Chatkontrollen – der Missbrauch mit dem Missbrauch
EU-Pläne und im Einklang mit US-Firmeninteressen: Zeit-Recherche bestätigt Befürchtungen. Was Datenschützer von der Bundesregierung erwarten.
Ursprünglich sollte schon am Donnerstag dieser Woche im Rat der EU über das Vorhaben der EU-Kommission abgestimmt werden, anlasslos die privaten Nachrichten der gesamten Bevölkerung zu durchleuchten. Der Zeitplan aber ist geplatzt – vergangene Woche flog die Verordnung zur "Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs von Kindern" vorerst von der Tagesordnung. Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) hatte bereits Monate zuvor wesentliche Änderungsvorschläge an europäische Amtskollegen geschickt.
Die für Kommunikationsdienstleister verpflichtende anlasslose Chatkontrolle soll vorgeblich nur dazu dienen, Inhalte auf Darstellungen sexualisierter Gewalt an Kindern, und sogenanntes "Grooming" zu scannen – also auf Versuche der sexuell motivierten Kontaktaufnahme zu Minderjährigen – einschließlich verschlüsselt übertragener Inhalte.
Von der deutschen Ampel-Regierung fordern Bürgerrechtsorganisationen hierzu ein klares Nein. Berufen können sie sich dabei auch auf den Koalitionsvertrag, in dem es auf Seite 14 heißt:
Allgemeine Überwachungspflichten, Maßnahmen zum Scannen privater Kommunikation und eine Identifizierungspflicht lehnen wir ab.
Aus: Mehr Fortschritt wagen / Koalitionsvertrag 2021 – 2025 zwischen SPD, Bündnis90/DieGrünen und FDP
Einen sofortigen Stopp des Vorhabens forderte an diesem Montag der Verein Digitalcourage e. V., nachdem in der Zeit umfangreiche Recherchen über ein Lobbygeflecht rund um die Pläne zur Chatkontrolle veröffentlicht worden waren. Dabei fiel auch der Name des Hollywood-Stars Ashton Kutcher, der bereits vor neun Jahren mit dem Tech-Milliardär Elon Musk und Facebook-Gründer Mark Zuckerberg mehrere Millionen Dollar in eine KI-Firma investiert hatte und nun "für Überwachungspläne lobbyiert", wie es in dem Bericht heißt.
"In Absprache mit großen US-amerikanischen Unternehmen"
Er basiert auf Dutzenden Interviews, internen Dokumenten und Anfragen nach Informationsfreiheitsgesetz und zeigt Verbindungen von Lobbyvereinen und Unternehmen zu EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und zu Ylva Johansson, der für die Chatkontrolle zuständigen EU-Kommissarin auf.
Digitalcourage sieht dadurch Vorwürfe aus der Zivilgesellschaft bestätigt: "Die EU-Kommission hat den Gesetzesvorschlag für die Chatkontrolle nur in Absprache mit großen US-amerikanischen Unternehmen erarbeitet – den Dialog mit Expert:innen und der Zivilgesellschaft dagegen hat sie immer wieder verweigert", kritisiere der Verein an diesem Montag. Das geplante EU-Zentrum könne auch für andere Zwecke genutzt werden als allein für die Suche nach Kinderpornographie.
Überwachungsfilter, deren Zweck angeblich nur die Suche nach Darstellungen sexualisierter Gewalt an Kindern sein soll, können demnach schnell auf andere Inhalte ausgeweitet werden. Die leitende Beamtin der zuständigen Generaldirektion Inneres der EU (GD Home) habe darüber bereits Gespräche mit der Exekutivdirektorin von Europol geführt.
"Die Recherche bestätigt die schlimmsten Befürchtungen zur Chatkontrolle: Der Kinderschutz wird hier als Türöffner für eine Infrastruktur zur anlasslosen Massenüberwachung missbraucht, während schon über eine Ausweitung der Filter gesprochen wird", so Konstantin Macher von Digitalcourage e.V. an diesem Montag. "Damit ist auch die letzte Glaubwürdigkeit zu dem geplanten Überwachungsgesetz verspielt." Das Gesetzesvorhaben müsse sofort gestoppt werden.