Britische Regierung will Zuwanderung aus der EU begrenzen

Ab Januar haben Bulgaren und Rumänen freien Zugang zum Arbeitsmarkt, was in Großbritannien die Fremdenfeindlichkeit und die Anti-EU-Stimmung schürt

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In Großbritannien geht die Angst vor vermehrter Einwanderung um. Eher geht es freilich darum, dass zunehmend eine Ausländerfeindlichkeit auf der Insel grassiert und die politischen Parteien, die bereits auf den Wahlkampfmodus umschalten, versuchen, daraus Kapital zu schlagen. Es stehen 2014 die Europawahlen und 2015 die Parlamentswahlen an.

Schätzungen gehen derzeit davon aus, dass bei den nächsten Parlamentswahlen die Labour-Partei wieder die Regierung stellen wird. Für die Konservativen und vor allem für die Liberalen werden Verluste erwartet. Die UKIP wird deutlich zunehmen, nach dem Mehrheitswahlrecht könnte sie aber trotzdem keinen Sitz gewinnen. Es steht zu erwarten, dass die Einwanderungspolitik eines der zentralen Wahlkampfthemen werden wird.

Angetrieben von der rechtspopulistischen und EU-kritischen UKIP werden nun auch von der konservativ-liberalen Koalitionsregierung und der Labour-Partei neue Töne laut, die sich auch gegen die Einwanderung aus der EU, also gegen das Prinzip der Freizügigkeit aussprechen.

Die bei den letzten Regionalwahlen vor allem auf Kosten der Konservativen erfolgreiche UKIP (Verluste der Konservativen und der Liberalen bei britischen Kommunalwahlen) wirft der Regierung "totales Versagen der Einwanderungspolitik" vor: "Die Tatsache, dass die Netto-Einwanderung weiter ansteigt, dass die Einwanderung aus der EU ansteigt und weiter über eine halbe Million Menschen nach Großbritannien einwandern", zeige das Scheitern der Regierung.

Aufgekocht wird die Fremdenfeindlichkeit vor allem durch die auslaufenden Beschränkungen der Freizügigkeit für die neuen EU-Ländern Bulgarien und Rumänien, was auch in Deutschland und anderen Ländern Unbehagen verursacht oder zu Forderungen nach strengeren Regelungen führt. UKIP-Chef Nigel Farage erklärt, dass die Regierung die Einwanderung nicht unter Kontrolle bringen könne, wenn sie sie uneingeschränkte Zuwanderung aus Bulgarien und Rumänien vom 1. Januar 2014 an zulasse.

Die UKIP fordert eine Sperre für den Zugang zum Arbeitsmarkt, tritt für eine fünfjährige Sperre für jede Zuwanderung ein und will eine strenge Kontrolle etablieren, weil Großbritannien eines der am dichtesten bevölkerten Länder der Erde sei. Auch wegen der Einwanderungspolitik fordert die Partei den Austritt aus der EU, vor allem den Rückzug aus der Europäischen Menschenrechtskonvention und der Europäischen Flüchtlingskonvention.

Auch die Labour-Partei geißelt die Regierung, dass die Netto-Einwanderung weiter zugenommen habe. Tatsächlich sind 2013 zwar weniger Immigranten als im Jahr zuvor gekommen, da aber weniger Menschen ausgewandert sind, ist die Netto-Einwanderung nach der Statistikbehörde geringfügig angestiegen, nämlich von 167.000 auf 182.000. Die Hälfte der Einwanderer stammt übrigens aus den EU-Mitgliedsländern, deren Zahl ist von 282.000 im Jahr 2012 auf 242.000 gesunken.

Yvette Cooper, die von der Labour-Partei für den Posten der Innenministerin vorgesehen ist, kritisiert dennoch, dass es "eine wachsende Kluft zwischen der Rhetorik der Regierung und der Wirklichkeit der Immigration" gebe. Die Zuwanderung sei nicht gefallen, sondern weiter angestiegen. Vorgeworfen wird der Regierung vor allem, dass sie sich nicht um die Probleme der Zuwanderung aus der EU gekümmert habe. Ähnlich äußerten sich andere Labour-Politiker. David Blunkett, der frühere Innenminister, ebenfalls von der Labour-Partei, hatte schon alarmistisch vor Unruhen gewarnt, sollten mehr Roma einwandern (Demografische Spielereien).

Die britische Regierung hat zunächst bekannt gegeben, dass sie die Einwanderung erschweren will, indem die Zuwanderer erst einmal einem schwierigeren Sprachtest unterzogen werden sollen, um sie abzuschrecken. Im Hintergrund steht, dass der Regierung vorgeworfen wird, dass viele Einwanderer von der "Attraktivität der staatlichen Hilfen", wie dies Arbeitsminister Duncan Smith ausdrückt, angezogen werden würden. Ähnlich wird bekanntlich in Deutschland argumentiert und etwa vom "Sozialtourismus" gesprochen. Für UKIP ist der strengere Test mit 100 weiteren Fragen nur Symbolpolitik. Für den Arbeitsminister schafft der Test ein "faires System", um die wirklich Arbeitssuchenden herauszupicken und die Menschen abzuwehren, "die in unser Land kommen und daraus Vorteile ziehen". U.a. müssen die Menschen belegen, was sie alles getan haben, um Arbeit zu erhalten, bevor sie staatliche Hilfen bekommen können.

Angst vor der Zuwanderung aus der EU

Schnell will man aber nun nachlegen und plant, wie gestern bekannt wurde, die Zuwanderung aus der EU auf jährlich 75.000 zu beschränken und strengere Arbeitsgesetze einzuführen. Das Innenministerium geht in dem Papier davon aus, dass die Zuwanderung aus der EU die Arbeitssituation für Briten mit niedriger Ausbildung verschlechtert, den Sozialtourismus gefördert und soziale Spannungen verstärkt habe.

Kritik kam aber schon gleich einmal von einem Konservativen selbst, der Sofortmaßnahmen fordert. Der Abgeordnete David Davis, in Camerons Wahlkampfteam war er der Schatteninnenminister, warnt gleich einmal wieder vor den angeblich anbrandenden Bulgaren und Rumänien, es gebe "riesige Ängste", dass es Zehn- oder Hunderttausende, wie due UKIP sagt, werden könnten. Man müsse gleich handeln und "der EU sagen: Tut uns Leid, das geht so nicht." Ähnlich äußerten sich 70 konservative Abgeordnete in einem Brief an Cameron.

Der britische Regierungschef David Cameron legte aber noch einen drauf, was die umgehende Panik anzeigt, und schlug jetzt vor, dass in Zukunft keine Menschen mehr aus ärmeren EU-Ländern nach Großbritannien einwandern sollen. Uneingeschränkte Zuwanderung soll es nur aus neuen EU-Ländern geben, die ein ähnlich hohes BIP wie der EU-Durchschnitt haben. Man dürfe den Fehler von 2004 nicht wiederholen, als 1,5 Millionen Menschen aus Polen und anderen osteuropäischen Ländern nach Großbritannien gekommen seien. Schuld daran sei die Labour-Regierung gewesen.

Prompt wurde Cameron wieder von EU-Kommissar Laszlo Andor (Beschäftigung, Soziales und Integration) kritisiert, der erklärte, Camerons Einwanderungspolitik würde den "europäischen Geist" untergraben. Er warf ihm erneut wie schon im November Fremdenfeindlichkeit vor. Damals hatte Cameron angekündigt, dass Bulgaren und Rumänier in den ersten drei Monaten keine staatlichen Hilfen erhalten und nach sechs Monaten wieder verlieren werden, wenn sie nicht glaubwürdig eine Aussicht auf einen Job nachweisen können.

Cameron hatte sich die Kritik verbeten und darauf hingewiesen, dass Großbritannien "eines der offensten, großzügigsten und tolerantesten Länder der Welt sei", es sei nur wichtig, "dass unsere Großzügigkeit und Toleranz nicht missbraucht wird". "Verantwortliche Politiker sollten es vermeiden", so Andor, "fremdenfeindliche Reaktionen zu legitimieren." Großbritannien laufe Gefahr, von anderen als "hässlich" (nasty) gesehen zu werden. Allerdings beschränkt sich die zunehmende Fremdenfeindlichkeit nicht auf Großbritannien, sondern grassiert in vielen Ländern, besonders dort, wo rechte und so genannte rechtspopulistische Parteien stark sind – u.a. auch in Bulgarien, wo die Angst vor allem vor syrischen Flüchtlingen aus der Türkei wächst.