Burnout-Kontrolle: Müssen Mitarbeiter bald zum Speicheltest?
Deutsches Start-up entwickelt Frühwarnsystem gegen Burnout. Es setzt auf Speicheltests und Künstliche Intelligenz. Wie sicher sind Prognosen dieser neuen Technologie?
Burnout-Betroffene können sich oft selbst nicht eingestehen, am Limit zu sein. Das ist rückblickend immer wieder in Erfahrungsberichten zu hören und zu lesen.
Klassische Symptome wie Dauermüdigkeit, Konzentrationsstörungen oder eine starke Ablehnung gegenüber der eigenen beruflichen Tätigkeit spürten aber im vergangenen Jahr rund 20 Prozent der Beschäftigten in Deutschland. Dies ergab eine Studie des McKinsey Health Institutes.
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Laut einer Erhebung der Krankenkasse Pronova in diesem Jahr hatten 30 Prozent der Befragten in ihrem Leben schon einmal Burnout. 13 Prozent waren in den vergangenen zwölf Monaten daran erkrankt; in der Gruppe der 18- bis 29-Jährigen sogar 18 Prozent.
Stresshormon im Speichel: Burnout-Risiken sind messbar
Ob dies durch Früherkennung vermeidbar ist, hängt von der Lebenssituation und den Arbeitsbedingungen ab. Allerdings gilt das Burnout-Risiko inzwischen tatsächlich als messbar – anhand des "Stresshormons" Cortisol.
Im gesunden Zustand wird es vor allem morgens ausgeschüttet, um den Kreislauf zu aktivieren und das Aufstehen zu erleichtern. Im Lauf des Tages sinkt der Cortisolspiegel und erreicht am Abend seinen Tiefpunkt. Unter Dauerstress wird er allerdings länger aufrechterhalten.
An der Medizinischen Universität Wien wurde somit 2018 ein einfaches Verfahren zur Labordiagnostik entwickelt: anhand von Speichelproben, die mittags oder abends genommen werden.
Burnout-Frühwarnsystem von Aussteigern der Autoindustrie
Unter anderem darauf baut nun ein "Frühwarnsystem" für Unternehmen auf, das von dem deutschen Start-up Health4innovation entwickelt wurde. Auch Künstliche Intelligenz soll dabei helfen.
Start-up-Gründer Marco Pucciarelli ist aus der Autoindustrie ausgestiegen und sieht in der Gesundheitsbranche "bessere Chancen, Geschäftsmodelle zu entwickeln und eine neue Marke aufzubauen", wie er Anfang der Woche dem stern sagte.
Die Krankenstände wegen psychischer Probleme und Burnout erreichen inzwischen Höchststände in Unternehmen. In der Regel fehlt ihnen ein Frühwarnsystem.
Mein Kollege Steffen Wirth, Initiator der Gründungsidee, hatte während seiner Zeit als Manager in der Automobilindustrie selbst zwei Burnouts und wollte der Sache auf den Grund gehen.
Marco Pucciarelli, Health4innovation
Zur Früherkennung soll sowohl der energetische Zustand von Beschäftigten an anhand medizinischer Parameter wie Speichel- und Blutproben gemessen als auch das subjektive Empfinden abgefragt werden. Dafür wurde laut Pucciarelli ein Fragenkatalog zu Stressfaktoren und Symptomen erstellt.
Eine Wechselbeziehung zwischen den gemessenen Werten, dem subjektiven Empfinden und dem späteren Burnout lasse sich mit Künstlicher Intelligenz nachweisen. Eine entsprechende App will das Unternehmen Mitte 2025 auf den Markt bringen.
Strategien gegen Burnout: Coaching vs. Arbeitszeitverkürzung
Pucciarelli betont aber, sein Start-up könne Menschen und Unternehmen schon jetzt helfen. Die Automobilindustrie sei noch zurückhaltend, "dabei hätte sie es dringend nötig". Der Druck auf hart am Limit eingesetzte Mitarbeiter steige dort weiter – und somit auch die Ausfalltage.
Gegenmaßnahmen, die das Start-up mit einem Team von Ärzten, Heilpraktikern, Biochemikern und "Coaches" entwickelt hat, umfassen beispielsweise "Seminare, Coaching und Nahrungsergänzung von Vital- und Nährstoffen" – während Gewerkschaften branchenübergreifend auf Arbeitszeitverkürzung und bessere Personalschlüssel in der kritischen Infrastruktur setzen. Gerade Beschäftigte in Gesundheitsberufen gelten als besonders gefährdet.
Mehr als 75 Prozent der Krankenpflegerinnen und 67 Prozent der Altenpflegerinnen glauben, dass sie ihren Beruf unter den aktuellen Bedingungen wahrscheinlich nicht bis zur Rente ausüben können – das geht aus dem Index für Gute Arbeit des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) hervor.