Gegen die Brüsseler Technokraten

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Foto von Susanne Gölitzer

Um darauf zu antworten, was Ulrich Beck gesagt hat. Es gibt immer imaginäre Feinde. Ich bin alt genug, um die stalinistische Epoche in Frankreich gekannt zu haben. Das war genauso schlimm wie in der Sowjetunion. Die stalinistische Denkweise war darauf ausgerichtet, daß man imaginäre Feinde geschaffen hat. Auch hier wurden imaginäre Feinde erwähnt: die ehemalige Linke oder der rote, schwarze und grüne Protektionismus. Vielleicht provoziert meine Anwesenheit das. Meine Position ist immer internationalistisch und anti-nationalistisch gewesen. Wenn man nicht, vermittelt über die Journalisten, das falsch auslegt, was ich über Herrn Tietmayer gesagt habe, dann hätte man mich nicht mit dem Phantom des Nationalismus oder Protektionismus assoziiert. Diese imaginären Feinde sind sehr gefährlich, weil sie einerseits imaginär sind und weil wegen ihnen andererseits die wirklichen Feinde nicht erkannt werden.

Ich bin nicht hierher gekommen, um vom Nichts zu sprechen. Dem Publikum sage ich immer das, was am meisten Ablehnung hervorruft. Das ist das Gegenteil von Demagogie. Ich versuche, nicht das zu sagen, was Sie hören wollen. Aber was möchte ich sagen: Wir haben ernste Probleme. Wir sind Franzosen und Deutsche - das ist ein Unfall der Geschichte. Mein Kultur ist deutsch, geboren bin ich in Frankreich. Ich bedauere die Existenz der kulturellen Grenzen. Wir haben, was ich auch mit meiner Parabel ausdrücken wollte, reale Probleme. Wir haben das Problem Europa, das Problem des europäischen Staates, der um eine Bank, um einen Nichtstaat, herum aufgebaut wird. Wenn wir keinen Staat wollen, dann sollten wir sagen, daß wir eine Bank wollen, und wenn wir einen Staat wollen, dann sollten wir sagen, daß er diese Bank kontrollieren sollte. Soll dieser ein Finanzstaat sein oder einer, der Steuern erhebt und die Polizeigewalt besitzt, dies zu tun? Wollen wir einen Polizeistaat oder einen Sozialstaat konstruieren, bei dem die militärischen und politischen Kräfte in den Dienst einer minimalen Ordnung gestellt werden, aber der soziale oder kulturelle Funktionen wahrnimmt? Wenn es dieser Staat ist, den wir wollen, wie soll er dann aufgebaut werden?

Herr Beck hat ja von empirischer Forschung gesprochen. Ich weiß nicht, was man bei solch einem Thema empirisch erforschen soll. Um den europäischen Staat aufzubauen, muß man auf den Nationalstaat verzichten. Das ist klar, aber nur die Nationalstaaten können den supranationalen Staat errichten. Wie kann man die einzelnen Staaten beeinflussen? Wie kann man auf der Ebene der einzelnen Staaten handeln, so daß sie die Kurzsichtigkeit unmittelbarer Konkurrenz aufgeben und zu einem kollektiven Projekt kommen, bei dem die besten Werte aller einzelnen Staaten zusammengefaßt werden? Wie also kann man einen Staat auf der Grundlage des Verzichts auf den Nationalstaat aufbauen? Welche Mobilisierungsformen brauchen wir dazu? Nichts ist schwieriger als eine Mobilisierung auf europäischer Ebene, denn alle Mobilisierungsstrukturen, gleich ob sie weiß, grün, rot, blau oder schwarz sind, sind national. Das wenige Internationale ist durch Stalin zerstört worden. Wie kann man mit nationalen Strukturen, nationalen Gewerkschaften, nationalen Verbänden international vorgehen? Und die Intellektuellen sind am nationalsten.

Wir müssen die Technokraten in Brüssel bloßstellen. Die Zeit ist jetzt reif dazu. Die Brüsseler Technokraten lassen einen supranationalen Staat entstehen, der zu einer Entstaatlichung der Politik führt. Wie kann man auf die Eurokraten Druck ausüben? Das sind die Fragen, konkrete politische Fragen über die Organisierung, die man stellen muß. Die Parteien, Gewerkschaften und Organisationen müssen Fragen auf dieser Ebene stellen. Man muß sich fragen, wie man die Eingeschlossenheit in die nationale Struktur überwinden und eine politische Mobilisierung so durchführen kann, daß Europa nicht um eine Bank herum aufgebaut und daß nicht von neoliberalen Grundsätzen ausgegangen wird. Auf solche Fragen würde ich gerne Antworten wissen.

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