De Maizière: "Illegale Migration fast zum Stillstand gekommen"

Die Freude des Innenministers, Showveranstaltungen und rätselhafte "geordnete Verfahren"

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Die Debatte der verantwortlichen Politiker über die Flüchtlingspolitik hat etwas Gespenstisches. Momentan wird von einem wichtigen österreichischen Grenzübergang die Zahl gemeldet, die der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte als Voraussetzung für ein Abkommen mit der Türkei gefordert hat: "nahe Null".

Seit Wochenbeginn verzeichnet der Grenzübergang Spielfeld "null Flüchtlinge". Die deutsche Polizei, so wird von dem österreichischen Medium die presse ergänzend berichtet, meldete am Mittwoch 125 Flüchtlinge. Der Spiegel hat die gleichen Zahlen und dazu den Tagesdurchschnitt der deutschen Bundespolizei im März von knapp 313 Migranten. Auch das ist eine Zahl, die in der Dimension liegt, die Rutte vorgegeben hatte.

"Das war es nicht mit den Flüchtlingen"

Nur, dass sie nicht ursächlich mit Maßnahmen der Türkei zu tun hat, worauf es Rutte ankam, sondern mit der Schließung der Balkanroute durch die von Österreich initiierten Alleingang der Länder auf dieser Route - und nicht zuletzt auch mit der Jahreszeit, der Kälte, der Nässe, den miesen Bedingungen für eine strapaziöse, lange Flucht. Mit dem nahenden Frühling wird sich das ändern, schwant auch dem österreichischen Verteidigungsminister: "Das war es nicht mit den Flüchtlingen."

Für die Einschätzung spricht, dass sich an den "Pushfaktoren" für die Flüchtlinge nichts geändert hat. Doskozil folgert daraus, eine verstärkte Sicherung der grünen Grenzen" und tischt Argumente für eine "Trendumkehr" beim Sparprogramm für das Militärbudget auf.

Die deutsche Kanzlerin Merkel ist Österreich "nicht dankbar" für dessen Sperrpolitik. Die elende Situation der Flüchtlinge in Griechenland, die dort infolge der Schließung der Balkanroute feststecken, ist das Menetekel ihrer Kritik am "einseitigen Vorgehen" der Balkanrouten-Länder.

Ihr Innenminister de Maizière gab sich nach dem Treffen der EU-Innenminister am Donnerstag dennoch sehr zufrieden darüber, dass "die illegale Migration fast zum Stillstand gekommen ist". Etwas gespenstisch war seine Begründung. So bemühte er zunächst die EU-weit abgesegnete Phrase von der "Zeit des Durchwinkens, die jetzt vorbei ist", um dem hinterherzuschicken: "allerdings jetzt auf europäischer Basis".

Was heißt, "wir arbeiten daran"?

Ehrlich mag zwar die Freude am Erreichen des beständig wiederholten Ziels der "Reduzierung der Flüchtlingszahlen" sein, aber wenn es um die Übernahme der Verantwortung dafür geht, so wird Tarnung ausgeworfen. Für die Reduzierung hat faktisch das einseitige Grenzregime der Balkanstaaten auf Initiative Österreichs gesorgt. Dazu will sich die deutsche Regierung aber nicht bekennen. De Maizère sagt das nicht und Merkel distanziert sich öffentlich. Dessen ungeachtet hatte sie aber die EU-Gipfel-Erklärung unterschrieben, die besagt, dass die Durchwink-Politik vorbei ist.

De Maizière vereinnahmt die Balkanstaaten-Lösung als "europäische Basis", um Widersprüche mit dieser Sprachregelung verschwinden zu lassen. Das ist zugleich opportun ("Deutschland sucht nach einer gesamteuropäischen Lösung" und will die Reduzierung der Flüchtlingszahlen) wie unverbindlich gegenüber den Ländern ist, die mit ihrer Grenzpolitik dafür sorgen, dass es gerade nach den gewünschten geordneten Zuständen aussieht.

"In Deutschland kommt derzeit nur ein Zehntel an Flüchtlingen an, im Vergleich zum vergangenen Herbst und wir arbeiten daran, dass das auch so bleibt", sagt Maizière dazu. Aber was heißt, "wir arbeiten daran", genau?

Die Türkei soll dazu beitragen. Der Plan, so fasst der Standard die Äußerungen des deutschen Innenministers zusammen, lautet, dass alle Migranten, die über die Ägäis nach Griechenland kommen, umgehend wieder in die Türkei zurückgebracht werden. Und dann kommt die nächste Obskurität:

De Maizière nannte diesen Punkt sogar "zentral", diesbezüglich müsse es jetzt schnell gehen: Syrer, die auf diese Weise abgeschoben werden, hätten keine Chance, später Asyl zu bekommen, an ihrer Stelle würde man "andere in einem geordneten Verfahren nach Europa bringen. Für Deutschland werden die Zahlen niedrig bleiben."

Neudefinition von schutzsuchenden Syrern

In der FAZ wird das so wiedergegeben: Flüchtlinge, die auf den griechischen Inseln aufgegriffen werden, müssten jede Hoffnung auf Aufnahme in der EU aufgeben. Konkret:

Der Mechanismus sieht exakt vor, dass diejenigen, die (...) mit Hilfe von Schleppern nach Europa gekommen sind, nicht diejenigen sind, die als Syrer nach Europa kommen.

Gelten künftig Neudefinitionen von schutzsuchenden Syrern? Wird ihr Asylgesuch ganz schnell nach Augenschein, aufgrund des Kriteriums des Fluchtwegs, den sie genommen haben, entschieden? Selbst wenn man die Prämisse zugrundelegt, dass sich Schutzsuchende nicht an Schleuser/Fluchthelfer wenden müssen, weil ja nun Hotspots oder Registrierstationen mit anschließenden "geordneten" Weiterreisemöglichkeiten für Asylsuchende plangemäß bereit stehen sollen, hat das Verfahren seine Tücken. Wer kann mit Bestimmtheit sagen, dass die Menschen auf einem Boot kein Recht auf Asyl haben?

Rechtlich ist es auf jeden Fall schwierig. Der UN-Hochkommissar für Menschenrechte, Said Raad al-Hussein, habe allerdings gewarnt, dass damit internationale Rechte umgangen werden, ergänzt der FAZ-Bericht: "Kollektive und willkürliche Ausweisungen sind illegal."

Damit nicht genug der Obskuritäten. Stichwort: gesamteuropäisch - wer außer den Niederlanden schließt sich der gesamteuropäisch-deutschen Lösung an, die laut der bisher veröffentlichten Grundidee darin besteht, im Austausch für in die Türkei zurückgeschickte Flüchtlinge, im "eins zu eins"-Modus Flüchtlinge, die sich in der Türkei aufhalten, kontingentweise mit Flugzeugen nach Europa zu bringen?

Dass sich mit Frankreich ein zentraler EU-Partner in diesem Punkt gerade an den Rand gedrängt fühlt und kein Interesse an dieser deutschen EU-Lösung zeigt, wird von der Berliner Regierung nicht erwähnt. Wer macht mit?

Allein die Präsentation des Austauschkonzepts Rückführung/Übernahme eines Kontingents als "unerwartete türkische Vorschläge", wie das in vielen Medien so berichtet wurde ist, wie Jens Berger aufzeigt, nicht korrekt, sondern eine "Showveranstaltung".

Das Umsiedlungsprogramm

Das Grundkonzept dafür stammt aus einer Zusammenarbeit der deutschen Regierung mit dem Think-Tank ESI, wobei der Entwurf aller Wahrscheinlichkeit nach vom Think Tank stammt. Nachzulesen waren grundlegende Eckpunkte des ESI-Konzepts bereits Mitte Februar, einen Tag, nachdem ein EU-Kommissionspapier bekannt wurde, das die Handschrift des ESI-Konzepts trägt (EU-Papier: Die Balkan-Route ausspielen).

Das EU-Papier trägt den Titel "Schlüsselelemente eines Umsiedlungsprogramms/humanitären Aufnahmeprogramms mit der Türkei". "Umsiedlung/Relocation" ist, worauf der FAZ-Blogger Don Alphonso hinweist, ein ziemlich anspruchsvolles Unterfangen.

Es geht einher mit wesentlich mehr Rechten als diejenigen, die mit dem subsidiären Schutz verbunden sind, und damit mit einer Prüfung, die viel Verwaltung, Personal und Zeit benötigt - "bei einer viertel Million Teilnehmer (…) auf das Jahr umgerechnet rund 2000 Mitarbeiter in der Türkei". Auch über diesen Aspekt der Planungen ist von Regierungsseite noch nichts geäußert worden.