Das terroristische Wettrüsten

Der Aufmerksamkeitsterror und die erhabenen Spektakel

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Die terroristischen Anschläge auf die USA zeigen neben der Entschlossenheit der Täter, ihr Leben und das möglichst vieler anderer Menschen, die zufällig am Ort sind, zu opfern, dass trotz aller militärischer Aufrüstung und technischer Systeme nirgendwo auf der Welt mehr Sicherheit garantiert werden kann. Gerade die neue amerikanische Regierung, die die Aufrüstungsspirale etwa mit dem Aufbau des Raketenabwehrsystems zum Schutz vor Angriffen auf das Land vorantreiben wollte, muss jetzt sehen, dass selbst eine technisch hochgerüstete Supermacht den Angriffen einer vermutlich kleinen Zahl von Terroristen wehrlos ausgesetzt ist, die zudem in einem furchtbaren und brachialen Showdown bislang unerreichter Dimension mit dem World Trade Center und dem Pentagon nationale Symbole der wirtschaftlichen und militärischen Macht zerstören konnten.

Im Grunde hat sich mit den offenbar gut koordinierten Anschlägen die schon seit Jahren befürchtete Eskalation des Terrors bestätigt. In der nach dem Ende des Kalten Krieges und dem Zusammenbruch der Sowjetunion als uneingeschränkte Supermacht agierenden USA wurde schon bald befürchtet, dass gerade wegen der militärischen Überlegenheit vermehrt "asymmetrische" Angriffe zu befürchten seien. Unter Präsident Clinton wurde der Schutz der nationalen Infrastruktur zu einem vorrangigen Thema der nationalen Sicherheit und damit auch der Orientierung von Militär und Geheimdiensten. Allerdings glaubte man vielfach, dass in Zukunft Gefahren von Angriffen mit den neuen Massenvernichtungswaffen aus der Biologie oder mit digitalen Mitteln ausgeführt oder zumindest die informationstechnische Infrastruktur treffen werden.

Präsident Bush jedoch setzte wieder eher auf konventionelle Aufrüstung als Schutz vor Angriffen durch Langstreckenraketen und forcierte Szenarien, die Amerikas Schutz im Weltraum anstrebten (Pearl Harbor im Weltraum). Dass nicht Raketen, biologische Agenten oder Computerbomben, sondern zivile Passagierflugzeuge, die im Inland entführt wurden, als Angriffswaffen der Selbstmordattentäter eingesetzt wurden, zeigt zwar, dass auch die modernen Nihilisten mit der Technik mitgehen, aber zu Mitteln greifen, mit denen schon Generationen von Terroristen vertraut waren und die primär keine Zerstörungswaffen sind (Warum auch militärisch die teure Großtechnologie ein Auslaufmodell sein könnte).

Die Anschläge zeigen aber auch, dass sich der Terrorismus, entstanden im Zeitalter des Dynamits und der Zeitungen, in einer entsetzlichen Spirale der Überbietung immer weiter hoch schaukelt. Während immer neue Techniken der Beschleunigung entstanden, die den Menschen neue und schnellere Reaktionen abverlangten, trat zusammen mit der Werbung und Propaganda, also der einzig auf die Erweckung von Aufmerksamkeit zugeschnittenen ästhetischen Information, im 19 Jahrhundert auch eine politische Aktionsform auf die Bühne, in der bereits die Ästhetik des Schocks kulminierte: der Terrorismus. Sein Konzept begründet sich bekanntlich auf der "Propaganda der Tat", die sich an den Gesetzen der kollektiven Aufmerksamkeitsorgane der freien Medien orientierte, die wiederum im umkämpften Markt der Aufmerksamkeit stets nach Sensationen suchen müssen, um Interesse zu wecken. Die Mitte des Jahrhunderts mit den Großstädten entstandene Massenpresse konnte schnell an Hunderttausende von Lesern eine Nachricht vermitteln. Rundfunk, Fernsehen und heute das Internet haben diesen Prozess lediglich noch einmal beschleunigt und den Konkurrenzdruck stetig vergrößert, Informationen als Aufmerksamkeitswaren zu "verpacken", wofür selbstverständlich schockierende Inhalte am günstigsten sind. Aus dieser Perspektive bilden Massenmedien als kollektive, aber um die Aufmerksamkeit der einzelnen konkurrierende Aufmerksamkeitssysteme mit den Terroristen - auch im übertragenen Sinn -, die in der Konkurrenz mit allen anderen Informationen eine herausragende Nachricht inszenieren, ein verschweißtes und sich aufschaukelndes Gespann.

Für diesen Aufmerksamkeitsterror ist weniger wichtig, wie "fortgeschritten" die Mittel des Anschlags sind, sondern primär, wie viel Schaden angerichtet werden kann, d.h. vornehmlich, wie viele Menschen, die zufällig am Ort des Anschlags anwesend sind, getötet oder verletzt werden können. Zentral sind aber auch die Bilder des Schreckens, die dadurch entstehen. "Gelungener" Terrorismus gipfelt in Bildern des blutigen und zerstörerischen Spektakels, das vom Zufall der Opfer Zeugnis ablegt, aber auch die Ästhetik der Destruktion zelebriert. Das Flugzeug, das in den Turm des World Trade Center einschießt und explodiert, ist sicherlich, so zynisch das ist, eine der bislang beeindruckendsten Bildsequenzen geworden, das sich in der Fantasie der Menschen (und der künftigen Attentäter) festsetzen wird. Aufgrund ihrer ästhetischen Eigenschaften der schrecklichen Erhabenheit wurden sie denn auch pausenlos auf allen Sendern gezeigt (was nebenbei auch demonstriert, dass das Fernsehen hier dem Internet noch immer weit überlegen ist, weil es den ungestörten Empfang eben dieser permanent wiederholten Bilder bis hin zur mentalen Betäubung erlaubte).

Die Dynamik des Aufschaukelns, die vornehmlich auf die Erzielung von Aufmerksamkeit zielt, wird weiterhin die terroristischen Strategien beherrschen und vorantreiben, solange Menschen verzweifelt und verblendet genug sind, mit Kamikazeangriffen um den Preis des eigenen Lebens ein blutiges Fanal setzen zu wollen, das die schnelle Aktion über die Geduld und Kompromisse verlangenden politischen Arbeit setzt und wohl auch eine persönliche Macht beweisen soll, die keine Lösungen, aber immerhin Spektakel realisiert und Prominenz erzeugt.

Die Anschläge haben auch demonstriert, dass der Terrorismus wie alles andere global geworden ist und sich ebensowenig wie die hinter ihm stehenden Probleme an Grenzen stoppen lässt. Sicherheitsstrategisch haben amerikanische Militärs bereits vom Panikkrieg als neuer Dimension gesprochen und darauf aufmerksam gemacht, dass die herkömmlichen Unterscheidungen von Innen- und Außenpolitik, militärischen und zivilen Bereichen einbrechen (Panikkrieg). Das kann zu einer Militarisierung der Gesellschaft und vermehrt zu militärischen Eingriffen im Ausland führen, könnte aber auch bedeuten, dass die Zeit des Militärs abläuft, während die Überwachung ausgebaut wird, weil jeder potentiell zu einem Attentäter wird, der Furchtbares anrichten könnte. Das terroristische Wettrüsten vollzieht sich nicht mehr zwischen zwei oder mehr Gegnern, sondern hat eine Eigendynamik der Überbietung entfaltet, die sich nur noch in der medialen Aufmerksamkeit spiegelt. Die aber ist verwurzelt im faszinierten Schrecken, einer fatalen Ambivalenz.

"Wir sind alle der gleichen Einschätzung und alle der gleichen Meinung, dass es jetzt darum geht, gegen diesen Angriff auf die zivilisierte Welt Solidarität mit den Vereinigten Staaten zu üben." (Bundeskanzler Schröder)

Wie immer die USA und mit ihr die anderen Länder auf diese Anschläge außen- und innenpolitisch, militärisch und sicherheitsstrategisch reagieren werden, so werden es die wenigen Terroristen erst einmal geschafft haben, dass sich durch diesen "Angriff auf die zivilisierte Welt" (Bundeskanzler Schröder) viele kritiklos hinter die Politik der USA stellen werden (Aufkündigung der Zivilisation). Das aber könnte in der Tat die von vielen beschworene Veränderung der Welt bewirken. Die Reaktion des CEO von CoffeeCup Software ist dafür möglicherweise symptomatisch:

"We feel very strongly about this. We think that whoever is found responsible for this should pay the ultimate price. If any country is found responsible, that country should be destroyed. If it is a terrorist organization, it should be destroyed."