Bundeswehr und digitale Funkgeräte: Regelrecht verbockt
Seite 2: Pistorius: Von der Offensive zum Rückzug
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Daraufhin ging Verteidigungsminister Boris Pistorius erst einmal in die Offensive, nur um kurz darauf wieder zurückrudern zu müssen.
"‘Falscher als falsch" nannte Boris Pistorius Berichte über erhebliche Probleme mit neuen Funkgeräten. Nun zeigt sich: Informiert war der Minister schlechter als schlecht.
Zeit online
Der Versuch, die Angelegenheit herunterzukochen, scheiterte allerdings schon allein daran, dass Spiegel Online eine interne Einschätzung der Bundeswehr durchgestochen wurde, die das genaue Gegenteil dessen besagte, was der Verteidigungsminister von sich gab:
In dem vertraulichen Sachstand jedenfalls räumt sein (Pistorius') Haus erhebliche Fehlplanungen bei der Beschaffung der neuen Funkgeräte-Generation ein. (…)
Im Kern räumt das als Verschlusssache eingestufte Papier ein, dass sich die Planer der Bundeswehr bei der Entscheidung für das Funkgerät D-LBO des Herstellers Rohde und Schwarz offenbar gar keine Gedanken gemacht hatten, wie man die Geräte in die verschiedenen Bundeswehr-Fahrzeugtypen einbaut. (…) Der bisherige Zeitplan für die Einführung des Systems wirkt angesichts der Probleme völlig unrealistisch. "Die unterschätzte Komplexität", so räumt das Ministerium jetzt ein, führe zu erheblichen Verzögerungen.
Spiegel Online
Allerdings sind auch diese Aussagen einigermaßen dubios, es bleibt wohl das Geheimnis des Verteidigungsministeriums, weshalb man sich dort keine Gedanken um den Einbau der Funkgeräte gemacht haben soll, wenn – worauf Thomas Wiegold, Betreiber des Blogs Augen geradeaus! hinwies, – das Problem bereits im Dezember 2018 im 8. Bericht des Verteidigungsministeriums zu Rüstungsangelegenheiten, wenn auch etwas verklausuliert, angesprochen wurde:
Die großen Herausforderungen und Risiken von D-LBO liegen wegen der Vielzahl und Verschiedenartigkeit der zu betrachtenden mobilen Elemente sowie der Integration verschiedener Kommunikationstechnologien in der zeitlichen und inhaltlichen Strukturierung der durchzuführenden Beschaffung bei gleichzeitig dynamisch fortschreitender technischer Innovation im Bereich Digitalisierung.
Vor allem geht es dabei um zeitgerechte Integration in die unterschiedlichen Plattformen, um die identifizierten Kräftedispositive unter Berücksichtigung der Rahmenbedingungen wie u.a. der Erhalt der Einsatzbereitschaft oder der Industriekapazität zur Plattformintegration, zeitgerecht ausstatten und umrüsten zu können.
8. Bericht des Verteidigungsministeriums zu Rüstungsangelegenheiten, Dezember 2018
Jedenfalls änderte Pistorius schnell seine "Falscher-als-falsch-Rhetorik".
Er sei "sehr verärgert" über die Fehlinformationen, die er über die Angelegenheit aus seinem Haus erhalten habe – seine Verantwortung sei das Desaster allerdings nicht, schließlich wären die Funkgeräte noch unter seiner Vorgängerin Christine Lambrecht bestellt worden. Ganz als kampferprobter Krisenmanager versuche er nun "zu heilen, was zu heilen ist".
Recht gallig beschreibt Zeit online die als Kommandokette daherkommende stille Beschaffungspost der Bundeswehr mit folgenden Worten:
Es funktioniert so: Dort, wo man bei der Bundeswehr Maschinengewehre anfasst, Flugzeuge, Schiffe und Helikopter auseinander- und wieder zusammenschraubt oder halt Funkgeräte einbaut, stellt jemand fest: Da ist was kaputt, da fehlt was, da braucht man was Neues.
In der Meldekette nach oben wird in jedem Glied – und davon gibt es viele – das Kaputte ein wenig weniger kaputt, das Fehlende etwas, das bestimmt schon unterwegs ist, und das, was man neu braucht, zu etwas, was so neu gar nicht sein muss. Und am Ende sind die Dinge "noch verwendbar", "im Zulauf" oder "gehen auch so noch".
Zeit online
Doch auch damit ist die Geschichte noch nicht auserzählt – denn vor allem der Informationsfluss im unmittelbaren Umfeld des Verteidigungsministers wirft einige Fragen auf:
Wie der Business Insider aufgrund eigener Recherchen berichtet, nahm Nils Hilmer (SPD), Staatssekretär im Verteidigungsministerium, am 16. August an einem Treffen teil, bei dem die Probleme mit den Funkgeräten besprochen wurden.
Bei dem Treffen im Beschaffungsamt Koblenz seien die Probleme mit dem Einbau, deren zeitliche Auswirkungen und Kosten thematisiert worden. Entspricht der Bericht der Wahrheit, so stellen sich zwei Fragen.
Hat Pistorius nur vorgegeben, nicht schon früher von dem Debakel gewusst zu haben?
Oder wurden dem Verteidigungsminister von einem seiner engsten Vertrauten Informationen vorenthalten?
Fuldauer Zeitung
Juristische Querelen
Eigentlich müssen Rüstungsaufträge europaweit ausgeschrieben werden – in dringenden Fällen nationalen Interesses und zum Schutz von Schlüsseltechnologien pocht die Bundesregierung aber darauf, Ausnahmen machen zu können – so auch im Fall der Funkgeräte, wo der Auftrag direkt Rhode & Schwarz zugeschustert wurde.
Das Prozedere erboste den Mitkonkurrenten Thales derart, dass er gegen die Vergabe vor Gericht zog. Ein kleines, aber durchaus pikantes Detail ist in diesem Zusammenhang die Ursache, weshalb der Konzern wohl juristische Schritte ergriff, offenbart es doch viel über den aktuellen Stand der deutsch-französischen "Freundschaft":
Beobachter gehen davon aus, dass Thales Deutschland die Klage vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf mit der Konzernmutter in Paris abgestimmt hat.
Da sich Thales in Teil-Staatsbesitz und letztlich aufgrund der Beziehung zu den französischen Streitkräften als wichtigstem Kunden quasi unter Staatskontrolle befindet, könnte die Klage (…) auch als Spitze Frankreichs gegen das deutsche Verteidigungsministerium interpretiert werden.
(Sie) wird in Fachkreisen als Retourkutsche von Staatspräsident Emmanuel Macron für die offenbar ohne Absprache mit Paris erfolgte Umsetzung der European Sky Shield Initiative (ESSI) in der Luftverteidigung durch Deutschland gesehen.
Europäischen Sicherheit & Technik
Welche Motivation auch immer dahinterstecken mag, die Klage ist weiterhin anhängig und würde ihr stattgegeben, müsste wohl eine Neuausschreibung des Auftrags erfolgen. Dass dennoch mit der Auslieferung der Funkgeräte begonnen werden konnte, war nur durch kürzliche rechtliche Änderungen möglich:
Dass die Führungsfunkgeräte trotz des anhängigen Rechtsstreits ausgeliefert und auch bezahlt werden, liegt an von Pistorius‘ Vorgängerin Christine Lambrecht (SPD) durchgesetzten Änderungen im Vergaberecht, die Verzögerungen in der Zeitenwende verhindern sollten.
Tagesspiegel