Das Dilemma der Lockdown-Politik

Seite 2: Lösung ohne erneuten Lockdown?

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Freilich besteht immer Hoffnung, dass vielleicht doch noch ein medizinisches Wunderpräparat die Krise vorzeitig beenden wird. Das kann aber lediglich ein Trumpf im Ärmel der Staatsstrategen sein aber niemals die Prämisse, auf deren Grundfesten eine Exitstrategie aufbaut.

Was aber, wenn man einen weiteren Lockdown unbedingt vermeiden möchte? Würde das automatisch eine höhere Opferzahl bedeuten? Nun vielleicht, aber nicht unbedingt. Das hängt vor allem davon ab, wie schnell man jetzt reagiert und wie effizient man die Zeit bis zum nächsten "Outbreak" nutzt, um medizinisch und personell aufzurüsten.

Flächendeckende Antikörpertests bei Asymptomatischen und Stichproben würden dabei helfen, den tatsächlich Durchseuchungsgrad der Bevölkerung genauer abschätzen zu können. Je höher dieser ausfällt, desto breiter ist klarerweise auch die kollektive Immunität gegen das Virus. Jene, die bereits immun sind, könnten dann in verschiedensten Bereichen zum Wohl der Risikogruppen eingesetzt werden. Dass ältere Menschen sowie Menschen mit Vorerkrankung noch länger isoliert bleiben müssen, dürfte inzwischen klar sein. Doch nicht aus Diskriminierung, sondern zu Ihrem eigenen Schutz.

Selbstverständlich müsste auch das Ärzte- und Pflegepersonal regelmäßig getestet werden, um das Virus nicht unbemerkt weiterzuverbreiten. Am besten wäre es vermutlich Covid-19-Patienten in einer eigenen Struktur oder Abteilung zu behandeln, um das Infektionsrisiko für die restlichen Patienten möglichst gering zu halten. Senioren- und Altersheime sollten besonders gut ausgerüstet werden und auch die Hygienemaßnahmen könnten weiterhin gelten. Je nach Zahlenentwicklung und Gefahrenlage sind auch föderal-regionale Lösungen denkbar.

Freilich, diese Ideen sind nicht originell. Im Netz kursieren bereits Myriaden von Vorschlägen für die "Zeit danach" - die Zeit nach dem gesellschaftlichen und ökonomischen Stillstand. Die kreative Palette reicht von innovativen Kontroll-Apps, die biometrische Bewegungsprofile erstellen bis hin zu "Quarantäne-Inseln" für Infizierte. All diese Präventionsmaßnahmen in den "Zwischenphasen" könnten einen weiteren Lockdown unnötig machen. Doch was, wenn all diese Maßnahmen nicht ausreichen, um das Virus im Zaum zu halten?

Wirtschaft vs. Gesundheit?

Wer dieser Tage gegen den Lockdown und für die Rehabilitierung des ökonomischen und gesellschaftlichen Lebens plädiert, sieht sich prompt vehementen Vorwürfen ausgesetzt. Die Gesundheit habe jetzt oberste Priorität. Wirtschaftliche Interessen müssten nun hintenanstehen, die individuelle Freiheit ebenso. Das klingt plausibel, doch so einfach ist es nicht.

Vermutlich ist den meisten das Ausmaß der ökonomischen und gesellschaftlichen Schäden nicht mal ansatzweise klar. Massenarbeitslosigkeit, Hunger, häusliche Gewalt, Psychopathologien, Suizid, der Anstieg von Drogenmissbrauch und ein sich abzeichnender Generationenkonflikt sind nur einige der kollateralen Effekte, die eine zyklische Lockdown-Strategie haben wird.

Wer glaubt, dass ein Hilfspaket hier und eine Finanzspritze da diese Katastrophe abwenden werden, der irrt. Die von den Staaten und der EU geschnürten Geldpakete können den Schaden zwar lindern, aber vermieden wird er dadurch nicht.

Dazu kommt, dass das Leistungspotenzial eines Gesundheitssystems in erheblichem Maße von der Wirtschaftsleistung eines Staates abhängt. Das würde im Umkehrschluss bedeuten, dass wenn die Wirtschaft stirbt, eine hinlängliche Gesundheitsversorgung nicht mehr gewährleistet werden kann. Spätestens wenn sich dieser Kreis schließt, sollte klar sein, weshalb gesundheitliche und ökonomische Folgen sich nicht entkoppeln lassen - Gesundheit und Wirtschaft bedingen einander, denn nicht nur das Virus, sondern auch der Lockdown produziert Tote.

Auch die subversive Potenz der totalitären Maßnahmen für liberale Demokratien sollte nicht unberücksichtigt bleiben. Die Hemmschwelle für eine erneute Setzung einschränkender Maßnahmen könnte zukünftig gefährlich sinken. Denn Anlass dafür wird sich immer finden lassen, ob es nun Terroristen sind oder eine neue Epidemie, die in Afrika schwelt, spielt dabei keine Rolle. Es wird ausreichen, um die Reaktivierung der Kontrollmaßnahmen zum Schutze der Bevölkerung zu legitimieren. Zudem könnte sich das Volk dann bereits an den staatlichen Rigorismus gewöhnt haben. Doch die Debatte über diese Gefahren wird bereits geführt - und das ist gut so.