Bundeskanzler Schröders "welthistorische" Stunde
Zum Streit des Bundestages über die Irak-Krise
Die gegenwärtige weltpolitische Situation könnte über Fragen der Terrorismusbekämpfung, des Irak-Konflikts, ja selbst über die grundsätzliche Alternative "Krieg oder Frieden" weit hinaus gehen. Es bilden sich neue Machtlinien und Bündnisse, die gestern noch undenkbar erschienen. Die Ereignisse überstürzen sich und vielleicht erleben wir eine welthistorische Wende, in der sich nun das vollzieht, was mit der Selbstdemontage des Ostblocks eingeleitet wurde. Waren bisher die deutsch-amerikanische Freundschaft und die (west)europäische Einigkeit harmonisierte Prämissen deutscher Außenpolitik, ist Bundeskanzler Schröders Absage an einen Irak-Krieg zum gegenwärtigen Zeitpunkt die größte Irritation dieses Politikmodells. Die mäßig erhitzte Parlamentsdebatte lässt sich im unterschiedlichen Verständnis souveräner Eigenständigkeit einerseits und Bündnistreue andererseits zusammenfassen.
Der Kanzler hat in seiner etwas redundanten Regierungserklärung den "Mut zum Frieden" bekräftigt, der nichts an der Verantwortung für die bedingungslose Abrüstung des Iraks ändere. Auch die Bündnispflichten in der NATO würden erfüllt. Außenminister Fischer sekundierte, dass die Sicherheit Israels weiterhin eine zentrale Verpflichtung der bundesrepublikanischen Außenpolitik bleibe. Der Kanzler wies den Vorwurf des treulosen Kantonisten zurück, der inzwischen so an ihm klebt, dass es nicht klar ist, ob es nun ein ewiger Makel seiner Politik bleibt oder ihm vielleicht den Friedensnobelpreis einträgt. Nach des Kanzlers Worten leisteten wenige NATO-Mitglieder das, was Deutschland in der Terrorismusbekämpfung leisten würde, um den Frieden zu sichern und Krisenregionen zu stabilisieren.
Inzwischen folgt Schröder aber nicht mehr der Leitlinie einer "uneingeschränkten Solidarität" mit den USA. Der Kanzler differenziert zwischen internationalem Antiterrorkampf und dem Krieg zwischen Nationen. Insofern liegt hier die entscheidende Differenz zum US-amerikanischen Politikmodell Bushs, inzwischen - absichtsvoll definitionsschwach - diverse Krisenherde unisono mit dem Vorwurf des Terrorismus zu kontaminieren. Nach dem Kanzler werde dagegen die Allianz des Antiterrorkampfs gerade durch den von Amerika geplanten Krieg gefährdet. Schröder betonte am Beispiel Nordkoreas die Ungleichmäßigkeit von Krisenbehandlung und Gefahrendefinition. Im Fall des Iraks gäbe es weder atomare Waffen noch weit reichende Trägersysteme, während Nordkorea gerade über solche Mittel verfüge. Man dürfe sich nicht schleichend daran gewöhnen, Krieg als Fortsetzung der Politik nun als normale Reaktion einer neuen Sicherheitspolitik anzusehen.
Selbstverständlich versuchten der Kanzler und der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD, Gernot Erler, den gegenwärtigen Fundamentaldissens mit Amerika herunterzuspielen: Gelegentliche Meinungsverschiedenheiten würden nicht die Substanz der transatlantischen Wertegemeinschaft berühren, sondern im Gegenteil gerade bestätigen. Auch Sein oder Nichtsein der NATO (Neues Chaos im US-Zivilisationsrettungsprogramm) sei nicht das Thema dieser Tage. Doch das ist selbstverständlich die von der Union massierte Frage, die durch Schröders Optimismus in der Tat längst nicht beantwortet ist.
Souveränität in einer von einer Supermacht beherrschten Welt
Insoweit ging es in der eher überraschungsfreien Parlamentsdebatte, die die bereits bekannten Positionen zwischen Regierung und Opposition noch einmal nachdeklarierte, nicht um das Ziel, sondern um die Mittelwahl in der Krisenbehandlung und die unterschiedliche Gewichtung transatlantischer, europäischer und deutscher Interessen. Schröder betonte mehrfach die Solidarität mit Frankreich und genehmigte sich auch den impliziten Seitenhieb auf die Bush-Regierung, dass die deutsche Regierung es sich bei der Entscheidung über Krieg und Friede nicht leicht mache. Für den Kanzler stößt die mehr als fragile Präventionslogik Amerikas auf die unabdingbaren Regeln des Völkerrechts und die dem verbundenen universellen Prinzipien von Frieden, Freiheit und Recht, über die souverän zu entscheiden sei.
Doch wie viel zählt Souveränität noch in einer Welt, die maßgeblich von dem Willen einer Supermacht bestimmt wird? So hatte sich Guido Westerwelle bereits vor der Debatte über den schwindenden Einfluss Deutschlands beklagt: "In Washington hört auf Schröder und Fischer kein Mensch mehr." Doch dabei hat er vergessen hinzuzufügen, dass das Abnicken amerikanischer Entscheidungen zuallerletzt eine Form souveräner Einflussnahme ist. Wer nicht zwischen Freundschaft und Vasallentum unterscheiden will, sollte klar sagen, dass der Frieden der Staatsräson bzw. einem hegemonialen Machtgefüge zu weichen hat.
Schröders Antikriegskurs ist keine isolierte Entscheidung, wie es die Falken Amerikas - darin weitgehend einig mit der CDU/CSU-Opposition - behaupten, sondern eingebettet in die Annäherung von Paris, Berlin und Moskau, deren gemeinsame Haltung auch Peking plausibel ist. Diese "Achse", die nach Putins Worten gerade keine sein soll, ist ein welthistorisches Novum, das allen Transatlantikern - hüben wie drüben - Angst macht, wohl mindestens ebenso viel Angst wie der internationale Terrorismus.
Schurken- oder Vasallenstaat als Alternative
Die immer erregteren Ausfälle der amerikanischen Konservativen gegen einen eigenverantwortlichen Kurs anderer Staaten belegen das ganze Ausmaß der eigenen Verunsicherung. Frankreich, Deutschland und Belgien wurde von aufgebrachten US-Politikern bereits der Wirtschaftskrieg erklärt. Der republikanische Abgeordnete Peter King soll sich noch weiter gehend dafür ausgesprochen haben, alles zu tun, was man tun könne, um Deutschland und Frankreich wehzutun, ohne dass es Amerika schadet. Damit hätten wir dann endgültig die Verabschiedung eines rationalen Politikmodells erreicht und über die Folgen für die Glaubwürdigkeit Amerikas und die Qualitäten alter Freundschaften muss nicht länger spekuliert werden.
Dabei hätte ein weitsichtigeres und elastischeres Krisenmanagement der US-Regierung diese Entwicklung leicht verhindern können. Die unilaterale Aufteilung der Welt in eine Hegemonialmacht, Vasallen- und Schurkenstaaten ist weder mit der Idee souveräner Staatlichkeit noch der Idee vereinter Nationen, die gemeinsam Konfliktlösungen suchen und abstimmen, vereinbar. Schröder insistiert auf Europas Kraft gegenüber der unilateralen Weltvermachtung der USA. Bush hat es sich dagegen erheblich zu einfach gemacht, weil er die internationalen Machtfragen mit der souveränen Entscheidung Amerikas kurzschließen will.
Wer die Parole des amerikanischen Internationalismus ausgibt und offen erklärt, sich gegebenenfalls auch über Entscheidungen der UNO hinwegzusetzen, darf sich anschließend nicht wundern, dass dieses selbstwidersprüchliche Konstrukt das Chaos auslöst, das nun auch Parlament und Öffentlichkeit in Deutschland wie in anderen Ländern heimsucht.
Die vom Weltsicherheitsrat einstimmig verabschiedete Resolution 1441 ist nach Auffassung der Bundesregierung längst nicht ausgeschöpft, zudem sie im Gegensatz zu früheren Initiativen dieser Art einen viel geringeren Vorlauf hatte und auch die irakische Kooperationsbereitschaft ein sehr viel größeres Ausmaß besitzt als je zuvor. Was über zehn Jahre lang keine allzu großen Kopfschmerzen bereitete, muss nun nicht im hektischen Feuerlauf einiger Wochen über das Knie gebrochen werden.
Nach Merkels Logik ist für den Krieg verantwortlich, wer von Frieden redet
Sicher ist die Kooperationsbereitschaft des Irak durch die entschiedene Ankündigung Amerikas, einen Krieg zu führen, maßgeblich motiviert worden. Aber solange diese Wirkung eben noch besteht, ist nach Meinung der Bundesregierung unter allen Umständen weiter an der friedlichen Entwaffnung des Iraks, so es denn etwas zu entwaffnen gibt, zu arbeiten. Die Resolution 1441 beinhalte gerade keinen Automatismus zur Anwendung militärischer Gewalt.
Die Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Angela Merkel, befand sich insoweit in einer zwiespältigen Situation, weil die Opposition einerseits Krieg ablehnt, andererseits aber durch die weit reichende Solidarität mit den Kriegsplänen der US-Regierung genau dieses Ziel in Frage stellt. Frau Merkel konstatierte einen antiamerikanischen "Irrweg" des Kanzlers, weil er durch seine Friedensdeklarationen den Druck auf Saddam Hussein eben nicht aufrechterhalte und damit Krieg wahrscheinlicher mache. Die Opposition folgt also weiterhin der "Doktrin der Drohkulisse", obwohl Amerika doch gerade diese vorgebliche Kulisse schon in den nächsten Tagen - UNO hin oder her - gegen Taten eintauschen will.
Folgt man also Frau Merkel, ist der für den Krieg verantwortlich, der von Frieden redet. Doch der amerikanische Aufmarsch in der Golf-Region hat das Stadium der Rhetorik längst bereits verlassen. Merkel will also angeblich NATO und UNO stärken, aber wie das mit der bedingungslosen Solidarität mit der auf Kriegskurs operierenden USA harmoniert, hat sie nicht erläutert. Sie moniert die "gewichtslose Klasse" der Bundesrepublik, die außenpolitische Amateurhaftigkeit der bundesrepublikanischen Regierung, weil im Gegensatz zu Frankreich dem Bundeskanzler nach seiner eindeutigen Antikriegs-Erklärung keine Hintertüren mehr offen stünden.
Insbesondere der CSU-Landesgruppenchef Michael Glos, der inzwischen die amerikanische Terminologie der Schurkenstaaten verinnerlicht hat, zeichnete die Historie der deutsch-amerikanischen Freundschaft nach und versuchte auch, den Antiterrorkampf der NATO als deren neue Daseinsberechtigung zu substantiieren (Das ist doch der Gipfel!). Doch gerade die neuen Herausforderungen der Gegenwart werden nicht durch historische Wahrheiten beantwortet. Frau Merkel wies zudem auf die psychologische Situation der amerikanischen Bevölkerung, das anhaltende Gefühl der Bedrohung seit dem 11.September hin. Aber auch dieses fragile Begründungsmoment für einen Krieg, zumal die Stimmung in den USA permanent propagandistisch angeheizt wird und längst nicht eindeutig ist, kann doch nicht die Richtlinien deutscher Politik bestimmen.
Bushs Amerika ignoriert hartnäckig, dass die Mitglieder des Sicherheitsrates, die den friedlichen Prozess fortführen wollen, damit eine endgültige Konfliktlösung nicht auf unbestimmte Zeit vertagen. Schröder hat im Verweis auf die gemeinsame Erklärung mit Putin keinen Zweifel daran gelassen, dass der Irak kooperieren muss, aber Krieg in dieser unmissverständlichen Forderung die "ultima ratio" bleibt. Präsident Bush dagegen ist durch den Druck, den er nicht nur gegenüber den Inspektoren der UNO, sondern auch gegenüber allen Staaten, die noch eine friedliche Lösung suchen, in seine eigene Zeitfalle geraten, die es kaum vorstellbar macht, wie er - mit oder ohne Krieg - den Schaden für die Glaubwürdigkeit Amerikas noch abwenden kann. Als "Gefangener seiner eigenen Rhetorik" (Richard Rorty) hat er das Machtkalkül einseitig auf die Überlegenheit militärischer Mittel bezogen und nicht bedacht, dass Unilateralismus eine machtpolitisch fragile Konstruktion ist. Die Macht kommt eben nicht allein aus den Gewehrläufen.
Die Geschichte hat noch nicht das letzte Wort gesprochen
Gerade in dem fundamentalen Streitpunkt der Parlamentsdebatte, wer hier eigentlich isoliert ist, sind Antworten noch verfrüht. Kanzler Schröders Haltung, die von relevanten Mächten nicht allein in Europa geteilt wird, wird zudem durch den größeren Teil der bundesrepublikanischen Öffentlichkeit gestützt. Wenn die Opposition dagegen auf dünnem Eise wandelnd Kriegsrhetorik als Friedensmaßnahme präsentiert, muss sie sich fragen lassen, wessen Interessen sie hier eigentlich in Zukunft vertreten will, wenn sie dem Kanzler den allfälligen Rücktritt andient. Dass Staatsräson nicht gegen ephemere Stimmungen in der Bevölkerung eingetauscht werden dürfe, kann im Blick auf das seit längerem bestehende eindeutige Meinungsbild in Deutschland keine tragfähige Politik begründen.
Schröder insistiert auf seiner Verantwortung vor dem Volk. Und das sollten Amerikas Konservative, die nun von Deutschland Dankbarkeit einfordern, bedenken, bevor sie weiter die internationale Atmosphäre vergiften. Wer Krieg führen will, trägt die Beweislast, wie Gernot Erler noch einmal zu Recht betonte. Nicht aber der, der auf friedliche Lösungen dringt. Wer gar präventive Kriege führen will, trägt diese Beweislast in einem noch höheren Maße und sollte diese Verantwortung nicht durch Propagandamaßnahmen und eilig zusammengeraffte Indizien hintertreiben (Nichts als die Wahrheit oder Onkel Powells Märchenstunde?).
Wer stolz darauf ist, Deutschland nach der Nazi-Herrschaft die Demokratie beschert zu haben, muss sich beim Wort nehmen lassen. Denn die Entscheidung des Bundeskanzlers ist Ausdruck dieser Demokratie. Ob nun des Kanzlers Haltung durch seine bisherige Erfolglosigkeit bei der Lösung innenpolitischer Fragen mitbestimmt wird, wiegt dagegen gering. Staatsmann wird man durch die historischen Umstände. Und die Geschichte hat längst nicht ihr letztes Wort gesprochen, wer aus diesem weltpolitischen Chaos als weit blickender Sieger hervorgeht.