Das Geschäft mit den Staatsschulden

Seite 4: Dohnanyis "Jugendsünden"

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Es gab Zeiten in Deutschland, da wurden solche grundlegenden Geldreformideen ernsthaft von führenden Politikern der SPD diskutiert. Nicht von Arbeiterräten während der Revolution von 1918 oder im Chaos der Weimarer Republik, sondern im ruhigen Fahrwasser der 1980er Jahre, mitten in der feinen hanseatischen Gesellschaft.

Damals hatte der Hamburger Bürgermeister und Ex-Bundesbildungsminister Klaus von Dohnanyi eine hochkarätig besetzte Zusammenkunft zur Geldpolitik organisiert. Mit dabei waren ein halbes Dutzend Wirtschaftsprofessoren sowie führende Beamte von Regierung und Bundesbank. Die honorigen Teilnehmer trafen sich zwischen 1983 und 1985 mehrfach, um die Möglichkeit eines zins- und tilgungsfreien Zentralbankkredites an den Staat kontrovers und mit deutscher Gründlichkeit zu diskutierten. 1986 erschien ein Tagungsband ("Notenbankkredit an den Staat?") mit den maßgeblichen Beiträgen dazu.16

Ideengeber für die direkte Staatsfinanzierung war damals der Wirtschaftsprofessor Wolfgang Filc, welcher - wen wundert's - auf heftigen Widerstand stieß, unter anderem seitens des ehemaligen Wirtschaftsweisen und Neoliberalen Armin Gutowski. Dessen Argumentation stützte sich auch auf die bereits beschriebene Begriffsverwirrung von "Regierung", "Zentralbank" und "Staat", gab dieser aber noch einen feineren Dreh:

Schließlich ist zu bedenken, dass die deutsche Öffentlichkeit aufgrund des schlechten Beispiels, das der Staat in der Vergangenheit gegeben hat, gegen eine Notenbankfinanzierung öffentlicher Ausgaben hoch sensibilisiert ist. (…) Auch wenn nicht beabsichtigt ist, die geldpolitische Autonomie der Bundesbank anzutasten, bestünde die Gefahr, dass eine direkte Finanzierung öffentlicher Investitionen durch die Notenbank die Inflationserwartungen nach oben gehen ließe. Dies würde die Zinsen in die Höhe treiben und damit Wachstum und Beschäftigung gefährden.

Armin Gutowski

Die Kritiker warnten also gar nicht vor einer konkreten Inflationsgefahr, sondern lediglich vor einer unterstellten öffentlichen "Erwartung" einer solchen Inflation, die historischen Ängsten geschuldet sei. Der rhetorische Schachzug bestand darin, diese Ängste nicht etwa als offenkundig unbegründet auszuräumen, sondern sie geschickt, ohne im Detail darauf einzugehen, weiter als politisches Spielmaterial zu nutzen.

Der Wissenschaftler Filc erlebte ähnlich starken politischen Widerstand gegen unkonventionelle Ideen später noch einmal, als er Ende der 1990er Jahre für kurze Zeit die für internationale Fragen zuständige Abteilung im Bundesfinanzministerium leitete, damals geführt von Oskar Lafontaine und Heiner Flassbeck.17 Bei Konferenzen zur Finanzpolitik in Washington kurz vor der Jahrtausendwende erlebte er, dass auf höchster Ebene fachliche Argumente noch weniger zählen.

Dabei war die von Filc und Dohnanyi in den 1980er Jahren angedachte Variante einer Staatsfinanzierung durch die Zentralbank noch eher bescheiden angelegt. Keine Mark zusätzlich sollte geschöpft werden, eine Inflation war praktisch ausgeschlossen. Es ging allein darum, den Spielraum der Zentralbank moderat zu erweitern, um bei der Staatsverschuldung nicht völlig von privaten Banken abhängig zu sein. Den Gegnern war natürlich klar, dass es hier ums Prinzip ging und dass man solche gefährlichen alternativen Ideen besser schon im Ansatz entschieden bekämpfte. Seither haben sich regierende Politiker hierzulande an dieses heiße Eisen nicht mehr herangewagt.

Hindernis Lissabon-Vertrag

In Deutschland und der EU insgesamt sind solche Schenkungen der Zentralbank an den Staat mittlerweile sogar gesetzlich verboten, wie man in Artikel 123 des Vertrages von Lissabon nachlesen kann.18 Dieser Vertrag, der als eine Art EU-Verfassung gilt, hat eine gewisse Berühmtheit dadurch erlangt, dass er 2009 weitgehend ohne Referendum, also ohne direkte Zustimmung aller Bürger der Europäischen Union, beschlossen und dennoch zum geltenden Recht innerhalb der EU erklärt wurde.

Auffällig ist, wie trotz überall steigender Verschuldung verbissen an Artikel 123, also dem absoluten Verbot jeder Staatsfinanzierung durch öffentliche Zentralbanken, festgehalten wird, während etwa Artikel 125 des gleichen Vertrages (sinngemäß: kein Mitgliedsstaat der EU haftet für einen anderen) seit der Finanzkrise stillschweigend ignoriert oder, besser gesagt, gebrochen wird. Es geht also offenkundig nicht um Rechtsprinzipien, sondern um eine ganz bestimmte Politik.

Inzwischen werden jedoch auch Gegenstimmen laut. So argumentierte der Chef der britischen Bankenaufsicht, Adair Turner, im Jahr 2013, man solle das alte Tabu endlich brechen und "entspannter mit der Idee umgehen, dass Staaten Geld drucken".19 Auch er vermengte hier zwar sprachlich Zentralbank und Regierung zum allumfassenden Gebilde "Staat". Sein Anliegen aber war einleuchtend: In einer Krisensituation, wenn Banken allgemein zu wenige Kredite vergeben, kann der direkte Weg des Geldes von der Zentralbank an den Staat (und von dort über Aufträge an die Privatwirtschaft) eine schwächelnde Wirtschaft wieder in Schwung bringen.

Die Notwendigkeit einer Staatsfinanzierung durch Zentralbanken aber ist tiefer begründet: nämlich im Anspruch auf die Souveränität einer Gesellschaft. Unter den Zwängen der wachsenden Verschuldung gegenüber einer kleinen, wohlhabenden Schicht ist eine Regierung nicht demokratisch kontrollierbar. Die Macht liegt am Ende immer bei den Gläubigern.

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