Der Film 'Set it off'

Einmal im Ghetto immer im Ghetto

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Alles guckt nach Los Angeles South Central und doch sieht keiner hin. Dabei leben dort doch die feinfühligsten 'Nigger' Amerikas. Sie sind sexy und aggressiv, wütend und potent, und produzieren für den Rest der Welt einen Mythos nach dem anderen. 'Set it off' von Regisseur Gary Gray hat mit dieser Ghetto-Romantik aus den 'Hoods' erstmal Schluss gemacht und bringt die Probleme der Schwarzen endlich auch wieder in einen sozialen und politischen Kontext.

Animated GIF zu "Set it Off" von Cannery Webdesign

Auch hierzulande diskutieren Intellektuelle angeblich Gangsta Rap und Gangsta Style, hören Snoop Doogy Dogg, Dr. Dre, Ice-T und Tupac Shakur und trinken dabei Rotwein bis zum abwinken. Ist Tupac Shakur tatsächlich nicht tot, sondern nach Kuba geflohen, um von dort aus den bewaffneten schwarzen Widerstand in den Staaten zu organisieren? So erzählen es sich die Leute in den 'Hoods' (von 'neighbour-hood') und so erzählen es die grossen Zeitschriften und Magazine, deren Reporter hautnah dabei sind, an uns weiter. Man berichtet auch von einem Revival der Black Panthers, von Treffpunkten im Ghetto, von Mao-Postern an den Wänden, aber auch von Mädchen, die schon als Teenager Babies von crackrauchenden Gangstas bekommen. Black hat Style, Black ist geil. Black ist mal wieder 'beautiful', die Afrolocke in dieser Saison wieder 'in' und einen Bericht sind die amerikanischen Schwarzen in ihrem "Hood" nach all dem Gemorde sowieso mal wieder wert. Black Style und weisse Medien-Heuchelei: Führt das zu einer Rassismusdebatte und zu mehr Solidarität, mit den "Niggers Of The World" - wo immer sie auch leben mögen, welcher Hautfarbe und welchen Geschlechts sie auch immer sind?

Vier junge Frauen in South Central Angeles. Die eine ist gerade ihren Job los geworden, die anderen drei schuften für einen Hungerlohn, man ist pleite und perspektivlos - man hängt rum. Aus Spass redet man darüber, eine Bank zu überfallen, und irgendwann wird's ernst. Der Einen wird ihr Kind weggenommen, die Andere verliert einen Bruder, der durch einen Irrtum von der Polizei erschossen wird. Es reicht. Der erste Coup gelingt, der zweite auch, der dritte wird zum Fiasko. Drei Frauen werden erschossen, die vierte kann fliehen. Was ihr bleibt? Geld, Freiheit, Einsamkeit, ein Leben das vom Leben davor bestimmt bleibt. Einmal im Ghetto immer im Ghetto. Queen Latifah, die grosse Lesbierin im Film, sagt: "Es kann hier noch so beschissen sein, es ist mein Zuhause, hier kenne ich mich aus".

Die, die zum Schluss übrigbleibt, hat von einem besseren bürgerlichen Leben geträumt, von einem Job, von einem Mann, von einem Zuhause, sie war schon ganz nah dran und hat alles verloren - ausgeträumt der Traum. Einmal im Ghetto immer im Ghetto. Ihr Lover, ein schwarzer Yuppie, hat von ihrer Herkunft und ihren Raubzügen nichts geahnt. Vielleicht hätte er auch nichts davon wissen wollen. Er fühlt sich frei. Stony, das Mädchen, hat sich noch nie frei gefühlt. Und das nimmt man ihr unumwunden ab. Durch eine gut komponierte Story, durch die psychologische Dichte zwischen den Charakteren und ihren Handlungen, mit Anspielungen auf die Gangsta-Style Attitüden, den verzerrenden Kriminaltitätsmythologien Hollywoods, bringt 'Set it Off' jenseits von Style und Hype aus dem Hood endlich auch politische und soziale Statements mit auf's Tableaux.

Ballerszene mit "Qeen Latifah"

Auf gesellschaftspolitischer Ebene spiegelt sich die anwachsende politische Gewaltbereitschaft in der schwarzen Bevölkerung Amerikas schon seit einiger Zeit wider. Nach Zeiten aufbrechender Bürgerrechtsbewegung um gesellschaftlicher Gleichstellung vor drei Jahrzehnten, trat nach massivsten Repressalien durch die US-Regierungen nahezu ein Stillstand sowohl bei der militanten Black Power-Bewegung wie bei den Bürgerrechtsbewegungen ein. Die Lage in den Ghettos hat sich mit Clintons jüngsten Einsparmassnahmen zusehends verschärft. Mit dem Hinweis, dass auch die "Afro-Amerikaner" keinerlei Sonderzuwendungen mehr erhalten sollten, werden weitere Kürzungen in sozialen Einrichtungen, Bildung und Sozialhilfe vorgenommen. Im Gegenzug bilden sich in der unterprivilegierten Schicht der Schwarzen neue radikale Strömungen, die sich teils islamisch-nationalistisch im Credo der "Nation of Islam", teils militant nach der Ideologie der Black Panther orientieren und formieren.

Queen Latifah in "Set it Off" mit Freundin

Die schwarze Gesellschaft der USA selbst ist in sich gespalten. Die Angehörigen eines schwarzen Establishments sehen das Elend ihrer schwarzen Mitbürger nicht in einem rassistischen Zusammenhang, sondern schliessen sich dem neoliberalistischen Common Sense von Selbstverschuldung und sogenannter Eigenverantwortung an. "Und du Schwester hast mir nicht mal ein Glas Wasser angeboten", schreit eine der Frauen zu Beginn des Films einer schwarzen Polizistin ins Gesicht. Diese schwarze Polizistin verfolgt denn auch das Quartett gemeinsam mit einem weissen Polizisten bis zum bitteren Ende. Die vier Frauen haben zuerst mehr vom Leben, mehr "vom grossen Kuchen" gewollt, aber schliesslich toben sie sich, langsam ihre Wut und ihren Hass steigernd, gegen die bestehenden Verhältnisse aus. Der neue Hype um "Black Power" wird den Menschen der Ghettos nicht helfen, aber vielleicht setzt sich der Schwarze Film wieder in Bewegung um eigene Geschichten zu erzählen, damit sich in unserem Bewusstsein was festsetzt - das wir spätestens dann zu spüren bekommen, wenn wir nach dem Kino auf die Strassen gehen und das Elend in unseren Köpfen angesichts unserer eigenen Vorurteile und Ängste vor dem Pöbel mal wieder wahrnehmen müssen.

Set it Off
USA 1997
D: Jada Pinkett, Queen Latifah, Vivica Fox, Kimberly Elise Blair
R: Gary Gray

Set it Off im Netz:
www.setitoff.com
www.newline.com

Black Power im Netz:
www.newsavanna.com
www.intercom.net
www.slip.net

Nation of Islam im Netz:
www.noi.org/

Black Panther im Netz:
www.bobbyseale.com/