Das Kennedy-Puzzle

Seite 3: Lee Harvey Oswald

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Der Auslandsgeheimdienst CIA verdächtigte sofort die politischen Gegner Sowjetunion und Kuba, obwohl etwa der pragmatische Castro kaum ein Motiv gehabt haben konnte, den Dritten Weltkrieg zu riskieren, nur um den gemäßigten Kennedy gegen dessen Stellvertreter Johnson auszuwechseln, den Kandidaten der amerikanischen Rechten aus den Südstaaten. Die Dallas-Polizei vermochte jedoch in erstaunlicher Ermittlungsgeschwindigkeit mit einem angeblich kommunistischen Irren namens Lee Harvey Oswald aufzuwarten, der im Alleingang den Präsidenten erschossen habe.

Unabhängig davon, ob man nun der Alleintätertheorie anhängt, oder der von mehreren Tätern ausgehenden Kreuzfeuer-Theorie folgt, ist die Indizienlage für jegliche Täterschaft Oswalds äußerst dünn: Auf der unter dubiosen Umständen sichergestellten angeblichen Tatwaffe, einer deutschen 7.65 mm Mauser, die sich später in 6.5 mm Manlicher-Carcano-Gewehr verwandelte, fand das FBI keinen Handabdruck, stellte die Dallas Polizei unter irregulären Bedingungen einen Handabdruck sicher, den das FBI nicht hatte finden können. Weiterhin wird Oswald mit der angeblichen Tatwaffe durch Fotos in Verbindung gebracht, deren Echtheit von ihm selbst sowie von Experten bestritten wird. Anders als sonstige politische Überzeugungstäter bestritt Oswald nicht nur die ihm zur Last gelegten Tat, auch befand er sich zur Tatzeit offenbar nicht an im sechsten Stockwerk des Schulbuchlagers. Weder überführte ihn ein Paraffintest, der Schmauchspuren auf seinen Händen nachweisen sollte, noch wurde er förmlich als Verdächtiger verhört. Nicht einmal einen Anwalt hatte man ihm zugebilligt oder von den Verhören wenigstens Mitschriften gefertigt. Eine Chance, die Anschuldigung in einem Gerichtsprozess widerlegen zu können, war Oswald nicht vergönnt.

Ferrie und Oswald

Direkt nach dem Attentat kam dem Staatsanwalt von New Orleans, Jim Garrison, bei der Überprüfung von Oswalds Kontakten zu Ohren, Oswald sei im Sommer mit David Ferrie gesehen worden. Bei seinem Verhör gab Ferrie an, nach Houston „zum Schlittschuhlaufen“ gefahren zu sein. Später stellte sich heraus, dass er dort zwar eine Eisbahn aufgesucht hatte, jedoch nur konstant an öffentlichen Telefonen gesehen wurde – solchen, die das FBI schlecht überwachen konnte. Nachdem Garrison seinen Zeugen dem FBI übergeben hatte, legte er den Fall im Vertrauen auf die Bundesbehörde zunächst zu den Akten – bis er Jahre später Ferries Bekannten Clay „Bertrand“ Shaw der Verschwörung zum Mord an Kennedy anklagte.

Zwar hatte Ferrie jegliche Bekanntschaft mit Oswald abgestritten, jedoch beweist ein Foto von 1955, dass sich beide aus ihrer Zeit bei der paramilitärischen Civil Air Patrol kannten, in der Ferrie im Fliegen und Schießen ausgebildet hatte. Oswalds Begeisterung für das Militär war so groß gewesen, dass seine Mutter für ihn eine Urkunde fälschen ließ, damit der erst 17jährige in das Marinecorps eintreten konnte.

Es hat den Anschein, dass es ein Filmdokument vom Frühsommer 1963 gab, auf dem Oswald und Ferrie gemeinsam zu erkennen sind – in einem Trainingslager der von der Mafia unterstützen Exilkubaner in Lacombe am Lake Pontchartrain nördlich von New Orleans, dessen Existenz bis dahin notorisch bestritten worden war. Die fünf Personen, die auf dem Film zu sehen sind, wurden von dem HSCA-Untersuchungsrichter Robert Tanenbaum identifiziert: Neben Ferrie und Oswald erkannte Tanenbaum auch David Atlee Phillips, den Chef des CIA-Büros Mexico, das nach Oswalds Verhaftung KGB-Kuba-Gerüchte streute, Antonio Veciana von der CIA-gestützten Anti-Castro-Truppe "Alpha 66" – und Ferries Auftraggeber und Ex-FBI-Mann, Waffenschieber und Ausrüster der Anti-Kuba-Front Guy Banister, aus dessen Büro Oswald seine "Fair Play For Cuba"- Flugblätter verschickt hatte. Als Tanenbaum den Film dem Komitee Wochen nach seinem Fund 1976 vorführen wollte, war dieser spurlos verschwunden. Tanenbaum trat daraufhin von seinem Amt als HSCA Deputy Counsel zurück.

Beweise für die Verbindung zwischen Ferrie und Oswald hatten allgemein eine Tendenz, zu verschwinden: Als Jim Garrison seine Anklage von 1969 gegen den zwielichtigen Geschäftsmann und Ex-CIA Partner Clay Shaw auf Ferrie als Hauptbelastungszeugen stützen wollte, wurde dieser tot aufgefunden.

Nützlicher Idiot?

Oswald war für die Besetzung der Rolle des „nützlichen Idioten“ ein Traumkandidat: Der ungestüme Jugendliche war während seiner Militärzeit auf einem japanischen Stützpunkt eingesetzt worden, von dem ausgerechnet die damals streng geheime U2 abhob. Er fühlte sich angeblich dem american way of life entfremdet und suchte sein Paradies in der Sowjetunion gesucht, was den potentiellen Geheimnisträger als Überläufer oder russischen Spion erscheinen ließ. Nach einem Selbstmordversuch erhielt Oswald die russische Staatsbürgerschaft. Das KGB hatte den Amerikaner seinerzeit überwacht und von einem Spionageverdacht oder einer obligatorischen Anwerbung deshalb abgesehen, weil Oswald offensichtlich ein unzuverlässiger Taugenichts gewesen war – eine Einschätzung, die das FBI zu teilen schien, als Oswald kurz darauf wieder in den USA repatriiert wurde.

Oswald hatte ebenfalls Verbindungen zur Mafia. Seine Mutter verkehrte mit Unterweltgestalten, und auch sein Onkel, bei dem er aufgewachsen war, arbeitete für Marcellos Glücksspielkartell. Nachdem Oswald mit seiner jungen russischen Frau Marina wieder nach New Orleans zurückgekehrt war, suchte er dringend Arbeit. Daneben trieb er sich in den Ausbildungslagern der von Marcello mitfinanzierten Exilkubaner herum, wo er mit Ferrie und Banister gesehen wurde. Öffentlich trat er jedoch plötzlich für das genaue Gegenteil ein: Oswald gründete im Sommer 1963 die Dallas-Ortsgruppe eines „Fair Play for Cuba“-Komitees, dessen offenbar einziges Mitglied er blieb. Er verteilte trotz fehlender Geldmittel ein angeblich selbst finanziertes Castro-freundliches Flugblatt und posierte als Marxist-Leninist. Dabei kam es zu einem handgreiflichen Zwischenfall mit Castro-Gegnern, der einem beobachtenden Polizisten als gestellt erschien. Sogar um ein Treffen mit Castro soll er sich bemüht haben. Vieles spricht dafür, dass Oswald unter der Regie Banisters an einer Undercover-Operation im Stile von COINTELPRO mitwirkte - oder das zumindest glaubte.

Chamäleon Oswald hatte Berührung mit der Sowjetunion, Kuba, den Exilkubanern, der Mafia, der CIA, Militärgeheimdiensten, möglicherweise auch mit dem FBI – er eignete als Projektionsfläche für alles und nichts, die man noch mit allerhand Fehlspuren anreichern konnte. Ein Hitzkopf scheint er allemal gewesen zu sein – nicht unbedingt jemand, der als zuverlässig genug für einen Auftragsmord erscheint. Erst recht nicht für einen solchen der Mafia, die für Versager bei Mordaufträgen nur eine Strafe kannte: Tod.

Obwohl man noch ganz am Anfang der Untersuchungen stand, gab bereits einen Tag nach Oswalds Tod Deputy Attorny General Nicholas Katzenbach die Weisung aus, Oswald als Alleintäter erscheinen zu lassen.

Warren-Report

Präsident Johnson wollte einen unabhängigen Untersuchungsausschuss zur Aufklärung des Attentats verhindern und setzte schließlich einen politischen Ausschuss ein, den er selbst zusammenstellte. Mit der Leitung betraute er den umstrittenen Vorsitzenden Obersten Richter Earl Warren, einem früheren Funktionär des Ku Klux Klans. Warren war mit dem Mafiaanwalt Murray Chotiner befreundet, der u.a. den Bruder der Privatsekretärin von Marcello vertrat. Hale Boggs stammte aus Louisiana und war Marcello wegen Wahlkampfspenden verpflichtet. Ebenfalls aus Louisiana kam Staatsanwalt Leon D. Hubert, der dort für seine Zurückhaltung gegenüber der Marcello-Organisation bekannt war. Die Senatoren Richard Russel und John Sherman Cooper hatten kein Interesse daran, dass der Mord an Bürgerrechtler Kennedy weißen Rassisten aus dem Süden angelastet werden würde – wie etwa dem Schwarzen-Hasser und Clan-Spender Marcello. Als eifrigstes Mitglied erwies sich der zwielichtige Erzrepublikaner Allen Dulles, der die CIA aufgebaut hatte, welche die Kennedys nach dem Versagen in der Schweinebucht vergeblich unter ihre Kontrolle zu bringen versucht hatten.

Aus unbekanntem Grund ließ Chief Justice Earl Warren den Verdächtigen Ruby seinerzeit nicht durch den damaligen Ruby-Spezialisten vernehmen, sondern wurde neben Boggs von zwei insoweit unerfahrenen Ermittlern begleitet. Sowohl die CIA als auch das FBI verfügten über bemerkenswerte Erkenntnisse über Ruby und Oswald, enthielten sie jedoch der Warren-Kommission vor.

Johnson hatte die Warren-Kommission angewiesen, zur Vermeidung von außenpolitischen Spannungen jedes Ergebnis zu vermeiden, das die Sowjetunion oder Kuba belastete. Die wenig motivierten wie zerstrittenen Ausschussmitglieder waren von der Option, mit Oswald einen verrückten Einzelgänger als Lösung des Rätsels präsentieren zu können, begeistert. Der Fall konnte auf diese Weise elegant abgeschlossen werden, ohne die sensiblen Sicherheitsbehörden oder die Mafia mit lästigen Fragen zu behelligen. Einzig Boggs widerrief später seine Absegnung der Single Bullet-Theorie.

Zur Überraschung vieler Beobachter in New Orleans tauchte die Mafia nicht als Verdächtige im Warren Report auf, obwohl Marcellos Ankündigung des Mordes in der Stadt die Runde gemacht hatte und der sizilianische Kodex der Mafia eine ebenbürtige Reaktion auf die öffentliche Demütigung Marcellos durch Robert Kennedy verlangt hatte. Im Gegensatz zu den anderen italoamerikanischen Mafiabossen, die einen Präsidentenmord als unpatriotisch empfunden hätten, gab es keine entsprechende patriotische Tradition im frankophilen Louisiana, das einst Napoleon an Präsident Thomas Jefferson schlicht verkauft hatte und von europäischer Mentalität geprägt war. Für Marcello waren die Leute aus Washington nur weit entfernte Papiertiger und allesamt käuflich – bis auf die schwerreichen Kennedys.

Kannten sich Ruby und Oswald?

Nun ist also ein neues Dokument aufgetaucht, das einen angeblichen Dialog zwischen Oswald und seinem Mörder Ruby bietet, der ihn sogar vor einem solchen Verdeckungsmord warnt. Die Annahme, dass sich Ruby und Oswald kannten, ist alles andere als neu und wird etwa in den Untersuchungen des Journalisten Jonathan Kwitny von 1988 auf mehrere Zeugenaussagen gestützt:

Die Cocktailserviererin Esther Ann Mash, die angeblich auch Rubys Geliebte war, gab an, sie habe beide mehrfach in Rubys „Carousel Club“ gesehen, ebenso die Nachtclubsängerin Beverly Oliver und die Stripperin Janet "Jada" Conforto. Anwalt Carrol Jarnigan aus Dallas sagte sogar vor der Warren-Kommission, Ruby und Oswald am Abend vor dem Mord im „Carousel“ gesehen und eine Diskussion aufgeschnappt haben, bei der es um eine geplante Erschießung von Senator John Connally gegangen sei.

Rose Cheramie, eine von Jack Rubys Prostituierten, warnte zwei Tage vorher vor dem Mordanschlag in Dallas. Ihr zufolge habe die Unterwelt von New Orleans einen Preis auf Kennedy ausgesetzt. Zuvor war sie nach einem Streit von zwei mafiösen Exilkubanern ausgesetzt worden, die Kontakt zu Banister und Ferrie hatten.

Auch Oswalds Witwe Marina erklärte dem Enthüllungsjournalisten Jack Anderson, sie glaube an eine Intrige des Mobs, die sich eigentlich gegen Robert Kennedy gerichtet habe. Oswald habe stets nur positiv von den Kennedys gesprochen, sei irgendwie manipuliert worden und habe möglicherweise tatsächlich als Agent für die Regierung gearbeitet. In eine ähnliche Richtung geht die bizarre Geschichte des Militärgeheimdienstlers Richard Case Nigell, der auf Oswald angesetzt war, um diesen von einem Attentat auf den Präsidenten abzuhalten. Nigell will FBI-Chef Hoover detailliert über die Attentatspläne informiert haben. Da das FBI nichts veranlasst habe, will Nigell eine Intrige gewittert haben. Jedenfalls besorgte er sich ein handfestes Alibi, in dem er zwei Tage vor dem Attentat in einer Bank in die Decke schoss, um sich festnehmen zu lassen.

Murchisons Party

Die bemerkenswerteste Zeugin für eine Bekanntschaft zwischen Oswald und Ruby war jedoch Madeleine Duncan Brown, Johnsons Geliebte und Mutter eines gemeinsamen Sohnes, die von Johnson testamentarisch bedacht wurde. Brown kannte Ruby nicht nur bestens aus dem Carousel Club, sondern berichtete von einer höchst exklusiven Party im Hause von Dallas reichstem Ölbaron Murchison am Abend vor dem Attentat. Anwesend waren neben Vizepräsident Johnson, den rechtsgerichteten Finanziers Murchison und H.L. Hunt u.a. auch Wahlverlierer Nixon, Senator Connally, FBI-Chef Hoover - und mehrere Vertreter der Unterwelt: Marcello, sein Stadthalter in Dallas Civello und der Mann für besondere Aufgaben Ruby.

Brown berichtet, Johnson habe ihr nach einer Besprechung eröffnet, er werde nächster Präsident werden. Die „Hurensöhne“ würden ihn nie wieder aufregen – dies sei keine Drohung, sondern ein Versprechen. Ihn aufzuregen, genau das hatten die beiden Kennedys gerade wieder getan, denn nach Johnsons aktuellen Skandalen, welche Verbindungen zur Mafia ruchbar machten, hielten die Kennedys ihren Vizepräsident für die 1964 anstehenden Wahlen nicht mehr für tragbar. Brown zufolge sei bereits seit Kennedys Wahl in Texas über ein Mordanschlag diskutiert worden.

Auf der Party von Murchison soll auch dessen Mitarbeiter D.H. Byrd anwesend gewesen sein. Byrd hatte die rechtsgerichtete Civil Air Patrol gegründet, in der sich Ferrie und Oswald kennen gelernt hatten. Außerdem besaß Byrd zufällig ein interessantes Gebäude in Dallas: Das Texas School Book Depositary. In dessen sechsten Stock wurde ein unvollständiger Fingerabdruck gefunden, der 1998 in hohem Maße mit dem eines bei Murchison verkehrenden Gangsters namens Malcolm Wallace übereinstimmt. Wallace steht im Verdacht, bereits 1951 einen politischen Mord in Texas ausgeführt zu haben, von dem Johnson profitiert hatte. Auch Wallace soll laut Brown Gast auf Murchisons Party gewesen sein.

Die Party vor dem Attentat bei Murchison sowie die Anwesenheit etwa von seinem langjährigen Freund Hoover wurden bestätigt, nicht allerdings die angebliche Gästeliste. So überzeugend die betagte Madeleine Brown in diesem 80-minütigen Interview auch agieren mag, so blieb sie für die Vorkommnisse auf dieser geheimnisumwitterten Party die einzige Zeugin. Nicht alle Details von Browns Bericht halten einer Überprüfung stand, was allerdings für eine in der Vorbereitung bereits abgeschlossene Konspiration auch keine Voraussetzung gewesen wäre.

Lyndon B. Johnson

Der neue Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika wäre zweifellos für ein erforderliches Cover Up ein denkbar zweckmäßiger Bündnispartner gewesen: Zwar beherrschte Marcello den Sonnenstaat Louisiana und kontrollierte die Unterwelt von Dallas; auch reichte sein Arm in Person des einflussreichen Lobbyisten Irving Davidson bis nach Washington, doch um die mysteriöse "Autopsie" des Präsidenten durch Militärärzte zu steuern und Ermittlungsbehörden wie Secret Service, CIA und FBI effizient zu blockieren, zu solcherlei bedurfte es anderer Befehlsstrukturen und Verbündeter. Mächtige Kennedy-Gegner, die Johnson vorgezogen hätten, gab es insbesondere im Pentagon und in der amerikanischen Sicherheits-Community, etwa den nach Vorschlag der terroristischen Operation Northwoods nach Europa abgeschobene General Lyman Louis Lemnitzer. Oder John J. McCloy, der Kennedy während der Kubakrise beraten hatte, später als Mitglied der Warren Kommission fungierte – und laut Brown ebenfalls Gast auf Murchisons exklusiver Party gewesen war. Oder der nach der Invasion in der Schweinebucht von Kennedy seiner Position in der CIA enthobene Dulles-Vertraute General Charles Pearre Cabell. Dessen Bruder Earle Cabell, damals Bürgermeister von Dallas, war für die Planung der Fahrtroute zuständig gewesen war, die einen überflüssigen Schlenker über die Elm Street machte – direkt am Grashügel vorbei.

Zu den ersten Amtshandlungen Johnsons zählte die Revidierung der unter Kennedy ausgearbeiteten Rückzugspläne der geheimen Operationen in Vietnam. Durch den hierdurch forcierten Vietnamkrieg rettete Texaner Johnson die schwächelnde texanische Helikopter-Industrie und verdiente auch selbst an kriegsbedingten Bauprojekten mit. Selbst Lyndon B. Johnsons Anwalt behauptet inzwischen, dieser sei an einem Mordkomplott gegen Kennedy beteiligt gewesen. Auch Ex-CIA-Mann und Watergate-Verschwörer E. Howard Hunt, der enttäuscht von Kennedys Kuba-Politik in das Lager Nixons gewechselt war und den manche an der Dealey-Plaza gesehen haben wollen, machte auf seinem Sterbebett Andeutungen über Johnsons Beteiligung am Coup d'Etat.

Als Johnson angeblich erst gegen Ende seiner Amtszeit von den Mordprogrammen der CIA erfuhr, lastete er sie den Kennedys an, obwohl es sich im Gegensatz zur von Robert Kennedy befohlenen Operation Mongoose hierbei genausogut um Eigenmächtigkeiten von CIA-Leuten wie Richard Helms und Desmond FitzGerald gehandelt haben könnte, wie sie unter der Ära Dulles üblich waren. „Kennedy was trying to get Castro, but Castro got to him first.“ pflegte Johnson zu kommentieren. Ein Ablenkungsmanöver?

Ruby an der Dealey-Plaza?

Ruby selbst befand sich nach eigenen Angaben während des Attentats in den Räumen der „Dallas Morning News“, was von Zeugen bestätigt wurde. Die allerdings widersprüchlich aussagende Zeugin Julia Ann Mercer will Ruby jedoch vor der Tat in der Nähe des Grashügels in einem Kleinlaster mit einem verpackten länglichen Gegenstand gesehen haben. Nach der Tat wurde ein entsprechender Mann von einem Polizisten auf der Dealey-Plaza dabei beobachtet, wie er sofort nach dem Mord einen verpackten länglichen Gegenstand in seinen Pkw einlud. Das vom Polizisten notierte Kennzeichen gehörte zu Ruby.

Den besten Überblick über das Attentat hatte der Bahnbedienstete Lee Bowers, der von zwei Männern hinter dem Zaun auf dem Grashügel berichtete, die anschließend in seine Richtung zu den Gleisen und dem Parkplatz liefen. Seine Aussage wurde von anderen Zeugen, die nicht von der Warren-Kommission gehört wurden, bestätigt. So auch J. C. Price, der die Szene von oben beobachten konnte. Auf Amateurfilmen kann man deutlich erkennen, wie nach einem Schreckensmoment viele Zeugen auf den Grashügel zu rennen, offenbar, um Attentäter zu verfolgen.

Ein kontrovers diskutiertes Mosaiksteinchen bot eine Untersuchung eines Fotos der Zeugin Mary Anne Moorman, die auf der zu Bowers gegenüberliegenden Seite des Grashügels stand und kurz nach dem Kopfschuss den Präsidenten mit dem Zaun im Hintergrund aufgenommen hatte. Auf der Vergrößerung dieses Ausschnitts , - hier eine kolorierte Nachbearbeitung – wollen manche einen wie ein Geist schemenhaft auftauchenden Schützen nebst Mündungsfeuer erkennen, der eine Polizeimarke trug – seither bekannt als "Badge Man".

Kritiker merken allerdings an, ein solcher hätte von dieser Position aus im Zeitpunkt der Aufnahme kein freies Schussfeld auf Kennedy gehabt und halten ihn und weitere Schattenfiguren für fototechnische Anomalien.

Die Tarnung von Killern als Polizisten entspräche einem alten Mafiatrick, den schon Rubys ehemaliger Boss Al Capone beim Massaker am Valentinstag praktiziert hatte. Dank Rubys Nähe zur Polizei wären entsprechende Uniformen das geringste Hindernis gewesen, um Waffenträger plausibel „unsichtbar“ zu machen. Diese Taktik würde zu den Personen passen, die sich den Zeugen gegenüber als Secret Service-Leute ausgewiesen hatten, obwohl der für den Schutz des Präsidenten verantwortliche Secret Service vehement bestreitet, auf der Dealay-Plaza Agenten platziert zu haben – was erstaunlich genug wäre.

Von wo auch immer begab sich der Mafioso zum Parkland-Hospital, wo er seine deutlich erkennbare Nervosität erst verlor, als er sich vom Tod des sterbenden Präsidenten persönlich überzeugen konnte.

Wenn Ruby mit falschen oder womöglich sogar echten Polizisten gearbeitet hatte, dann wäre es nur nahe liegend gewesen, solche auch auch zur Beseitigung des zum Sündenbock erkorenen Oswald einzusetzen. Und tatsächlich scheint innerhalb einer Stunde nach dem Attentat irgendetwas in diese Richtung gelaufen zu sein. Fest steht nur, dass in gewisser räumlicher Nähe zu Oswald der Streifenpolizist Jefferson Davis Tippit unter unklaren Umständen erschossen wurde, wobei die Zeugenaussagen einander widersprechen. Tippit hatte an den Wochenenden bei einem rechtsgerichteten Gastronom gearbeitet. Auch für diesen Mord machte man Oswald verantwortlich, obwohl er laut dem Paraffin-Test an diesem Tag keine Waffe abgefeuert hatte. Irgendetwas scheint nicht planmäßig verlaufen zu sein. Jedenfalls schien der bis jetzt im Hintergrund agierende Ruby sich kein weiteres unzuverlässiges Personal leisten zu wollen, sondern nahm die Dinge selbst in die Hand.

Ruby tötet Oswald

Zeugenaussagen zufolge erhielt Ruby in den Tagen vor dem Kennedymord und dem an Oswald mysteriöse Anrufe, die sich sichtbar auf sein Gemüt auswirkten. Bereits um 19.00 Uhr gelang es Ruby, zu einer ersten Pressekonferenz des gerade inhaftierten Oswald im Polizeipräsidium vorzudringen, nach eigenen Angaben mit einer Waffe. Anderntags sprach er Oswald bei einer weiteren Pressekonferenz auf sein „Fair Play for Cuba“-Komitee unter korrekter Nennung dessen Bezeichnung an, die nur wenigen bekannt gewesen sein dürfte. Nunmehr war Oswald der Presse gegenüber als „Kommunist“ und Castro-Sympathisant geprägt – obwohl Oswald noch im Sommer in den Lagern der Castro-feindlichen Exilkubaner gesehen worden war. Inzwischen hatte die Dallas-Polizei u. a. eine anonyme Morddrohung gegen Oswald erhalten, die mit der Bitte verbunden war, nicht zurück zu schießen. Als Oswald in ein sichereres Gefängnis verlegt werden sollte, verschaffte sich Polizeispezi Ruby erneut Zugang zum Polizeirevier und erschoss Oswald wie auf dem Präsentierteller, ohne, dass er selbst bei seiner Festnahme verletzt wurde.

Dieser Vorgang ähnelte einer zynischen Standardprozedur der sizilianischen Mafia, die Mordaufträge an jugendliche Taugenichtse vergab, um diese anschließend zur Vertuschung selbst zu beseitigen. Auf ähnliche Weise war 1935 Louisianas Quasi-Diktator und Präsidentschaftskandidat Huey Long getötet worden – angeblich von einem anarchistischen Arzt, der von Longs Leibwächtern sofort erschossen wurde. Ungeklärt ist, ob der angebliche Mörder Longs überhaupt eine Waffe hatte – im Gegensatz zu den Leibwächtern, den einzigen Zeugen.

Sollte Ruby, wie viele glauben, telefonisch von der Mafia einen Mordauftrag erhalten haben, so hätte er gemäß dem Mafia-Kodex einen solchen Mordbefehl nicht ablehnen dürfen – eine lebenslängliche Gefängnisstrafe oder eine Hinrichtung wäre das kleinere Übel von dem gewesen, was ihn und seine Angehörigen erwartet hätte. An die Omertà, das Gesetz des Schweigens, hat sich Ruby bis kurz vor seinem Tod gehalten, als er anbot, bei Überführung in das ihm sicherer erscheinende Washington auszupacken. In einem improvisierten Interview ließ Ruby die Bemerkung fallen, wenn [Kennedys Außenminister] Adlai Stevenson Vizepräsident gewesen wäre [anstatt Johnson], hätte es kein Kennedy-Attentat gegeben. Bereits vor seiner Tat litt Ruby an langfristig tödlichen Darmkrebs – der von Marcellos Ärzten behandelt worden war. Ein Mitwisser, der von selbst verschwinden würde.