vermutung entstehen, als ob die wachsende Population der Roboter nicht nur etwas mit besserer Technik und Übertragung von menschlicher körperlicher und geistiger Art auf flexible Maschinen zu tun haben, die intelligenter werden oder vielleicht sogar personale Züge annehmen, sondern auch mit anderen Trends. Die sinkende, aber übergewichtig werdende Bevölkerung in den industrialisierten Ländern, die sich gegen den ungezügelten Zustrom von Immigranten aus den armen Ländern abschottet, in denen die Lebenserwartung sinkt, hatte ich bereits erwähnt. In den vergreisenden Gesellschaften, in denen die Zahl der arbeitenden Menschen im Verhältnis zu den über 65-Jährigen abnimmt und die Lebenserwartung wächst, scheinen Roboter zumindest auch einen Teil der ausfallenden Arbeitskraft ersetzen zu können.

Nimmt man den Bericht des Worldwatch Institute, der zufällig fast zeitgleich mit dem Roboterbuch veröffentlich wurde, als Hintergrund, könnte eine weitere Vermutung entstehen: Mit dem Zustand der Erde steht es offenbar mit zunehmender Technisierung und steigendem Dow-Jones-Index insgesamt schlechter denn je. Der Bericht verweist, katastrophisch getönt, vor allem auf die weiter wachsende Weltbevölkerung und die Erwärmung des Erdklimas als den größten Bedrohungen hin: "Wenn wir beides nicht stabilisieren, wird es kein Ökosystem auf der Erde mehr geben, das wir retten können." Prophezeit werden zunehmende Zerstörungen durch Naturkatastrophen, Erosion und Verkarstung der Böden oder Abnahme des Trinkwassers. Lester Brown, der Präsident des Instituts, sieht eine enge Verbindung zwischen der Informationsökonomie und der Umweltzerstörung, die an einen Verblendungszusammenhang in einem sich verschließendem System denken lässt, das die Menschen in den nördlichen Ländern abschottet: "Gefangen im Wachstum des Internet, scheinen wir die abnehmende Gesundheit der Erde aus dem Blick verloren zu haben. Es wäre ein Fehler, die Lebendigkeit der virtuellen Welt mit dem zunehmend bedrohten Zustand der wirklichen Welt zu verwechseln."

Wollte man noch ein weniger weiter gehen, so könnte die Bevölkerungsexplosion der künstlichen Wesen - und die zunehmende Cyborgisierung der Menschen durch technische Implantate - auch ein Indiz dafür sein, dass sich die Evolution hinter dem Rücken der Menschen bereits auf eine verwüstete Lebenswelt einstellt, die für viele größere biologische oder nasse Organismen, zu denen auch der Mensch zählt, keine Lebensgrundlage mehr darstellt. Zumindest nimmt die Zahl der Arten, die unwiderruflich trotz aller biotechnologischen Möglichkeiten aus der Welt verschwinden, noch schneller zu als die Zahl der Roboter, die sich noch schwer tun mit der Entfaltung einer eigenständigen Evolution. Zu Beginn dieses Jahrhunderts sind nach dem Bericht 34 Prozent aller Fischarten, 11 Prozent der Vogelarten und 25 Prozent der Säugetierarten vom Aussterben bedroht. Dazu gehören auch die Primaten, gewissermaßen die unmittelbare biologische Vergangenheit und bislang die engsten Verwandten der Menschen, während die Roboter möglicherweise die Zukunft und die neuen Verwandten der Menschen darstellen.