Der Militärbischof und der gerechte Krieg

Seite 5: Militärbischöfliche Assistenz für die Aufrüstung des Militärapparates

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Namhafte Stimmen auch aus dem bürgerlichen Spektrum warnen in diesem Jahr verstärkt vor einer Aufrüstungsspirale sondergleichen, die freilich schon längst entfesselt ist. Militärbischof Sigurd Rink beschreitet den gegenteiligen Weg, indem er für eine Erhöhung der deutschen Militärausgaben plädiert.

Er bezieht sich hierbei auf die interessegeleiteten Klagen des profilierten Transatlantik-Brückenbauers und Zeit-Herausgebers Josef Joffe über "gravierende Ausstattungsmängel der Bundeswehr als Gefährdung der weltpolitischen Rolle unseres Landes" und nimmt selbst so Stellung:

Um gleichwertiges Mitglied multilateraler Bündnisse zu sein, das den Erfordernissen der gegenwärtigen Welt gerecht wird, fehlt es der Bundeswehr erheblich an Personal und Ausstattung.

Militärbischof Rink

Dies sei einer "gewollten jahrelangen Schrumpfung der Bundeswehr nach dem Ende des Kalten Krieges" geschuldet, und "in der stiefmütterlichen Behandlung der Sicherheits- und Verteidigungspolitik" sei ein "Verdrängungswunsch am Werk".

Dies ist nahezu der Originalton der Aufrüstungspropheten. Sigurd Rink wünscht für die europäischen Länder, "dass die USA an ihrer Seite bleiben": Dafür "müssen sie ihren Beitrag zum Verteidigungsetat der NATO stabilisieren … Das ist ohnehin längst überfällig, um den USA Bündnispartner auf Augenhöhe zu sein - und erst recht nötig […], sollten die NATO-Länder gezwungen sein, ohne die USA ein europäisches Verteidigungsbündnis zu stärken."

Dass in diesem Kontext via Nebensatz auch Investitionen "in Krisenprävention und Wiederaufbau" gefordert werden, überzeugt nicht. Denn Sigurd Rink klärt seine Leserschaft nicht über die real existierenden Weltverhältnisse auf: Die globalen Budgets für humanitäre und friedensfördernde Aufgaben ohne Militäreinbindung verhalten sich zum "Weltrüstungshaushalt" lediglich wie eine kleine Portokasse.

"Mehr Personal" für die Bundeswehr lautet die Forderung, aber die willigen Bewerber bleiben aus. Eine allgemeine Wehrpflicht würde besser zu einem von Luther abgeleiteten Ideal des "Staatsbürgers in Uniform" passen als - vorzugsweise aus dem Kreis der Benachteiligten rekrutierte - Berufssoldaten oder Söldner aus jenem ökonomisierten (privatisierten!) Kriegskomplex, dessen Anwachsen Sigurd Rink durchaus mit Sorge betrachtet.

Das Plädoyer des evangelischen Militärbischofs für eine Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht kann keinem Leser des Buches verborgen bleiben; die Chancen für eine Verwirklichung dieses Ansinnens schätzt der Verfasser allerdings selbst denkbar gering ein.

Die Militärseelsorge als "Zukunftslabor der Kirche"?

Militärseelsorge ist in den Augen von Sigurd Rink heute kein Instrument mehr zur Bändigung ungehorsamer Soldaten, sondern: eine "Zwillingsschwester der Inneren Führung" (sic!), gleichwohl ein staatsunabhängiges "Fenster zur Zivilgesellschaft"; einzige Sachwalterin des Beichtgeheimnisses; nicht dafür zuständig, "die Soldaten von der Sinnhaftigkeit ihrer Einsätze zu überzeugen"; raumgebend für Zweifel und "für das Nachdenken über das Nichtwissbare und Unberechenbare"; Hüterin von "Ressourcen christlich-religiöser Tradition" und sogar "so etwas wie ein 'Zukunftslabor der Kirche'".

Verständlich ist das Bemühen, die Arbeit der Militärseelsorge gegenüber dem Bundesministerium, dem das Militärbischofsamt zugeordnet ist, und gegenüber der z.T. kritischen Kirchenöffentlichkeit in ein freundliches Licht zu stellen. Kritische Forschungen zur wirklichen "Reichweite" der Seelsorge des Militärkirchenwesens bleiben unberücksichtigt.

Das Buch endet mit einem militärbischöflichen Predigtappell, welcher die Leser einem imaginären "Wir" einfügt: "Deutschland ist weltweit an militärischen Einsätzen beteiligt […]. Das militärische Engagement der Bundeswehr geschieht in unser aller Namen, in der Verantwortung der deutschen Gesellschaft. Wir müssen diese Verantwortung wahrnehmen." Das sogenannte deutsche Militär-"Engagement" (samt Entsendung von Soldaten, Aufrüstung, unverantwortlicher Rekrutierungspropaganda etc.) erfolgt aber keineswegs im Namen der friedenskirchlich ausgerichteten Christinnen und Christen. Diese halten den Militärapparat für ein esoterisches Gefüge, dessen Heilsversprechen einer rationalen - wissenschaftlichen - Überprüfung nicht standhalten und weltbrandgefährlich sind.

Der Beitrag basiert auf einer ausführlicheren Version mit Literaturverweisen. Sie ist erschienen in: Rainer Schmidt, Thomas Nauerth, Matthias-W. Engelke, P. Bürger (Hg.): Die Seelen rüsten. Zur Kritik der staatskirchlichen Militärseelsorge. Norderstedt 2019. Mehr zum Buch: hier.