Dänischen Journalisten drohen dreimal vier Monate Gefängnis

Stadtgericht Kopenhagen berät Strafmaß für Geheimnisverrat

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Zwei Journalisten und der Chefredakteur der Zeitung Berlingske Tidende stehen in Kopenhagen vor Gericht, weil sie vertrauliche Informationen aus Kreisen des Geheimdienstes Forsvarets Efterrettning verbreitet hatten (Gefährdung der nationalen Sicherheit). Der Anklagevertreter ließ bereits verlauten, es werde bereits an der Begründung des Strafmaßes gearbeitet. Vier Monate Gefängnis sollen es werden.

Die Frage, ob Journalisten für die Veröffentlichung ihnen zugetragenen Geheimmaterials verantwortlich sind, die Pressefreiheit hier also außer Kraft gesetzt werden soll, beschäftigt zur Zeit auch wieder deutsche Gerichte (Dienstgeheimnisse und Medienzensur). Wenn das Stadtgericht Kopenhagen demnächst zu der Auffassung kommt, Michael Bjerre, Jesper Larsen und Niels Lunde hätten Informationen des Geheimdienstoffiziers Frank Grevil nicht verbreiten dürfen, hat Dänemark aller Wahrscheinlichkeit nach auch einen solchen Pressefreiheits-Skandal. Ankläger Michael Jørgensen sagte nach Medienberichten:

Einerseits ist das Verbrechen Grevils schwerwiegender, denn er war es, der vertrauliche Informationen weitergab, aber auf der anderen Seite kann man sagen, dass seine Informationen völlig bedeutungslos geblieben wären, wenn niemand sie verbreitet hätte.

Seit dem 20. November stehen die drei Journalisten vor Gericht einem unnachgiebigen Ankläger gegenüber. Er hat nun vier Monate Gefängnis für alle drei gefordert – eine ebenso lange Haftstrafe, wie der Informant bekommen hatte, der die Geheimdienstinformationen an die Presse weitergab. Die Verteidigung hingegen hatte Freispruch gefordert. Am Montag, dem 4. Dezember, wird der Hammer fallen.

Das Leck im Nachrichtendienst und der Scoop von Berlingske Tidende

Major Frank Grevlin war im Auslandsnachrichtendienst für die Analyse der Informationen zuständig, die kurz vor Beginn des Irakkrieges den Beweis liefern sollten, dass Saddam Hussein Massenvernichtungsmittel besaß. Grevlin war nicht bereit, der dänischen Regierung von Ministerpräsident Anders Fogh Rasmussen bestätigende Informationen zu geben, weil er sie einfach nicht zweifelsfrei hatte. Die Regierung ging jedoch von der Existenz der Massenvernichtungsmittel aus und trug ihre Erkenntnisse dem Folketing vor.

Das Folketing ist das dänische Parlament, und es beschloss aufgrund des Regierungsvortrages die Beteiligung der Dänen am Irakkrieg. Später gab auch Rasmussen zu, die Annahme der Existenz von Massenvernichtungsmitteln sei falsch gewesen. Da aber stand alles bereits in „Berlingske Tidende“, und Frank Grevlin, die Quelle, hatte sich bereits selbst öffentlich zu erkennen gegeben. Er wurde deshalb zu vier Monaten Haft ohne Bewährung verurteilt. Grevlins Fall wird nach Informationen von Danmarks Radio beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte bearbeitet.

Die beanstandeten Artikel in „Berlingske Tidende“ erschienen am 22. Februar 2004 und in den darauffolgenden Wochen. Seitdem ziehen sich die Untersuchungen hin. Michael Bjerre und Jesper Larsen erhielten am 10. November 2006 den Journalistenpreis der Zweitschrift „Se og Hør“. Das ist eine Publikumszeitschrift von Danmarks Radio. Der Preis, mit 150.000 dänischen Kronen ist er dotiert (etwa 20.150 Euro), verlieh Se og Hør-Chefredakteur Henrik Quortrup mit der Begründung: „Sie erhalten den Preis als Anerkennung für eine wichtige journalistische Leistung.“ So berichtete es die Tageszeitung "Politiken".

Eine Woche später sollte der Vorsitzende des dänischen Journalistenverbandes DJ, Mogens Blicher Bjerregård, als Zeuge über die journalistische Qualität der Artikel der beiden Journalisten aussagen. Bjerregård sagte, die Kollegen hätten sehr sorgfältig gearbeitet:

Das ist sehr sorgfältiger und gründlicher Journalismus. Die Artikel basieren auf Fakten und sind nicht polemisch und politisierend. Sie legen Fakten vor, die vorher nicht bekannt waren, so dass die Leser sich selbst eine Meinung übe die Artikel machen können.

Der Vorsitzende des Journalistenverbandes meinte weiter, dieser Fall sei das größte und ernsteste Vorkommnis in Sachen Verletzung der Presse- und Meinungsfreiheit, die Dänemark jemals erlebt habe.

Eine Verurteilung bedeutet, dass Journalisten vorsichtiger in ihrer Arbeit werden, wenn sie die Staatsmacht kontrollieren. Sie könnten Angst vor Strafen bekommen, wenn sie ihre Pflicht tun.

Die OSZE in Wien protestierte

In Wien hat die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) eine Abteilung, die sich mit Presse- und Meinungsfreiheit befasst. Ihr Leiter ist derzeit Miklos Haraszti, und der protestierte am 23. November gegen den Prozess in Dänemark. „Ich habe immer und immer wieder gesagt, dass Journalisten und Medien nicht für den Besitz oder das Veröffentlichen von vertraulichen Informationen verantwortlich gemacht werden dürfen“, meint der oberste europäische Wächter der Meinungsfreiheit.

Jedoch sollten die Strafgesetze für die Quellen gelten, zumal dann, wenn die Quellen einen Diensteid auf Verschwiegenheit abgelegt haben. Im Übrigen wundere es ihn, so Haraszti, dass ein Prozess in Dänemark überhaupt zustande kommen konnte. Denn das Strafrecht erkenne ausdrücklich das Informationsrecht der Öffentlichkeit an.

Eine Verurteilung würde aus seiner Sicht die Rolle der Medien als Watchdog hemmen – und Watchdogs seien „entscheidend in einer demokratischen Gesellschaft“.