Das Ende der Globalisierung

Seite 2: Handelserleichterungen gegen politische Zugeständnisse

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Schon am 9. März, als Trump seine Zollrede hielt, forderte der DIHK-Präsident im Handelsblatt die Wiederaufnahme der TTIP-Verhandlungen, mit denen die Obama-Administration Europa erfolglos an ein atlantisches Bündnissystem binden wollte - und die ja maßgeblich an deutschen Vorbehalten scheiterten.

Von einem "harten Brexit" gegenüber Großbritannien als dem engsten Verbündeten der USA will die deutsche Wirtschaft nun ebenfalls nichts mehr wissen. Laut Spiegel Online vom 13. März sprach sich der BDI dafür aus, Briten "künftig wie Norweger" bevorzugt zu behandeln.

Der ökonomische Nachteil eines starken Handelsdefizits wird somit von Washington in ein geopolitisches Machtinstrument transformiert, nicht nur im Fall des Exportweltmeisters Bundesrepublik. Handelserleichterungen gegen politische Zugeständnisse - dieses Muster einer neuen amerikanischen Politik, die Protektionismus als machtpolitischen Hebel benutzt, scheint sich zu verfestigen.

Ausnahmeregelungen für "Verbündete"

Die Financial Times berichtete am 9. März von "Türen für Ausnahmen", die Washington offen lasse, um den wachsenden Befürchtungen zu begegnen, der US-Präsident würde "Amerikas engste internationale Partner verprellen". Deswegen werde Washington seinen Verbündeten erlauben, sich um Ausnahmeregelungen zu bemühen. Die US-Administration wolle überdies einen Prozess in Gang setzen, der die "Exklusion bestimmter Produkte und Länder mit engen Sicherheitsbeziehungen zu den USA" vom Zollregime zulasse, so die Financial Times.

Inzwischen konnte Australien als einer der engsten Bündnispartner der Vereinigten Staaten im pazifischen Raum sich entsprechende handelspolitische Ausnahmebestimmungen sichern. Australien spiele "geschickt seine geostrategische Bedeutung aus", jammerte die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) am 11. März, um so "eine Befreiung von den Strafzöllen" von der Trump-Administration zu erhalten.

Australien sei Teil eines informellen geopolitisches Bündnisses "mit Japan, Amerika und Indien", das Chinas Machtentfaltung blockieren solle, so die FAZ. Diese geopolitische Position spiele Canberra "nun gegenüber den Amerikanern aus". Um ähnliche Ausnahmeregelungen bemühen sich derzeit auch Südkorea und Japan, die ebenfalls an der antichinesischen Eindämmungsstrategie Washingtons - mit wechselndem, nun sicher wieder neu aufflammenden Eifer - mitwirken.

USA: Machtpolitische Nötigung in Zeiten des Verlustes der Hegemonie

Dennoch ist der Trumpische Protektionismus ein Zeichen der Schwäche. Letztendlich versetzt diese geopolitische Instrumentalisierung protektionistischer Politik Washington nur in die Lage, seinen imperialen Abstieg zu verzögern. Die große ökonomische Schwäche der USA, das extreme Handelsdefizit, dient dazu, die auf Globalisierung geeichten Konkurrenten der USA unter Druck zu setzen.

Die hochverschuldeten USA gleichen einem waffenstarrenden Griechenland, das die Weltleitwährung kontrolliert und die Spielregeln der Weltwirtschaft nun rabiat umbaut - und mit dem Berlin nicht so umspringen kann wie 2015 mit Athen.

Die USA haben ihre Hegemonie schon verloren. Ein Hegemon muss sein Bündnissystem nicht mit Zwangsmaßnahmen und Drohungen vor dem Zerfall bewahren, wie es Washington nun praktiziert - die gegenwärtige Situation ist die bloßer machtpolitischer Dominanz, bei der die USA ihre westlichen "Partner" durch die Androhung von Strafzöllen noch zu Kooperation im westlichen "Wertesystem" nötigen wollen.

Ein Hegemon muss nicht permanent seine Machtmittel einsetzen, da die in seinem Bündnissystem organisierten Mächte hiervon ebenfalls profitieren - und dieses folglich akzeptieren.

Und dies ist in der gegenwärtigen Etappe der Krise des kapitalistischen Weltsystems nicht mehr gegeben. Es ist folglich nicht nur die auf militärischer Überlegenheit aufbauende Kontrolle der Weltleitwährung, die die Hegemonie der USA aufrechterhielt. Das enorme Handelsdefizit, das die Vereinigten Staaten im 21. Jahrhundert ausbildeten, bildete die ökonomische Grundlage der US-Hegemonie, die gerade deswegen akzeptiert wurde, weil sie vielen Ländern einen schuldenfinanzierten Absatzmarkt verschaffte.

Die sich immer weiter in ihrer eigenen Weltleitwährung verschuldenden USA wirkten somit stabilisierend auf die gesamte, unter struktureller Überproduktion leidende Weltwirtschaft. Im Rahmen der Globalisierung wurde somit vor allem eine Verschuldungsdynamik mit den USA in ihrem Zentrum globalisiert, bei der im Rahmen von Defizitkreisläufen Exportländer wie China zu den größten Gläubigern der USA aufsteigen.

Bei diesen Defizitkreisläufen wurden etwa chinesische Exporte mit amerikanischen "Wertpapieren" beglichen. Ähnlich verhielt es sich bis zum Ausbruch der Eurokrise in Europa mit den deutschen Überschüssen gegenüber der Eurozone.

Verelendung und Protektionismus

Dieses langfristige, strukturelle Defizit der USA hat diese sozioökonomisch verwüstet, was der Rechtspopulist Trump durch eine nationalistische Politik des Protektionismus und der "Reindustrialisierung" zu revidieren versprochen hat.

Trump ist ja gerade deswegen gewählt worden, nachdem das Establishment der Demokraten durch Manipulationen und Betrug dem linken Kandidaten Bernie Sanders den Sieg in den Vorwahlen nahm.

Inzwischen gleiche das (Über-)Leben in den Vereinigten Staaten für einen großen Teil der pauperisierten Bevölkerung dem Überlebenskampf in der Dritten Welt, so lautete das Fazit einer 2017 publizierten Studie. Die einstmals große amerikanische Mittelklasse sei im Gefolge der Deindustrialisierung des Landes in den vergangenen Dekaden stark abgeschmolzen, rund 80 Prozent der Bevölkerung seien verschuldet und leiden unter der prekären Existenz in ungesicherten Arbeitsverhältnissen.

Und es ist ja gerade diese breite Verelendung, die ebenso den Wunsch nach Wandel, den Bernie Sanders personifizierte, beförderte wie auch den rechtspopulistischen Wahn eines politischen Borderliners wie Donald Trump.

Die Selbstdarstellung der USA als Opfer "unfairer Handelspraktiken", die von Trump kultiviert wird, scheint somit einen wahren Kern zu enthalten. Die Beggar-thy-Neighbor-Politik, wie sie vor allem Deutschland gegenüber der Eurozone mit verehrender Effizienz praktizierte, führt zu Verschuldung, Deindustrialisierung und letztendlich Massenelend in den Zielländern dieser Exportoffensiven: in der südlichen Peripherie des "deutschen Europa" ebenso wie in dem Rust Belt der USA.

Der Kapitalismus ist zu produktiv

Und dennoch trügt Trumps rechtspopulistischer Blick auf das Krisengeschehen, der so gerne überall simple, einfache "Wahrheiten" sehen will. Die zunehmenden globalen Ungleichgewichte in den Handelsbilanzen, bei denen exportorientierte Länder wie die Bundesrepublik durch Exportüberschüsse zur Deindustrialisierung und Verelendung in Importländern beitragen, die nun zum Mittel des Protektionismus greifen, sind Ausdruck einer objektiven, systemischen Krisentendenz: der zunehmenden Verschuldung des gesamten kapitalistischen Systems, das nur noch auf Pump läuft, quasi durch die Verfeuerung zukünftiger Kapitalverwertung im Hier und Jetzt.

Die Gesamtverschuldung der globalisierten "One World" steigt viel schneller als die Weltwirtschaftsleistung. Die hierdurch generierte, kreditfinanzierte Nachfrage ist notwendig, um eine kapitalistische Warenproduktion überhaupt noch funktionsfähig zu erhalten, die bereits zu produktiv für die kapitalistischen Produktionsverhältnisse geworden ist. Der Kapitalismus ist längst zu produktiv für sich selbst, was sich in Schuldenbergen und Spekulationsblasen manifestiert.

Es verschulden sich aber nicht alle Volkswirtschaften und Staaten gleichmäßig. Exportorientierten Ländern wie der Bundesrepublik, Süd Korea oder China stehen die Defizitländer gegenüber, die mit zunehmender Verschuldung die Handelsüberschüsse aufnahmen. Die subjektive Verdrängungskonkurrenz zwischen den Standorten exekutierte somit eine objektive Tendenz zunehmender, globalisierter Verschuldung des gesamten Systems.

Diese globalisierte Verdrängungskonkurrenz, bei der durch subjektive Standortkonkurrenz auf dem Weltmarkt entschieden wird, welchem Land die objektive Verschuldungsdynamik aufgebürdet wird, findet in den gegenwärtigen, nationalistischen handelspolitischen Auseinandersetzungen bloß ihre Zuspitzung.

Dennoch sollte die Ursachensuche nicht mit einer populistischen Sündenbocksuche verwechselt werden. Deutschland beispielsweise mag diese Konstellation unbewusst ausgenutzt haben (Agenda 2010), um vermittels Handelsüberschüssen und Schuldenexport auf Kosten Europas die Illusion einer heilen kapitalistischen Arbeitsgesellschaft aufrechtzuerhalten, doch stellt diese Beggar-thy-Neighbour-Politik nur eine Reaktion auf den objektiven, sich marktvermittelt hinter dem Rücken der Subjekte entfaltenden Krisenprozess dar.

Es gibt hier keine Schuldigen, die diese Krise "verursacht" hätten (Schuld wurde bei der Instrumentalisierung der Krise auf sich geladen, etwa als ein Wolfgang Schäuble im neudeutschen Machtwahn halb Europa in das Elend der Austerität trieb.

Der Krisenprozess ist hingegen Ausdruck der dem Kapitalverhältnis innewohnenden Widersprüche: Der Tendenz des Kapitals, sich durch konkurrenzvermittelte Rationalisierungen seiner eigenen Substanz, der wertbildenden Arbeit in der Warenproduktion, zu entledigen. Globalisierung und globaler Schuldenturmbau stellten somit Systemreaktionen auf diese zunehmenden inneren Widersprüche des Kapitals dar.

Und diese Krisenphase neigt sich nun ihrem Ende entgegen - gerade weil die USA als größte Defizitwirtschaft ihr gigantisches Handelsdefizit nicht mehr tragen wollen. Es sind die beschriebenen sozioökonomischen Folgen dieses Krisenprozesses, die dem Rechtspopulismus genügend Auftrieb verschafften, um einen seiner Vertreter ins Weiße Haus zu spülen.