Der Militärbischof und der gerechte Krieg

Seite 3: Deutsche Auslandseinsätze - Afghanistan ohne Ende

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Der deutsche Anteil an den Gewalt-Eskalationen im zerfallenden Jugoslawien und speziell an dem mit Assistenz der rot-grünen Regierung erfolgten NATO-Angriffskrieg 1999 wird in einer neuen Forschungsarbeit aus dem Potsdamer Zentrum der Bundeswehr gravierend eingeschätzt. Die der Öffentlichkeit in unserem Land mittels Fälschungen schmackhaft gemachten Bombenabwürfe haben im Kosovo keine "humanitäre Katastrophe" verhindert, sondern den Flüchtlingsströmen 1999 noch ein Fünffaches an Elend hinzugefügt.

Im Kosovo-Kapitel seines Buches vermittelt Rink, dass in dem instabilen Land, in dem seit 20 Jahren (!) auch Bundeswehrsoldaten im Einsatz sind, von wirklichem Frieden noch immer keine Rede sein kann: Konfliktaustragung zwischen Kosovo-Albanern und Kosovo-Serben mittels "Bombenanschlägen und Attentaten" (!), "Kriminalität und Korruption", ein immer noch lodernder staatlicher Konflikt zwischen Kosovo und Serbien sowie staatliche Strukturen, deren Stabilität bzw. Nachhaltigkeit nur schwer eingeschätzt werden kann. So das erste Lehrstück über Bomben: 1999 - 2019.

Ausführlich - und kritisch - erörtert der Militärbischof die Beteiligung des deutschen Militärs mit über tausend Soldaten an MINUSMA in Mali, das ist die "zurzeit gefährlichste Mission der Vereinten Nationen und der zweitgrößte Einsatz der Bundeswehr". Indirekt erschließt sich, dass die Gewalteskalation in Mali ab Anfang 2012 auch den Folgen der NATO-Bombardierung Libyens 2011 zuzurechnen ist.

Das in den Lineal-Grenzen Afrikas eingebrannte Kolonialregime der Europäer ist mitnichten Vergangenheit. Namentlich Frankreich verfolgt in Mali ganz eigennützig gravierende Rohstoffinteressen; auch die europäischen "Migrationspartnerschaften" mit afrikanischen Schwerpunktstaaten sind keine Werke der selbstlosen Nächstenliebe. Der Militärbischof kommentiert die NATO-Devise "Werte und Interessen" wie ein Realpolitiker:

Mag es auch den moralischen Wert einer Handlung schmälern, wenn mit dieser ebenso eigene Interessen verbunden sind, so kann eine solche Handlung dennoch legitim und sogar geboten sein.

Sigurd Rink

Zwei besondere Schwachstellen kommen im Mali-Kapitel zum Tragen: S. Rink sieht zwar das Ungleichgewicht der internationalen Organisation zugunsten der reichen Industrienationen und destabilisierende "Globalisierungseffekte", doch es kommt ihm nicht der Gedanke, der grassierende Staatenzerfall ("failed states") könne überhaupt systemisch zusammenhängen mit einer Wirtschaftsweise, die den ganzen Globus knebelt und nach Wahrnehmung des Papstes über Leichen geht.

Zum anderen staunt man, dass im Kontext der Sahelzone nicht nachdrücklich die infolge der Klimakatastrophe prognostizierte Explosion von Massenelend zur Sprache kommt. Die Unterbelichtung der ökologischen Frage ist überhaupt frappierend (Klimaflucht, Krieg um Wasser, militärische Umweltzerstörung …).

Insgesamt beleuchtet Rink den Mali-Einsatz kritisch. Die (u.a. im Sinne Frankreichs gestützte) Regierung taugt offenbar nicht viel. Keiner kann sagen, ob die militärischen Ausbildungsmaßnahmen und die - den Waffenschmuggel anheizenden - Rüstungslieferungen für Mali bald nicht doch wieder den Islamisten zugutekommen. Droht am Ende gar eine "Afghanistanisierung", also ein Militäreinsatz ohne Ende und Ausstiegsmöglichkeit? Das Schlussfazit des Militärbischofs fällt erstaunlich und mutig aus: Der "Sinn von MINUSMA" steht für mich "nicht infrage".

Kritisch gerät ihm auch das Kapitel über die "NATO in Afghanistan". Von Anfang an suggerierte der Westen nach dem US-Überfall des Landes, seine erwählten Verbündeten vor Ort seien nicht korrupt. (Das Gebiet wurde durch unsere Regierung vor einer Abschiebung von afghanischen Flüchtlingen unlängst als "sicher" deklariert, weil man sonst der Öffentlichkeit sagen müsste, dass die Lage dort nach fast zwei Jahrzehnten wirklich so schlimm ist wie allgemein angenommen.)

Die auf deutsches Geheiß hin erfolgte tödliche Bombardierung von über 100 Menschen, die der Militärbischof unter der Überschrift "Kundus-Affäre" behandelt, nannten auch Medien ohne kriegskritisches Profil ein Verbrechen. Deutsche Soldaten kämpfen gegen ein militarisiertes Gotteskriegertum, das der Westen in Kooperation mit verbündeten Ölmonarchen vor Jahrzehnten erstmals kreiert hat.

Der Krieg in Afghanistan erhält sich selbst nach einem ehernen Gesetz: durch systemische Korruption, Söldnerwesen, Waffenhandel und horrenden Profite (Kriegs- und Kriegsanhangs-Industrie, Wiederaufbaukonzerne, Drogenökonomien …). In zwei Jahrzehnten wurden von allen Akteuren so viele Milliarden für diesen Krieg ausgegeben, dass die Weltgesellschaft mit dieser Summe den Hunger in der ganzen Welt beenden oder eine restlose Umstellung auf erneuerbare Energien bewerkstelligen könnte.

Durfte man aus verantwortungsethischer Sicht so viel Geld ausgeben, um damit unermessliche Gewalteskalation, endlosen Tod, ungezählte Traumata und eine zerstörte Zukunft von Generationen zu verursachen? Darf man auf diese Weise, also mit der militärischen Methode, immer weitermachen? Wo ist etwas nicht schlimmer, sondern besser geworden in Afghanistan? Dazu mag Sigurd Rink im 19. Kriegsjahr nur ein einziges konkretes Beispiel nennen: "Besuchten unter den Taliban gar keine Mädchen die Schule, so sind es jetzt immerhin dreißig Prozent."