Ein Begriff von Solidarität unter den Bedingungen der Globalisierung

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Zuvor: Pierre Bourdieu: Gegen die Brüsseler Technokraten
Ulrich Beck: Demokratische Re-Regulierung
Joschka Fischer: Der Euro als Chance für eine europäische Diskussion
Ulrich Beck:: Die Bedeutung von transnationalen Institutionen
Pierre Bourdieu: Der Beitrag der Intellektuellen
Joschka Fischer: Der Neoliberalismus ist eine Werteentscheidung
Pierre Bourdieu: Gegen das Maastricht-Europa
Ulrich Beck: Reformulierung einer linken Position jenseits von links und rechts

Foto von Susanne Gölitzer

Neu am Neoliberalismus ist nichts, außer seiner Wirkungsmächtigkeit, die objektive Gründe haben muß. Es kann sich nicht nur um ein besonders geschicktes Attentat oder um eine besonders geschickte Propaganda handeln. Ich denke mir, daß die Stärke des Neoliberalismus darauf beruht, daß eine wachsende Mittelschicht den Reichtum akkumuliert hat und offenbar für eine Politik des forcierten Besitzindividualismus mit der Devise: "Bereichert euch!" stimmt. In den USA ging es teilweise sogar gegen diese Mittelschichten, aber für die Ideologie waren sie ansprechbar.

Die demokratische Linke in den westlichen Industrieländern ist unter dem Gesichtspunkt der Mobilisierung der gesellschaftlichen und ökonomischen Produktivität gegenüber dem neoliberalen Modell zurückgefallen. Deswegen erscheint die Linke auch gegenwärtig so grau und so den Status quo verteidigend. Wenn man der Linken vorwirft, sie würde den Status quo verteidigen, dann verbirgt sich darin die Unterstellung, das Soziale sei unmodern. Das aber meine ich nicht. Es geht darum, das Soziale, d.h. Solidarität, neu zu definieren. Wir brauchen einen Begriff von Solidarität unter den Bedingungen der Globalisierung. Das alte Imperialismusmodell funktioniert zwar nicht mehr, dennoch gibt es nach wie vor imperialistische Ausbeutung und Abhängigkeiten.

Der Neoliberalismus hat neue, wenn auch teilweise schäbige Arbeitsformen hergestellt, die manchmal dennoch das Alternative mit aufgenommen haben. Es gab plötzlich flache Hiererachien, Arbeitsgruppen und anderes. All das, wofür unsereins in den frühen 70er Jahren auf Flugblättern bei Opel geworben hat, wurde auf einmal Managementprogramm des Neoliberalismus. Die Linke ist aber nicht in der Lage, daraus die Konsequenz zu ziehen. Wenn hier ein neues Arbeitnehmermodell entsteht und die neue Produktivitätsideologie sagt, daß jeder Arbeitnehmer sich wie ein Mittelständler verhalten muß, der auf eigene Rechnung arbeitet, warum formuliert dann die Linke nicht erneut und vorwärts gewandt die Eigentumsfrage? Warum dann nicht der Übergang von der Mitbestimmungs- zur Miteigentumsgesellschaft?

Ich kann mir die Gegenargumente auf solche Vorschläge schon selbst ausdenken, aber die Konsequenz würde dann sein, daß es nicht zu einem selbstorganisierten Kapitalismus kommt, sondern eben zum neoliberalen. Nicht der Kommunismus ist die Alternative, Gott sei Dank. Wenn zum Beispiel Flexibilität verlangt wird, d.h. universelle Verfügbarkeit von Arbeitnehmern, warum ist dann die Linke nicht in der Lage, Flexibilität in mehr Selbstbestimmung zu überführen? So stelle ich mir eine Rekonstruktion der demokratischen Linken unter den Bedingungen der Globalisierung vor. Allerdings halte ich die linken Grundwerte für nicht ersetzbar, zu denen ihr Universalismus gehört: die Verpflichtung auf den Universalismus von Menschenrechten, die Verpflichtung auf den Universalismus von Gerechtigkeit im emphatischen Sinne, die Verpflichtung auf den Universalismus des Kampfes gegen Ausbeutung und Unterdrückung. Auf dieser Grundlage die Neudefinition vorzunehmen, führt mich direkt zu Europa als linkem Projekt und nicht zu einer Europaverweigerung.

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