Das Klagen der Industrie über die Verbreitung von Raubkopien

Schärfere Gesetze und Strafverfolgung sind wahrscheinlich die falschen Ansätze

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Wenn man die Erhebungen über Raubkopien der Software-Industrie liest, könnte man zum Eindruck kommen, die Welt besteht weitgehend aus Dieben, wodurch diese Industrie am Hungertuch nagt. Gerade haben wieder die Business Software Alliance (BSAund die Software & Information Industry Association (SIIA ihren Bericht über die milliardenschweren Verluste im letzten Jahr vorgelegt, die allein aus der Verbreitung von Raubkopien im Business-Bereich hervorgehen.

Wie stets beschwören die Interessenverbände nicht nur die Notwendigkeit, daß die Regierungen strengere Gesetze und eine bessere Strafverfolgung zustande bringen müßten, um Raubkopien endlich zu eliminieren, sondern daß dies auch zu großen finanziellen Einbußen und zum Verlust von "Hunderttausenden" von Arbeitsplätzen führe. Von den 615 Millionen neuen Business-Programmen, die 1998 weltweit installiert worden sein sollen, wären angeblich 231 Millionen oder 38 Prozent Raubkopien, bei denen die Hersteller leer ausgehen. Trotz insgesamt fallender Verwendung von Raubkopien seien letztes Jahr 2,5 Millionen Programme mehr ohne Lizenz als im Vorjahr installiert worden, woraus ein finanzieller Verlust von 11 Milliarden Dollar errechnet wird. Man fragt sich, wie Gates und andere überhaupt zu ihrem Reichtum kommen, wenn ein Drittel der Software geklaut sein soll?

Errechnet wird die Zahl der installierten Software aufgrund der ausgelieferten Computer, deren Menge sich aus "vertraulichen" Daten der Industrie ergibt, den legal verkauften Programmen und dem wirklichen Bedarf. Da gibt es natürlich viele Unwägbarkeiten.

Interessant sind die Unterschiede zwischen den angeblich höchsten Verlusten und dem prozentualen Anteil der Raubkopien. Spitzenreiter in der Verwendung von Raubkopien sind nach dem Bericht Vietnam (97 Prozent), China (95 Prozent), Indonesien (92 Prozent) und Russland (92 Prozent). Osteuropa liegt insgesamt mit einem Anteil von 76 Prozent Raubkopien weltweit an der Spitze, wobei gegenüber 1997 die Raubkopien nur um ein Prozent zurückgegangen seien. In Westeuropa ist der Anteil hingegen von 39 Prozent auf 36 Prozent zurückgefallen. Griechenland liegt hier mit 74 Prozent an der Spitze. Deutschland ist, gefolgt von Großbritannien, mit 28 Prozent das westeuropäische Musterland. Hier gingen auch am stärksten die Raubkopien zurück, die 1997 noch einen Anteil von 33 Prozent gehabt haben sollen. Allerdings hebt der Bericht hervor, daß hier mit fast 480 Millionen Dollar auch die höchsten Verluste für die Branche erzielt werden. Großbritannien und Frankreich sind mit 465 bzw. 425 Millionen die weiteren Verlustspitzenreiter, während Griechenland bei den Verlusten ziemlich am Ende rangiert.

Obwohl der Anteil der Raubkopien in den USA, dem Heimatland der Softwarehersteller, die hier am meisten Druck ausüben können, mit 25 Prozent (1997: 27 Prozent) weltweit am geringsten ist - das benachbarte Kanada kann mit 40 Prozent, sogar ein Prozent mehr als ein Jahr zuvor, aufwarten -, sind die Verluste doch auch mit 2,9 Milliarden Dollar am höchsten, da in den USA auch 43 Prozent der gesamten Business-Software im Einsatz ist.

Starke Worte äußern die Interessenvertreter der Industrie. Es sei Zeit, so etwa Ken Wasch von der SIIA, das Leben für die Raubkopierer unerträglich zu machen und eine Nulltoleranz durchzusetzen, auch wenn es noch langer Weg sei, die Raubkopieren auf der ganzen Welt auszumerzen. Der hohe Anteil von Raubkopien dürfe nicht toleriert werden, meint Robert Holleyman von der BSA. Man müsse die Menschen erziehen und ihnen die Software-Ethik beibringen, aber natürlich sei auch eine effektive Strafverfolgung entwcheidend, wobei die Regierungen ein Vorbild für die Software-Ethik und gesetzgeberische Maßnahmen sein sollten. Würde man einen besseren Umgang mit Programmen erreichen, die Raubkopien reduzieren, dann sei auch ein Zuwachs an Arbeitsplätzen und der globalen Produktivität zu erwarten.

Natürlich haben die Länder das größte Interesse am Kampf gegen die Verwendung von Raubkopien, in denen die Programme hergestellt werden und in denen trotz einer niedrigeren Rate an Raubkopien die größten Verluste entstehen, weil einfach mehr Menschen Computer besitzen. Doch womöglich ist es mit der Software-Ethik ähnlich wie mit dem Bevölkerungswachstum: je reicher die Ländern werden und je mehr Computer dort im Einsatz sind, je stärker sie also in Richtung einer Wissensgesellschaft marschieren, desto weniger Raubkopien wird es dort auch geben. Länder hingegen, in denen sich der Einsatz von Computern erst auf breiter Basis verbreitet, sind in aller Regel auch wirtschaftlich nicht so stark, weswegen hier auch in der Regel mehr Raubkopien benutzt werden. Im Grunde könnte die gleichwohl noch immer prosperierende Software-Branche daher etwas gelassener mit der Verwendung von Raubkopien umgehen, denn mit zunehmender Verbreitung der Computer und größerem Wirtschaftswachstum könnte auch der Bedarf an lizensierter Software und einem regelmäßigen Support steigen. Raubkopien sind mit Einstiegsdrogen vergleichbar, weswegen die Industrie auch daran denken könnte, in den wirtschaftlich schwachen Ländern mit vielen im Umlauf befindlichen Raubkopien nicht auf politischen und wirtschaftlichen Druck zu setzen, sondern Einstiegssoftware kostenlos oder zu sehr geringen Kosten zu verbreiten. Schließlich könnte sich die Industrie, wenn sie weiterhin vor allem auf Strafen und Polizei setzt, langfristig ihr eigenes Grab schaufeln. Software läßt sich schließlich überall herstellen und ein zu großer Druck sowie zu hohe Kosten fördern nur die Verwendung von freier Software wie Linux.