Der Amri-Skandal erreicht Ex-Innenminister De Maizière

Seite 3: Im Abu-Walaa-DIK-Komplex wimmelte es nur so von Spitzeln

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Die EK Ventum ermittelte weiter gegen den deutschen Arm des IS, seinen organisatorischen Kern Abu Walaa und vier weitere Kader. Mittlerweile stehen alle fünf seit zwei Jahren als Angeklagte vor dem Oberlandesgericht Celle. Vorgeworfen wird ihnen, so die EK-Ventum-Sachbearbeiterin S., die vor ihrem Chef als Zeugin im Untersuchungsausschuss vernommen wurde, Anlaufstelle junger Salafisten und Dschihadisten nicht nur aus Deutschland, sondern auch aus anderen Ländern gewesen zu sein. Die Gruppe habe das Ziel verfolgt, Krieger fürs Kriegsgebiet im nahen und mittleren Osten anzuwerben oder für Anschläge in Deutschland zu gewinnen. Außerdem habe es Schnittstellen zur Organisierten Kriminalität gegeben: Waffenhandel, Passfälschungen, Einbruchdiebstähle.

Die fünf seien arbeitsteilig vorgegangen, ergänzte EK Ventum-Leiter M. Boban S. sei die entscheidende Figur in Dortmund gewesen und Hasan C. die in Duisburg. Ahmed Fifen Y. sei die rechte Hand von Abu Walaa gewesen, Mahmoud O., ebenfalls ein enger Vertrauter Abu Walaas, soll der Mann fürs Grobe gewesen sein. Unbestrittener Kopf war Abu Walaa alias Ahmad Abdulaziz A.A. Er soll entschieden haben, wer ins Kriegsgebiet reiste, und er soll jeweils sein Einverständnis für Aktionen oder Anschläge gegeben haben.

Auch zwischen Abu Walaa und Amri fanden, so die Ermittler der EK Ventum, mehrere Vier-Augen-Gespräche statt. Im Rahmen eines sogenannten "Weihnachtsseminars" am 24. Dezember 2015 hätten die beiden ein halbe Stunde lang miteinander gesprochen. Amri verband auch mit Boban S. in Dortmund eine intensive Verbindung. Mit Hasan C. in Duisburg dagegen sei es zum Konflikt gekommen. C. habe Amri wegen respektlosem Verhalten aus seinem Indoktrinationsunterricht geworfen.

Amri wurde allerdings nie als Beschuldigten in das Verfahren einbezogen. Dafür hätten die Beweise nicht ausgereicht, erklärte die EK-Ventum-Sachbearbeiterin S. Es sei bei seiner Funktion als "Nachrichtenmittler" geblieben, dessen Telefon abgehört wurde. Was von den daraus gewonnenen Informationen in das Staatsschutzverfahren vor dem OLG Celle eingeflossen ist, ist eine der bislang unbeantworteten Fragen. Nach Auskunft eines Verteidigers eines in Celle Angeklagten würden "Amri-Informationen" dort bisher keine Rolle spielen.

Im Abu-Walaa-DIK-Komplex wimmelte es nur so von Spitzeln. Die VP 01 war eine von mindestens fünf V-Personen aus mindestens drei Landeskriminalämtern (NRW, Hessen, Berlin), hinzu kam mindestens ein Verdeckter Ermittler des LKA NRW, mindestens ein V-Mann des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) und obendrein ein ausländischer Spion, der Informationen an einen jordanischen Geheimdienst weitergab.

Was haben diese Quellen über den späteren mutmaßlichen Attentäter vom Breitscheidplatz berichtet? "Nichts", meint die Sachbearbeiterin in der EK Ventum, die Kriminaloberkommissarin S. Wenn VPs zu Amri berichtet hätten, würden sie das erfahren haben. Sie habe aber keine derartigen Informationen bekommen. Das Ausschussmitglied Martina Renner (Linke) äußerte seine Zweifel, dass bei einem derart umfassenden Quelleneinsatz lediglich nur eine Quelle, die VP 01, zu Amri Informationen geliefert haben soll.

Allerdings wurde Amri ab 1. Juni 2016 nicht mehr von EK Ventum geführt - und damit setzen sich die Rätsel fort. Denn ob, wer und wie dieser gefährliche Gefährder in NRW bearbeitet wurde, ist weiterhin unklar. Die EK Ventum-Zeugin S. sagte, der Fall Amri sei an andere Kollegen weitergegeben worden, die dazu "ermitteln" sollten. Zu dieser Formulierung passt nicht die abwiegelnde Darstellung anderer LKA-Zeugen, Amri sei in einer anderen Ermittlungskommission nur "geparkt" worden.

Im Sommer 2016 wurden die Zugriffe auf die Abu-Walaa-Fünf vorbereitet. Dazu wurde die VP 01 zeitig abgezogen. Seit dem 9. August 2016 befindet sie sich im Zeugenschutz. Am 8. November 2016 erfolgte die Festnahme von Abu Walaa und den vier anderen. Anfang Dezember 2016 sei es zu einer Anschlagsserie gekommen, so der EK Ventum-Leiter M., möglicherweise Reaktionen auf die Festnahme Abu Walaas. Ob er auch den Anschlag auf dem Breitscheidplatz dazu zählt, ließ er offen. Er beendete seine Alternativchronik aber mit dem 19. Dezember 2016.

M. war bislang auch in den Untersuchungsausschüssen zum Amri-Breitscheidplatz-Komplex in Düsseldorf und im Berliner Abgeordnetenhaus aufgetreten. Damals erwähnte er die Auseinandersetzungen um die VP 01 und die dramatische Besprechung vom 23. Februar 2016 nicht. Er begründete das jetzt damit, dass es erst im Bundestagsausschuss um Fragen der Bundesbehörden wie dem BKA gehen konnte.

Das ist formal argumentiert. Eher kann das atemberaubende Aussageverhalten des Kriminalbeamten, der sich damit mit dem Bundesinnenministerium anlegt und möglicherweise seine Karriere riskiert, als Ergebnis der Entwicklungen gesehen werden, die die Aufklärung im Falle Amri nimmt. Die Widersprüche sind immer schwerer unterdrückbar und die offizielle Version nicht mehr länger haltbar.

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