Corona-Aufarbeitung und Sündenböcke: Querdenker-Bewegung vor Comeback?

"Querdenker"-Demo (Archivbild)

Stichwort Verwirrung: Im ersten Pandemie-Jahr wurde unter anderem dieser Vorwurf gegen Regierende und Mediziner erhoben. Archivbild: Martin Helgemeir / Shutterstock.com

Impf-Aversionen, Esoterik und Friedenssehnsucht mit rechtem Einschlag: Die Melange des ersten Pandemie-Jahrs existiert noch. Was wird aus ihr?

Eigentlich will mit Corona und der Pandemiezeit niemand mehr etwas zu tun haben. Viele der Protagonisten der "Querdenken"-Bewegung, die in den Jahren 2020 bis 2022 an Protesten gegen die Corona-Maßnahmen beteiligt waren, sind zerstritten.

Warum ein Querdenker-Organisator in U-Haft saß

Manche leben im Ausland, unter anderem, weil sie in Deutschland mit Strafverfahren konfrontiert sind. Der Gründer der "Querdenken"-Bewegung, Michael Ballweg, saß sogar für mehrere Monate in Untersuchungshaft – vorgeworfen wurden ihm Unregelmäßigkeiten bei Verwendung und der Versteuerung von Spendengeldern.

Über die Stichhaltigkeit der Vorwürfe und der Untersuchungshaft gibt es durchaus unterschiedliche Ansichten. Tatsächlich hat Ballweg weiter viele Fans, die nach seiner Entlassung aus der Untersuchungshaft ihr Idol sogar noch mehr verehren.

Das zeigte sich auch am Samstag, als bis zu 12.000 Menschen aus der ganzen Republik durch die Berliner Innenstadt sehen. Der unmittelbare Anlass war der vierte Jahrestag der ersten bundesweiten "Querdenken"-Demonstration am 3. August 2020. Deren reale Teilnehmerzahl ist bis heute umstritten. Doch für die "Querdenker" wurde sie zum Mythos.

Das wird auch dadurch deutlich, dass allein das vierte Jubiläum ausreichte, um Menschen in immerhin fünfstelliger Zahl in Berlin auf die Straße zu bringen, obwohl Lockdowns, Maskenpflichten in Einzelhandel und ÖPNV sowie die Debatte um eine allgemeine Impfpflicht längst Vergangenheit sind.

Querdenken zwischen Hippies und rechten Kameradschaften

Wie bei den "Querdenker"-Demos der vergangenen Jahre war auch der Aufzug am vergangenen Samstag davon geprägt, dass man an einigen Stellen den Eindruck hatte, man befinde sich auf einem Event von Alt-Hippies. Selbst Hare-Krishna-Gesänge waren zu hören. Nur wenige Meter weiter sah man rechte Kameradschaften, die sich etwas bürgerfreundlich für den Ausflug nach Berlin zurechtgemacht hatten. Doch ihre Transparente, in denen sie Heimatliebe beschworen, machten ihre Ideologie deutlich. Oft machten sie mit Trommeln auf sich aufmerksam.

Corona-Aufarbeitung und Frieden mit Russland

Zwei Themen dominierten die Demonstration am Samstag: Erstens geht es um die Aufarbeitung der Corona-Zeit. So rief Sucharit Bhakdi, Mediziner im Ruhestand, Buchautor und Ikone der "Querdenken"-Bewegung, dazu auf, Anzeigen gegen Impfärzte zu stellen, weil die angeblich – anders als Politiker – weniger vor der Justiz geschützt sind.

Daneben waren Friedenstauben in unterschiedlichen Variationen auf dem Demonstrationszug nicht zu übersehen. Wie bei den "Querdenken"-Aktionen in der Pandemiezeit machte auch der Aufzug am Samstag an vielen Stellen den Eindruck eines Friedensmarsches mit esoterischem Einschlag.

Das lag auch an den Songeinlagen, in die Demonstrierende mit mehr oder weniger künstlerischer Qualität immer wieder einstimmten. Da wurde an einer Stelle "We shall overcome", die Hymne der Schwarzen Bürgerrechtsbewegung der USA, angestimmt. Der Einsänger entschuldigte sich bei seinen Zuhörern, dass er eigentlich auch gegen das Verwenden der englischen Sprache in Deutschland sei, aber bei diesem Song müsse er eine Ausnahme machen.

Auch Bella Ciao, einst Hymne der italienischen Partisanen gegen den Faschismus, wurde auf der Demonstration angestimmt. Wenige Hundert Meter weiter wurde ein großes Porträt von Mahatma Gandhi auf einem Rollwagen geschoben. Der indische Unabhängigkeitskämpfer ist bei Pazifisten in aller Welt hoch angesehen. Ein großer Teil der Menschen, die am Samstag auf der Straße waren, haben mit Pazifismus allerdings wenig zu tun. Schließlich waren viele extreme Rechte auf der Demonstration vertreten,

Friedensdemos unter falscher Flagge

Darauf machte bereits vor einem Monat die pazifistische Organisation Internationale der Kriegsdienstgegner aufmerksam, nachdem Michael Ballweg angekündigt hatte, alle Formen von Kriegsdienstverweigerung zu unterstützen.

Bei allem Respekt vor jeder persönlichen Entscheidung, den Kriegsdienst zu verweigern: Wer – wie Michael Ballweg – kein Problem damit hat, gemeinsame Sache zu machen mit Leuten, deren Ziele menschenverachtend sind und deren Methoden Gewalt einschließen, der hat ein massives Problem mit seiner Glaubwürdigkeit. Von daher drängt sich der Eindruck auf, dass Ballwegs lautstark hinausposauntes Bekenntnis zur Kriegsdienstverweigerung wenig mehr ist als ein PR-Manöver mit dem Ziel, die berechtigte Kriegsangst vieler Menschen vor seinen Karren zu spannen.

Internationale der Kriegsdienstgegnerinnen und -gegnerinen, 8. Juli 2024

Das hielt aber das langjährige Mitglied der Partei Die Linke, Christiane Reymann, nicht davon ab, als Rednerin auf der Abschlusskundgebung der Querdenkenaktion zur Beteiligung an der am 3. Oktober in Berlin geplanten bundesweiten Friedensdemonstration aufzurufen.

Vorher sprach sie über sehr persönliche Erlebnisse als Journalistin in Wolgograd, wobei sie ihre Rührung ausdrückte, dass an dem Ort, an dem die deutschen Truppen Mord und Verwüstung hinterließen, die Klänge des deutschen Komponisten Schumann zu hören waren.

Aber warum fragte sich Reymann nicht, ob sie vor dem richtigen Publikum spricht, wenn zumindest ein Teil der Zuhörer, das NS-Regime mindestens verharmlosen und nur wenige Meter weiter sogar NS-verherrlichende Schriften ausgelegt waren.

Rechte und Esoteriker unter sich

Die Stände auf dem Platz der Abschlusskundgebung machten dann sehr deutlich, welches politische Spektrum hier für sich warb. Gleich hinter dem Eingang befand sich ein großer Stand der AfD. Der sächsische Bundestagsabgeordnete Steffen Janich gab an einem Stehtisch Informationen über seine Partei.

Neben der AfD machte das "Zentrum – die alternative Gewerkschaft" auf sich aufmerksam. Als Zentrum Automobil stand diese Gruppierung wegen ihrer Wurzeln in extrem rechten Kreisen sogar auf einer Unvereinbarkeitsliste der AfD, was in der Praxis aber die gute Kooperation nicht tangierte.

Das zeigte sich auch am Samstag, wo die Beteiligten der nebeneinander liegenden Infostände gut harmonierten. Neben der AfD hatte auch die Kleinpartei Die Basis einen großen Stand auf dem Platz der Abschlusskundgebung. Auch auf der Demonstration war sie gut sichtbar vertreten.

Missglückte Querfront: Die Linke kam nicht

Als zentraler Organisator der Demonstration hatte Michael Ballweg in einem Interview mit der rechten Wochenzeitung Junge Freiheit erklärt, man habe alle Oppositionsparteien eingeladen, Stände anzumelden. Die Linke ist aber aus Gründen nicht darauf eingegangen. Dafür war ein "Deutscher Aufbruch" mit einem Stand vertreten, auf dem Schriften auslagen, die das NS-Regime verteidigten.

Zudem gab es Zettel mit antisemitischen Inhalten zum Mitnehmen. Der langjährige Nazikader Steffen Hupka warb dort für "deutsche unabhängige Siedlungen". Das ehemalige NPD-Mitglied ging allerdings zu allen anderen Parteien und auch zu Ballweg auf Distanz.

Zwischen all den rechten und extrem Rechten warben junge Leute in orangenen Gewändern an ihren Stand für mehr Meditation. So bot auch das Remake der "Querdenken"-Demonstrationen das Bild, das wir schon von ähnlichen Aktionen vor vier Jahren kennen.

Wie weiter mit Querdenken?

Alles in allem: Etwas Esoterik, viel Irrationalismus und eine Rechte, die davon zu profitieren hofft. Die große Resonanz am Samstag zeigt aber auch, dass man mit diesen diffusen Unmutsbekundungen weiterhin Menschen auf die Straße bringen kann. Es gibt mittlerweile nicht nur im Internet eine Vielzahl von Medien, sondern auch in gedruckter Form, die diese Ideologie alltäglich den Interessanten liefern.

Die Mischung aus "Frieden mit Russland" aus deutschnationalen Gründen, der Aversion gegen Impfungen und Hass auf alle, die über die Klimakrise reden sowie Ressentiments gegen gesellschaftliche Minderheiten und die "Mainstream-Presse" hat die Pandemie überlebt.