Das Passauer Phänomen

Über Doppelleben und Lügen von Honoratioren

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Ihr Sexualleben bringt Menschen immer wieder dazu, sich in Lügengebilde zu verstricken. Besonders ausgeprägt ist dieser Effekt in religiösen und kleinstädtischen Milieus, wo Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens häufig Standards propagierten, an die sich selbst nicht halten konnten. Berühmtheit erlangte in dieser Hinsicht die Stadt Passau, in der Anfang der 1960er Jahre der lokale Zeitungskönig Hans Kapfinger über den so genannten "Triolen-Skandal" stolperte.

Der "niederbayerische McCarthy" galt damals als aufrechter und entschiedener Kämpfer gegen SPD und KPD. Weil Kapfinger 1927 über den politischen Katholizismus promoviert1 und aus dieser Position heraus auch über den Nationalsozialismus geschrieben hatte, wurde er ganz zu Beginn der Ära Hitler mit Argwohn als "Rechtsabweichler" beäugt und sogar kurzzeitig in "Schutzhaft" genommen. Das brachte ihm 1946 eine Lizenz zum Drucken einer Tageszeitung in der amerikanischen Besatzungszone ein, woraus die Passauer Neue Presse wurde, mit welcher der Verleger bald bemerkenswerten Einfluss auf die öffentliche Meinungsbildung erlangte.

Wenn es dem eigenen materiellen Vorteil diente, war Kapfinger allerdings durchaus fähig, sowohl zu Nationalsozialisten als auch zu den sowjetischen Besatzungsbehörden in Berlin freundliche Verbindungen zu pflegen. So kam er, wie das Amtsgericht München befand, in den 1940er Jahren ausgesprochen günstig an ehemals jüdisches Vermögen.

Stärker schadete dem Verleger jedoch ein Urteil des Passauer Landgerichts vom 23. Januar 1962, in dem er schuldig gesprochen wurde, zwei Damen "zwecks Vollführung der Unzucht zusammengebracht" zu haben, "um sich selbst eigennützigerweise gesteigerte Geschlechtslust zu verschaffen". Als besonders pikant galt dieser Fall unter anderem deshalb, weil Kapfinger keine zwei Jahre vorher sexuelle Unregelmäßigkeiten eines anderen bayerischen Pressefürsten weidlich ausgeschlachtet hatte.

Gleichgewicht des Schreckens

Der Abendzeitungs-Gründer und SZ-Chefredakteur Werner Friedmann hatte sich nämlich mit einem Lehrmädel des Süddeutschen Verlags vergnügt, weshalb er und sein Kolumnist Sigi Sommer (der ihm seine Wohnung zur Verfügung gestellt hatte) am 10. Mai 1960 verhaftet und später zu jeweils 6 Monaten auf Bewährung verurteilt wurden.

Eine bemerkenswert gut über Details informierte Passauer Neue Presse berichtete nicht nur sehr ausführlich über das Verfahren, sondern verglich den "rosaroten" Friedmann bei der Gelegenheit ganz nebenbei auch noch mit Joseph Goebbels.

Kapfinger selbst schrieb in seiner Zeitung, dass er von Friedmanns Eskapaden seit geraumer Zeit gewusst, den damaligen SZ-Chefredakteur aber nicht angezeigt habe. Auch Franz-Josef Strauß habe davon Kenntnis gehabt, jedoch ebenfalls geschwiegen. Zumindest letzteres stimmte nicht ganz: Strauß hatte nämlich versucht, mit solchen Gerüchten Ermittlungen auszulösen, allerdings zeigte die Staatsanwaltschaft zu diesem Zeitpunkt kein Interesse. Das kam jedoch später.

Unmittelbare Ursache war ein Streit unter den Gesellschaftern der Süddeutschen Zeitung. Der Anwalt der Friedman-Fraktion hatte dem im Rahmen eines politischen Richtungsstreits hinausgeworfenen Sohn des CSU-nahen Gesellschafters Schwingenstein in einem Schiedsverfahren unterstellt, pornografische Fotos von einer Angestellten gemacht zu haben, worauf hin dessen Anwältin konterte, Kapfinger habe Informationen über das Verhältnis Friedmanns mit einem Verlagslehrmädel, was zu einer zivilrechtlichen Klage und schließlich zu strafrechtlichen Ermittlungen führte.

Dass Kapfinger das Material nicht schon früher für eine Anzeige verwendet hatte, lag womöglich an einem – ganz zur Ära des Kalten Krieges passenden – "Gleichgewicht des Schreckens". Angeblich hatte der Passauer zumindest den Eindruck, dass Friedmann auch Material über ihn besitzt, worauf unter anderem in einem Briefwechsel angespielt worden sein soll.

Ein "Tierweib" und "drei Noten in einer Takteinheit"

Auch Friedmann zeigte Kapfinger nicht direkt an, obwohl ihm eine finanziell enttäuschte Gespielin des 200 Kilometer östlich herrschenden Konkurrenten die Information 1961 sogar schriftlich zukommen ließ. Das übernahm der ebenfalls von der Dame informierte Willy Brandt, der das Material umgehend "der kompetenteren Staatsanwaltschaft überstellen" ließ. Der damalige Berliner Bürgermeister hatte sich mit Kapfinger seit dem Zeitpunkt, als absehbar war, dass er SPD-Kanzlerkandidat wird, eine wahre Schlacht aus Drohungen, Einstweiligen Verfügungen und Eidesstattlichen Erklärungen geliefert.

Hintergrund der Weitergabe der Informationen an Friedmann und Brandt war, dass Kapfinger der von ihm als "Tierweib" titulierten Nada I. 5.000 Mark "geliehen" und den Betrag später zurückgefordert hatte. I. "empfand diese Genauigkeit als Geiz" und rächte sich mit zwei Briefen an bekannte Feinde des Verlegers. Nicht ganz klar ist bis heute, welche Rolle der Passauer Kaufhausbesitzer Lazarus S. in dem Fall spielte, der nach Ansicht Kapfingers die eigentlich treibende Kraft hinter den Enthüllungen gewesen sein soll.

In jedem Fall sagte die I. in dem der Anzeige Brandts folgenden Prozess aus, 1959 zweimal mit Kapfinger "trioliert" zu haben. Der (auch aufgrund der Tatsache, dass Kapfinger ihm mit dem Nachrichtenmagazin "Aktuell" Konkurrenz machen wollte) an dem Prozessgeschehen besonders interessierte Spiegel zitierte damals süffisant das Bertelsmann-Volkslexikon, in dem eine Triole als "Erklingen von drei Noten in einer Takteinheit" geschildert wurde, "in der taktmäßig regulär nur zwei Notenwerte stehen".

Dritte in der "Takteinheit" war die Passauer Geschäftsfrau Edith B., die erst versuchte, mit Krankschreibungen und Urlaubsaufenthalten einer Aussage zu entgehen, sich dann aber dazu entschloss, dem Gericht die Kapfinger-Version der Geschehnisse zu präsentieren: Danach hatten die beiden Damen dem Honoratioren bei den gemeinsamen Treffen in seiner Wohnung lediglich die Fußsohlen gekitzelt, "wenn er abgespannt war".

Kapfingers Anwalt hatte versucht, die Aussage der I. dadurch zu entwerten, dass er geltend machte, sie habe den millionenschweren Verleger erpressen wollen und 50.000 Mark Schweigegeld von ihm verlangt. Über die finanziellen Verhandlungen zwischen I. und Kapfinger sollte Lothar S. aussagen. Der gestand jedoch unter Eid, dass Kapfinger ihm selbst vom Triolenverkehr erzählt habe und dass er ihn zu I. schickte, um sie durch ein Angebot von 10.000 Mark ruhigzustellen.

Diese Aussage kam deshalb unerwartet, weil Lothar S. mit Kapfinger enge geschäftliche Verbindungen unterhielt. Die beiden wollten sich mit dem Fibag-Projekt am Bau von Wohnungen für amerikanische Soldaten in Deutschland bereichern. S. überraschte zudem mit der Information, dass Kapfinger dieses gemeinsame Projekt als Grund nannte, weshalb der Unternehmer, der nach einem einsemestrigen Studium ohne Abschluss die Berufsbezeichnung "Architekt" führte, ihm in der Angelegenheit helfen müsse. Denn wenn er, Kapfinger, "in Passau verurteilt würde, könne das Projekt trotz der Hilfe seines Minister-Freundes auffliegen".

Im Rahmen dieser Fibag-Affäre geriet auch eben dieser Verteidigungsminister Franz-Josef Strauß in den Ruch der Bestechlichkeit, was Kapfingers politischen Ambitionen möglicherweise einen noch größeren Dämpfer versetzte als die Enthüllungen über sein Geschlechtsleben.