Der Militärbischof und der gerechte Krieg

Seite 2: Wann das Konzept der Schutzverantwortung (Responsibility To Protect) überzeugen kann

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Das 2001 erarbeitete und 2005 auch in einem UN-Dokument enthaltene Konzept der Schutzverantwortung (Responsibility To Protect, R2P) kann dann überzeugen, wenn es nicht mehr militärisch gedacht (bzw. durch Militär-Unlogik verdorben) wird.

Heute wissen wir, warum R2P in den Militärdoktrinen der mächtigen Staaten nicht vorkommt: Man will sich offenhalten, das "moralische Konzept" selektiv heranzuziehen, wenn dies bei einer Militärintervention gerade nützlich ist.

Auf der Basis der Menschenrechtsargumentation von R2P wäre es zwingend, z.B. auch eine völkerrechtlich verbindliche Verantwortung (Pflicht) zur Ernährung der Verhungernden (Responsibility To Feed), zur Rettung der Ertrinkenden oder zur Medikamentenversorgung von sonst totgeweihten Gruppen zu beurkunden. Der Vorzug auf diesen Gebieten liegt darin, dass man hier mit erprobten Mitteln, wissenschaftlicher Präzision und garantiertem Erfolg wirklich Millionen Menschenleben retten kann.

Doch "Teilen statt Töten" heißt die Devise auf dem Globus nicht. Ein Verantwortungsethiker muss aus dem gigantischen Ausmaß der Untätigkeit der Mächtigen bei Krisen, die ohne Militärkontext das grundlegende Menschenrecht auf Leben von Millionen betreffen, zwangsläufig schließen, dass es moralisch integre, überzeugende und uneigennützige Akteure für eine - als tauglich vermutete - R2P-Militärintervention am allerwenigsten gibt.

Die Lehre aus Ruanda lautet: Die Mächtigen dieser Welt, die mancher für von Gott legitimiert hält, wollen beim nächsten Völkermord wieder nur zuschauen oder - mit viel Schadenswirkung und ohne Nutzen für die Opfer - einfach Bomben abwerfen. Traurige Wahrheit ist nämlich, dass ein Vierteljahrhundert später immer noch keine nennenswerte "Infrastruktur" zur Prävention von Völkermord geschaffen worden ist.

Man unterhält einige experimentelle Spielwiesen für zivile Konfliktlösung, doch der Fluss der riesigen Geldströme in die Kriegsbudgets zeigt an, wo der eigentliche Geschäftsbereich - das Hauptgewerbe - liegt. Die Prioritäten der potenten Staaten sind klar. Obwohl man es nach Lektüre der Präambel des Grundgesetzes anders erwarten müsste, gibt es auch in Deutschland kein Friedensministerium.

"Tyrannenmord" in … Bagdad, Tripolis …?

Eine Neuordnung des gesamten Nahen Ostens - samt einer Kette von Regime-Auswechselungen - wurde in neokonservativen US-Denkfabriken schon vor den Terroranschlägen vom 11.9.2001 gefordert. Viele Millionen Menschen in aller Welt haben im Februar 2003 im Rahmen der bislang größten vernetzten Friedensdemonstration der gesamten Geschichte vorgetragen, der auf der Grundlage von Lügenkonstruktionen geplante Angriffskrieg gegen den Irak müsse auch deshalb unterbleiben, weil er eine ganze Erdregion in ein Pulverfass verwandeln werde.

Die US-Administration, die Verantwortung trägt für 1 Million Tote und die Entstehung von ISIS, lag sogar hinsichtlich der erwarteten Vorteile für die eigene Nation falsch. Die Menschen des globalen Friedensprotestes am 15. Februar 2003 lagen hingegen, wie jeder heute sieht, auf ganzer Linie richtig mit ihrer Einschätzung.

Die Bombardierung Libyens durch NATO-Staaten im Jahr 2011 - ohne deutsche Beteiligung - wird auch von vielen bürgerlichen Kritikern als völkerrechtswidrig eingestuft. Ihr gingen u.a. Kampagnenmeldungen über Verbrechen des Regimes voraus, die später nicht verifiziert werden konnten. Eine UN-Resolution wurde genutzt, um faktisch als bewaffnete Partei in den Bürgerkrieg einzugreifen und einen - aus geostrategischen wie ökonomischen Gründen gewünschten - Regimewechsel auf militärische Weise herbeizuführen.

Die informelle Bezugnahme auf das Konzept der "Schutzverantwortung" (R2P) hält keiner wissenschaftlichen Überprüfung stand. Vielmehr zeigt der Kasus Libyen, wie lügnerisch und explosiv die militärische Version von R2P ausfällt. Das erste Ergebnis war ein weiterer zusammengebrochener Staat als Kampfplatz für Islamisten. Die verheerenden Folgen der NATO-Bombardements in Libyen - für ungezählte Menschen, die gesamte Region und Europa - gehen Jahr für Jahr mit größeren Leiden einher - bis zur Stunde.

Die Methode ist hinlänglich bekannt: Man sucht sich aus den zahllosen "Saddams" und "Gaddafis" dieser Erde, jeweils denjenigen heraus, der nicht mehr nützlich oder willig ist bzw. einer "Regionalen Neuordnung" etc. im Wege steht, und führt Krieg. (Die eigenen Folterkeller sind notwendig, die der anderen Werke des Teufels.)

Sigurd Rink nun schreibt vom Vorsatz der USA und williger NATO-Staaten, "in Libyen und im Irak die beiden irregeleiteten, brutalen Diktatoren […] vom Thron zu bomben und ihr Unterdrückungsregime gleich mit. Als Ultima Ratio gerechtfertigte Tyrannenmorde, könnte man meinen".

Er ist froh, dass Deutschland an diesen beiden "Tyrannenmorden" - mit Hunderttausenden Todesopfern - nicht beteiligt war und beschreibt die dramatischen Folgen. Es fehlt jedoch etwas.

Angriffskriege der USA und ihrer NATO-Verbündeten werden bei ihm nie im Klartext als Kriegsverbrechen benannt: Die Intentionen und Zielsetzungen des transatlantischen Komplexes sind doch eher menschenfreundlicher Natur, nur die Durchführung überzeugt nicht immer. Die Höflichkeitsformeln, mit denen westliche Interventionen kritisiert werden, möchte man fast zu einer Stilblütenlese zusammentragen.

Die Ausführungen des Militärbischofs zeugen von einem sehr hohen Maß an Loyalität zur NATO. (Es gibt daneben keine Grundsatzkritik des militärischen Denkens, die eine wirklich neue Perspektive eröffnet: jenseits mächtiger militärischer Interessensbündnisse, die die Anforderung eines Systems gegenseitiger kollektiver Sicherheit ja nie erfüllen können.)

Syrien

Sehr unklar fallen dann die Ausführungen zu Syrien aus, wo der Dürre-Periode 2006-2010 (Klimawandel: Ernteausfall, Viehsterben, Lebensmittelteuerung …) die ersten Unruhen folgten, die konkurrierenden Regionalmächte (je mit einer "Globalmacht" im Hintergrund) auf den Plan traten und dann ein ohnehin schon brutaler Bürgerkrieg durch interessegeleitete Einflussnahme von außen zu einer Hölle ohne Ende auswuchs. (Schließlich war die Gefahr groß, dass sich - nicht ohne Assistenz westlicher Akteure - auf dem Territorium eine Islamistische Terrorstaatlichkeit festsetzt.)

Sigurd Rink schreibt, die Weltgemeinschaft habe in Assads Syrien schon vor Bildung einer Anti-IS-Koalition versagt: "Man hatte zu lange weggeschaut, hatte aus eigenen Interessen einen Diktator gestützt und großes Unrecht hingenommen. Präventives Handeln gehört noch nicht zu den Stärken der Weltgemeinschaft."

Hier würden wir gerne mehr erfahren über Zeitpunkte, mögliche Akteure und Art der verpassten "Prävention". An ein "Immer weiter so" - also einen militärischen "Tyrannenmord" wie im Irak oder in Libyen - hat der Militärbischof doch wohl eher nicht gedacht.