Gegen das Maastricht-Europa
Zuvor: Pierre Bourdieu: Gegen die Brüsseler Technokraten
Ulrich Beck: Demokratische Re-Regulierung
Joschka Fischer: Der Euro als Chance für eine europäische Diskussion
Ulrich Beck:: Die Bedeutung von transnationalen Institutionen
Pierre Bourdieu: Der Beitrag der Intellektuellen
Joschka Fischer: Der Neoliberalismus ist eine Werteentscheidung
In den angelsächsischen sozialwissenschaftlichen Zirkeln wurde immer gesagt, daß es keine Klassen mehr gibt, sondern nur noch eine große Mittelschicht. Das geschieht immer mit einer Ignoranz gegenüber der Wirklichkeit, die ganz brutal wieder auf die Tagesordnung kommt. Es gibt absolut nicht anzweifelbare Statistiken über die Verarmung eines großen Teils der alten Arbeiterklasse und auch der kleinen Bourgeoisie. Im Gegensatz zu dem, was immer in den Zeitungen steht, gilt dies auch für die USA. Das ist bereits eine Teilantwort auf die Frage nach dem Neoliberalismus, die Herr Fischer gestellt hat. Die Geschichte antwortet auf die Frage mit den Fakten. In den USA und in Großbritannien gibt es die neoliberale Politik bereits seit einiger Zeit, in Frankreich und Deutschland seit kurzem. Die ersten Auswirkungen kann man bereits sehen. Es kommt zu einer Dichotomie des sozialen Raums mit einer Konzentration an seinen Extremen. Die ganze Mythologie der amerikanischen Vollbeschäftigung und die der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit in Großbritannien ist völlig falsch. Man weiß, wie man Statistiken manipulieren kann.
Europas Zukunft und die Frage der Nationalstaaten sind ein Problem, das sehr oft falsch dargestellt wird. Wenn man eine Antwort gibt, antwortet man nicht auf die Frage, die man sich stellt, sondern auf die Frage, wie sie normalerweise gestellt wird. Die Frage der Journalisten ist immer, ob man für oder gegen Europa ist. Das ist eine idiotische Frage. Ein Wissenschaftler muß zunächst einmal idiotische Fragen zerstören, bevor er auf sie antwortet. Es gibt Wissenschaftler, die wollen im Fernsehen sein, weshalb sie die idiotische Frage beantworten. Man muß hingegen die Frage stellen, was man unter Europa versteht, wenn Europa das wäre, was im Maastricht-Vertrag angedeutet wird. Daraus lassen sich bestimmte Voraussagen treffen, um zu beurteilen, ob man für oder gegen dieses Europa ist. Man kann gegen das Maastricht-Europa im Namen eines Europa sein, das man selbst ausführt. Ich bin für Europa, aber nicht für das Europa, das im Maastricht-Vertrag beschrieben wird. Ich bin für einen europäischen Staat, aber nicht für einen, wie er in diesem Vertrag beschrieben ist. Erst dann kann man die Antworten weiter ausbauen.
Aber man kann sicher sein, daß es dann wieder heißt, Bourdieu ist gegen Europa. Ich bin für Europa, für ein soziales Europa, in dem nicht nur die Marktkräfte spielen. Dieses Europa muß gleichzeitig aufgebaut werden. Wir müssen jetzt Druck ausüben, weil wir an Europa glauben, weil wir Europa wollen. Auch als Bürger muß ich jetzt darum kämpfen, damit es ein Europa unter bestimmten Voraussetzungen (soziale Sicherheit, Menschenrechte, Schutz der Arbeitnehmer, Migrationsrecht, Beschränkung der Arbeitszeit auf 35 Stunden etc.) gibt. Alle diese Debatten müssen gleichzeitig erfolgen. Der deterministische Fatalismus, wie er bei Tietmayer zum Ausdruck kommt, daß wir das währungspolitische Europa schaffen, woraus sich das künftige wunderbare Europa ableiten wird, ist eine falsche Deduktion.
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