Colonia Dignidad und deutsche Justiz: kein Wille zur Aufklärung

Seite 3: Viele Aussagen zum Fall Hartmut Hopp nicht angehört

So wurden beispielsweise zu den Mordvorwürfen gegen Hopp nicht die von den Opfervertreter:innen genannten Zeug:innen aus der CD-Führung befragt, von denen sich viele inzwischen in Deutschland niedergelassen hatten. Obwohl diese an der CD-Dina-Kooperation in diversen Formen beteiligt waren und teilweise bei der chilenischen Justiz bereits Aussagen dazu gemacht hatten, hielt es die NRW Justiz nicht für notwendig, tiefergehend und proaktiv den Kontext der Vorgänge zu untersuchen und über Strukturermittlungen den Blickwinkel zu erweitern.

Ihr Interesse galt vornehmlich der Frage, welche Beweise für eine materielle (Mit-)Täterschaft von Hartmut Hopp an einzelnen Mord-, Körperverletzungs- und Missbrauchstaten vorlagen. Eigene Ermittlungsschritte hierzu unternahm sie hingegen kaum.

Ähnlich verfuhr die Staatsanwaltschaft Münster in ihrem Ermittlungsverfahren wegen Mordes gegen Reinhard Döring. Sie vernahm keine Zeug:innen, nicht einmal den Beschuldigten selbst. Nach drei Jahren stellte sie das Verfahren ein.

2018 entschied das OLG Düsseldorf, das Ersuchen der chilenischen Justiz auf Vollstreckung einer rechtskräftigen Verurteilung Hartmut Hopps zu fünf Jahren Haft in Deutschland abzulehnen. Dieser Beschluss begrub Hoffnungen der Aufklärer:innen auf eine zumindest symbolische strafrechtliche Aufarbeitung.

An diesem Verfahren waren lediglich die StA Krefeld, die formell die antragstellende chilenische Justiz vertrat, sowie der betroffene Hartmut Hopp, bzw. sein Anwalt, beteiligt. Der chilenische Staat hätte sich über einen eigenen Anwalt beteiligen können, tat dies jedoch aus unbekannten Gründen nicht.

Nach dem IRG hätten die Düsseldorfer Richter:innen lediglich prüfen müssen, ob das Verfahren gegen Hopp in Chile formale Rechtsstandards einhielt. Sie folgten jedoch stattdessen der Argumentation des Verteidigers von Hopp, der anmahnte, dass die Beweisführung in Chile hiesigen Verfahrensgrundsätzen nicht entsprochen habe.

Anstelle der Argumentation des LG Krefeld als Vorinstanz zu folgen, die die Annahme des Vollstreckungsersuchens befürwortet hatte, argumentierte das OLG Düsseldorf, dass die im chilenischen Urteil vorgetragenen Beweise für eine Beihilfe Hopps nach hiesigen Verfahrensgrundsätzen für eine Verurteilung nicht ausgereicht hätten.

Die CD, so die Düsseldorfer Richter:innen, habe nicht allein kriminellen Zwecken gedient, sondern habe auch wohltätige Ziele verfolgt. Hopp könne daher nicht qua seiner Funktion als Mitglied der CD-Führung verurteilt werden, es müsse der Einzeltatnachweis geführt werden.

Da die CD nicht nur auf die Begehung von Verbrechen ausgerichtet gewesen sei, sondern auch wohltätige Arbeit geleistet habe, stufte die Kammer in ihrem Beschluss das Verhalten von Hopp als neutral und "sozialadäquat" ein.

Sogar das sogenannte Intensivinternat - eine real nicht existierende Institution, die nur dem Diskurs der sozialen Fassade diente, um den Missbrauch zu verdecken - sei eine sinnvolle Instanz gewesen.

Diese Auffassung der Düsseldorfer Richter:innen ist vor dem Hintergrund aller bisher belegten historischen Tatsachen über die CD falsch.

Der OLG-Beschluss versagte den Opfern nicht nur in diesem Fall Gerechtigkeit, sondern besiegelte auch die strafrechtliche Aufarbeitung der CD-Verbrechen in Deutschland in Gänze: Wenige Monate nach der OLG-Entscheidung stellten auch die Staatsanwaltschaften in Münster und Krefeld ihre Ermittlungen gegen Reinhard Döring bzw. Hartmut Hopp ein.

Auch eine Beschwerde gegen die Einstellung der Ermittlungen gegen Hopp seitens der Opferanwältin sowie ein Antrag auf Erzwingung einer Anklage wurden 2020, bzw. 2021 abgewiesen.

Der Bundestag befasst sich seit 1966 bis heute mit dem Fall CD. Jedoch war das Thema lange Zeit randständig. In Phasen hoher medialer Aufmerksamkeit griffen einzelne Parlamentarier:innen es auf, meist in Form von schriftlichen oder mündlichen Fragen oder Kleinen Anfragen an die Bundesregierung. Diese Initiativen zielten auf eine Aufklärung der Vorgänge um die CD ab und kamen meist auf Anregung und unter Mitwirkung von Aufklärer:innen zustande.

Dies blieb jedoch lange Zeit weitgehend folgenlos für die politische und juristische Aufklärung. Die Bundesregierung beantwortete Fragen und Kleine Anfragen meist wortkarg, oftmals unter Verweis auf anhängige Justizverfahren und auf die Verantwortung chilenischer Stellen.

Auch wenn die Bundesregierung in der Regel antwortete, über keinerlei Erkenntnisse zu den betreffenden Vorgängen zu verfügen, konnten durch die Fragen einzelne Sachverhalte bestätigt werden, die Menschenrechtsaktivist_innen oder Journalist_innen zuvor recherchiert hatten.

Erst 2002 befasste sich der Bundestag in seiner Gesamtheit mit dem Fall CD und verabschiedete einen Entschließungsantrag, mit dem er die Bundesregierung zu konkreten Hilfs- und Aufklärungsmaßnahmen aufforderte.

Die Umsetzung dieser Maßnahmen unterblieb jedoch weitgehend. 2017, etwa ein Jahr nach der Rede von Bundesaußenminister Steinmeier zur CD, wurde ein weiterer Entschließungsantrag im Bundestag verabschiedet, erstmals einstimmig.

Der Antrag forderte die Bundesregierung zu einer Reihe von Maßnahmen zur Aufarbeitung der Verbrechen der CD auf. Während die darin enthaltene Forderung nach Förderung der strafrechtlichen Untersuchungen in Kooperation mit Chile bisher folgenlos blieb, wurden eine Reihe von anderen Maßnahmen eingeleitet, die bislang mit unterschiedlichem Erfolg umgesetzt werden.

Die allein vonseiten der Bundesregierung zu erbringenden Maßnahmen, wie die Finanzierung eines Oral History Projekts und die Einrichtung eines Hilfsfonds für einige Opfergruppen, werden bereits umgesetzt.

Für die mit der chilenischen Regierung im Rahmen einer Gemischten Kommission diskutierten und gemeinsam einzuleitenden Maßnahmen kam es bislang jedoch noch nicht zu konkreten Resultaten.

Dazu gehören die Errichtung eines Gedenkortes sowie eines Dokumentationszentrums; die Feststellung, Sicherung und Auswertung von Spuren und Dokumenten von auf dem CD-Gelände begangenen Verbrechen; sowie eine Überprüfung der Vermögenswerte der CD und der aus ihr hervorgegangenen Gesellschaften. Hier zeigt sich, wie bei der bilateralen Behandlung des Themas weiterhin Fragen der Zuständigkeit und Verantwortung eine Aufklärung und Aufarbeitung behindern.