Der Bann löst sich
Das EU-Parlament hat sich halbherzig gegen ein Verbot der Forschung an embryonalen Stammzellen und der Nationale Ethikrat bedingt für den Import von embryonalen Stammzellen ausgesprochen
Zwei Entscheidungen sind am Donnerstag gefallen, die in der Frage der Forschung mit embryonalen Stammzellen die bislang herrschende Lähmung abzuschütteln scheinen. Mit großer Mehrheit hat der von Bundeskanzler Schröder bestellte Nationale Ethikrat die Empfehlung ausgesprochen, die Forschung an importierten embryonalen Stammzellen unter strengen Auflagen freizugeben (Grünes Licht für Stammzellenimport). Das Europäische Parlament lehnte hingegen einen Bericht mit überwältigender Mehrheit ab, der empfahl, die Forschung an Stammzellen und das therapeutische Klonen zu verbieten. Inzwischen versucht ein US-Unternehmen, die neuen Grundlagen zu schaffen (Klonen als Mediencoup).
Vor dem "Krieg gegen den internationalen Terrorismus" konnte man gelegentlich glauben, dass bei der Frage, ob die Forschung an embryonalen Stammzellen und das therapeutische Klonen erlaubt werden sollen, zumindest das moralische Überleben der Nation und der Menschheit abhängt. Wenn man es auch sonst nicht so genau mit der Moral und dem unbedingten Schutz der Menschenwürde nimmt, auch nicht mit gleicher Entschlossenheit dafür kämpft, Kindern und Erwachsenen ein würdiges (Über)Leben zu ermöglichen, und es womöglich auch erträgt, dass ein Verbot solange inkonsistent ist, als die Spirale, Abtreibung und auch künstliche Befruchtung möglich bleiben, so schien die Gewinnung von Stammzellen, die aus überzähligen Embryos mit einem Alter bis zu 14 Tagen gewonnen und ansonsten vernichtet werden, als eine letzte Bastion der natürlichen Menschlichkeit zu gelten. Bis auf wenige Außenseiter, die durch die oft inszenierte Empörung wie gewollt weltweit bekannt wurden, will niemand bislang ernsthaft Menschen klonen. Gleichwohl wurden von den Gegnern Horrorvorstellungen und Diffamierungen ins Feld geführt, die eine vernünftige Diskussion verhindert haben - und dies vermutlich auch sollten.
Die Gegner der Biotechnologie wollen im Zustand der Unschuld verharren
Möglicherweise haben die Meinungsführer für die Verteidigung der unbedingten Menschenwürde von einmal befruchteten Eizellen, bei denen es um den Eingriff in Gottes Werk oder um eine aus irgendwelchen Gründen nicht überschreitbare Naturbedingung geht, aus dem nur Furchtbares entstehen kann, in einem Recht: Wir werden anerkennen müssen, dass die Menschen in Zukunft keine Wesen mehr sind, die schlicht ihre zufällige Geworfenheit zu akzeptieren haben, weil es anders nicht geht. Diese Frage steht tatsächlich im Hintergrund, nicht der Gebrauch vom embryonalen Stammzellen oder therapeutischem Klonen. Die absoluten Gegner akzeptieren nicht nur, dass neben vielen Ungereimtheiten möglicherweise vielen geborenen Menschen nicht geholfen werden könnte, sondern wollen letztlich auch erzwingen, dass die Menschen so bleiben, wie sie sind, d.h. unterworfen der natürlichen Evolution und den zufälligen Einwirkungen der mittlerweile weitgehend selbst gestalteten Umwelt (hier möchte man gelegentlich die Verteidiger der Menschen genauso kämpfen sehen). Möglicherweise wollen sie im Kern unschuldig, d.h. unverantwortlich bleiben - und lehnen deshalb jeden gestaltenden Eingriff in die Gene ab. Nur geht das nicht mehr in Zeiten, in denen eine Unterlassung eben der Ausschluss einer Möglichkeit ist.
Aber dabei handelt es sich um die langfristige Zukunft, die trotz aller Abwehr auf uns zukommen wird. Etwas wie die Verwendung von Stammzellen aus überzähligen Embryonen bereits zum Verbrechen machen zu wollen, erscheint geradezu kontraproduktiv, wenn man Auswüchse der auf uns zukommenden Möglichkeiten wirklich verhindern will. Eine klare Regelung, die nicht überzogene, moralisch für den Common Sense kaum nachvollziehbare Verbote formuliert, die überdies sowieso überschritten werden, wäre entschieden die bessere Lösung. Der Nationale Ethikrat hätte daher auch weniger vorsichtig nur die vorerst auf drei Jahre beschränkte Importmöglichkeit von embryonalen Stammzellen empfehlen sollen, sondern dann auch gleich auf eine Veränderung des Embryonenschutzgesetzes dringen müssen. Richtig sagte deshalb der Vorsitzende des Rats, Spiros Simitis, dass die Entscheidung ein "bedingtes Ja" sei, er hätte auch sagen können: eine unentschlossene Entscheidung, um sich nicht zu sehr angreifbar zu machen. Dafür sprechen auch die weiteren Auflagen, also dass die Stammzellen nicht für die Forschung geschaffen und nur für Forschungszwecke verwendet werden dürfen, bei denen eine Erfolgschance besteht. Auch die Enquete-Kommission des Bundestags, die sich mehrheitlich gegen einen Import ausgesprochen hatte, wollte sich nicht wirklich festlegen. Für Deutschland müssen nun die Abgeordneten eine Entscheidung treffen, die Ende Januar stattfinden soll. zu erwarten ist allerdings auch Halbherzigkeit.
Halbherzigkeiten sind keine langfristigen Lösungen
Angesichts des bedingten Ja muss man dem katholischen Bischof Gebhard Fürst zustimmen, der den Import von Embryonen ablehnt, da diese für die Gewinnung von Stammzellen getötet werden müssten, wobei man sich allerdings fragen muss, inwieweit eingefrorene Embryos getötet werden. Hauptargument ist: "Ethik kennt keine geographischen Grenzen." Dann aber wäre jeder Mensch, der irgendwo auf der Welt wegen Hunger oder einer behandelbaren Krankheit stirbt, ebenfalls moralisch ein Skandal, die Verantwortlichen, also wir alle, die wir ale Einzelne und als Bürger eines Staates etwas tun könnten, zumindest den unterlassenen Hilfe zu bezichtigen.
Vorerst nur Stammzellen aus Embryos für die Forschung zuzulassen, die "überzählig" und im Rahmen der künstlichen Befruchtung zur Erfüllung eines Kinderwunsches entstanden sind, mag zwar vorerst das Gewissen beruhigen, ist aber tatsächlich ebenso halbherzig wie die Empfehlung, den Import zuzulassen, d.h. die primäre "Schuld" anderen zu überlassen. Sollten jemals Anwendungen aus Zelllinien möglich werden, die aus embryonalen Stammzellen kommen, dann wird man vermutlich tatsächlich menschliche Embryonen klonen müssen: aus entkernten Eizellen, in die der Zellkern aus Zellen des Patienten eingefügt wurde. Das aber wird heißen: Frauen müssten Spenderinnen von Eizellen werden, die sie für das therapeutische Klonen zur Verfügung stellen. Für sich selbst und für Familienmitglieder möglicherweise umsonst, dann aber wäre auch zu vermuten, dass es einen Markt für "gute" Eizellen geben müsste. Wollen die Gegner das verhindern, damit aber auch die Freiheit einer Frau einschränken, mit ihren Körperprodukten das zu tun, für das sie sich selbst entscheidet?
Ist eine Ablehnung eine Ablehnung?
Ob die mit 316 zu 37 Stimmen getroffene Entscheidung des EU-Parlaments klarer ist als die des deutschen Nationalen Ethikrats, bleibt zu bezweifeln. Die Entscheidung kam anscheinend vor allem deswegen zustande, weil über 200 Änderungsanträge zu dem Bericht Die ethischen, rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen der Humangenetik erst einmal unübersichtlich sind und sie überdies noch widersprüchlich waren. Das Parlament hätte zwar sowieso nichts Bindendes für die Mitgliedsländer entscheiden können, aber immerhin zeigt die Ablehnung des umfangreichen Berichts mit seinen vielen Empfehlungen, dass ein Verbot der Forschung an Stammzellen oder des therapeutischen Klonens nicht von vorneherein mehrheitsfähig ist. In dem Bericht, der noch viele weitere Themen behandelt, wurde argumentiert, dass man das therapeutische Klonen verbieten solle, weil dadurch "am Wirksamsten und am Glaubwürdigsten" das reproduktive Klonen verhindert werden könne. Einig ist man sich sicherlich (noch) in der Ablehnung des reproduktiven Klonens. Aber wird man sich auch lange einig sein, ob Eingriffe in die Keimbahn prinzipiell auf Dauer verboten sein sollen?
Das moralische Dilemma, Embryonen nicht der Forschung zur Verfügung zu stellen, soll nach dem Bericht dadurch erleichtert werden, dass die bei der künstlichen Befruchtung anfallenden überzähligen Embryonen nicht vernichtet, sondern kinderlosen Paaren offeriert werden sollen, dass Verfahren gefördert werden sollen, bei denen diese möglichst nicht mehr anfallen (Selektion?), oder dass nur die Forschung an adulten Stammzellen gefördert werden soll. Schön und achtenswert klingt auch die Forderung, ein internationales Menschenrecht "auf genetische Einzigartigkeit oder konkret auf Schutz seines genetischen Erbes" zu schaffen, fraglich ist nur, ob gerade diejenigen, die aufgrund ihrer Gene unter bestimmten Krankheiten leiden, ein solches Menschenrecht auch akzeptieren würden.
Der EU-Kommissar Philippe Busquin erklärte in seiner Rede, dass zwar die Forschung mit absichtlich geschaffenen Embryonen verboten werden müsse, aber dass erlaubt werden solle, die "überzähligen" Embryos unter engen ethischen und rechtlichen Grenzen und unter Kontrolle der Mitgliedstaaten für Forschungszwecke zu nutzen. Die Kommission hat für den 10. und 18. Dezember eine Diskussionsveranstaltung zur Problematik der Stammzellen organisiert.
Und ganz nebenbei: die Website des Nationalen Ethikrates lässt sehr an Aktualität und Transparenz zu wünschen übrig ....