Der Euro als Chance für eine europäische Diskussion

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Zuvor: Pierre Bourdieu: Gegen die Brüsseler Technokraten
Ulrich Beck: Demokratische Re-Regulierung

Foto von Susanne Gölitzer

Ich bin mir nicht so sicher, ob Herr Tietmayer ein Protagonist der Globalisierung ist. Er möchte die DM, die deutsche Bundesbank und die nationale Verantwortung für eine Leitwährung erhalten. Daß man einen Finanzbeamten zum Prinzip erhebt, zeigt, welche Bedeutung die Bundesbank in der Außenwirkung besitzt, während es in der deutschen Innenwirkung nicht so erscheint. Herr Tietmayer ist für mich nicht der Hauptprotagonist der Globalisierung, sondern der einer Bedeutungsverlagerung des Nationalen im Zeitalter der Globalisierung, der eher eine nationale Linie aufrecht erhalten will. Da gibt es ja heute bizarre Koalitionen, wer alles die DM verteidigt und wer nicht. Das geht vom Gysi bis zum Gauweiler. Das ist eine von mir bisher nicht für möglich gehaltene Einheitsfront.

Ich möchte gerne noch eine Frage an die beiden Sozialwissenschaftler formulieren. Der Neoliberalismus ist akademisch gebunden an den Sieg der Ökonomie über nahezu alle anderen Sozialwissenschaften. Diese spezifische Wissenschaft, nämliche die angebotsorientierte Theorie, die vor allem aus Chicago stammt, ist durch die Repräsentanten dieser Schule in nahezu allen wichtigen Gremien der Welt vertreten. Wie erklärt man sich denn den Sieg dieser Ideenwelt des Wirtschaftsegoismus?

Ich teile vieles, was Bourdieu über Europa gesagt hat. Zum Beispiel wenn er sagt, daß Europa um eine Bank herum und nicht um einen Staat herum aufgebaut wird. Aber welche Konsequenzen zieht man daraus? Brechen wir jetzt den ökonomischen Integrationsprozeß und damit die erste wirkliche Souveränitätsübertragung auf die europäische Ebene unter dem Hinweis ab, daß wir das erst dann machen, wenn ein europäischer Staat aufgebaut ist? Das hielte ich für falsch. Ansonsten finde ich die Kritik völlig richtig.

Die Eurodebatte wird jetzt in allen nationalen Gesellschaften ähnlich geführt, weil die Probleme ähnlich sind. Die Newsweek schrieb vor einiger Zeit, daß wir alle Italiener seien. Das kann man hier im Frankfurter Bankenviertel jetzt wirklich sagen, nachdem Waigel und Kohl sich als gelehrige Schüler der kreativen Buchführung gezeigt haben. Dadurch hat auch hier die reale Europäisierung stattgefunden. Ich finde das gut, daß die Deutschen hier von ihrem hohen Roß abgestiegen sind. In der Auseinandersetzung um den Euro liegt ein Vorteil. Vielleicht entsteht daraus zum ersten Mal eine europäische Debatte, die aus der Innenpolitik der jeweiligen Nationalkulturen zu einer Kontroverse - wie sollte es anders sein - heraus führt.

Die Zustände in der Bauwirtschaft in Deutschland, aber auch in anderen Ländern, zeigen mehr und mehr, daß der europäische Arbeitsmarkt als ein nicht regulierter riesige Probleme mit sich bringt. Portugiesische Bauarbeiter werden hier eingesetzt, afrikanische Bauarbeiter in Lissabon, in Deutschland ansässige Belegschaften sind beschäftigungslos. Das führt jetzt zum ersten Mal dazu, daß darüber nachgedacht werden muß, ob man den Weg nach der Devise geht: "Wir sind wir, also machen wir die Grenzen dicht" oder ob man einen Schritt vorwärts macht und das als ein Problem der Regulierung des europäischen Arbeitsmarktes begreift. Das wäre ein Schritt in die richtige Richtung, denn es kann nicht sein, daß es hier zum Niedriglohndumping kommt. Die Regulierung des europäischen Arbeitsmarktes ist eine zweite Chance, die aus einer Not entsteht und genutzt werden kann. Chirac, der jetzt ganz andere Probleme hat und sich kaum mehr an Muroroa erinnern wird, mußte im Jahr 1995 feststellen, daß die europäische Binnenintegration weitergegangen ist als zur Zeit des Generals de Gaulle. Die Entscheidung wurde so nicht mehr akzeptiert.

Ich nenne diese Punkte, um klar zu machen, daß um den Aufbau der Eurowährung um eine Bank herum eine Debatte beginnt, die genutzt werden kann, um den nächsten Schritt zu tun, damit es nicht bei dieser Bank bleibt, sondern daß wir in eine europäische Verfassungsdiskussion eintreten. Wenn Pierre Bourdieu das so gemeint hat, stimme ich ihm nachdrücklich zu. Wir brauchen eine europäische Grundrechtsdefinition. Wenn ich höre, daß jetzt eine europäische Polizei aufgebaut werden soll, dann gehöre ich zwar nicht zu denen, die sagen, das dürfe grundsätzlich nicht sein, aber bevor eine Polizei existiert, bedarf es einer Grundrechtsdefinition und eines Grundrechtschutzes. Das sind demokratische Grundfragen, die nicht beantwortet sind, die aber beantwortet werden müssen. Wie stellt sich der Volkswille auf europäischer Ebene dar und wie setzt er sich um?

Für mich sind aber nicht die Brüsseler Technokraten, die gar nicht so einflußreich sind, das eigentliche Problem, sondern das schändliche Spiel der Regierungen mit dem Vorwand Brüssel. In Brüssel wird gesagt, daß wir das Zuhause nicht durchsetzen können, und Zuhause wird gesagt, daß wir es nicht in Brüssel durchsetzen können. Das wird immer von den nationalen Regierungen gesagt, die Europa noch dominieren. An den Eurokraten gibt es sicher viel zu kritisieren, aber die Macht liegt noch auf der nationalen Ebene. Ich warne davor, diese nationale Verantwortung jetzt bereits in Brüssel abzugeben, wo sie noch gar nicht ist. Wir müssen jetzt die Frage der europäischen Demokratie und der europäischen Rechtssprechung angehen. Auch das gehört zu der europäischen Grundrechtsdebatte, die wir grenzüberschreitend führen müssen. Eine nationale Mobilisierungsstruktur macht das alles unglaublich schwer. Vor allem die Intellektuellen sind, darin stimme ich Ihnen zu, bei allen Sonntagsreden die wirklichen Sachwalter der nationalen Kultur.

Die Auseinandersetzung um den Euro bietet die große Chance, zum ersten Mal eine gesamteuropäische demokratische Debatte mit allen Kontroversen zu führen. In Deutschland haben wir das Problem, daß diese Debatte durch eine sehr gewichtige Erscheinung blockiert wurde. Jetzt holt ihn das ein. Wir haben anders als in Frankreich eben kein Referendum gehabt. Dazu ist es jetzt auch zu spät, aber die gegenwärtige Diskussion über Demokratie und die Zukunft des europäischen Sozialstaates beginnt sich jetzt zu europäisieren, weil die Probleme zumindest innerhalb der EU nahezu identisch sind.

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