Der Satan im Taschentelefon

"Araber im Allgemeinen und die Saudis im Besonderen leben für ihre Mobiltelefone, auf eine Weise, die man in anderen Teilen der Welt nicht verstehen würde"

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Doch doch, auch saudische Behörden sind einsichtig - soweit es sich nicht um Regimekritiker handelt " und halten eine Revolution nicht mehr auf, wenn sie nicht mehr aufzuhalten ist: Einem echter Araber, der etwas auf sich hält, ist das Mobiltelefon nicht wegzunehmen; selbst wenn er damit Bilder machen kann, die "haram", verboten, sind. Der ewige Versucher, der Scheitan (Satan), verbirgt sich auch im Taschentelefon. Das wissen die geistlichen Autoritäten längst und die Frommen auch, weswegen bestimmte Anwendungen genau geregelt werden müssen.

Es ist mehr als schade, dass er schweigt. Kein anderer zeigte das Alltagsleben in Saudi-Arabien derart anschaulich, mit scharfen Witz und überraschenden Einsichten, wie der saudische Blogger "Der Religionspolizist" (vgl. dazu Die Mission des Religionspolizisten). Vor etwa einem Jahr hat er seinen Blog eingestellt, höchstwahrscheinlich aus persönlichen Sicherheitsgründen, leider völlig unbeachtet von der Blogosphäre und also ohne laute Entrüstung - ein Verlust. "The Religious Policeman" war ein ironischer und hellsichtiger Beobachter der saudischen Verhältnisse. Deshalb wusste (Eintrag vom 19.April) er schon im Frühjahr letzten Jahres, dass die saudischen Behörden keine Chance haben würden, die "Handy-Revolution" aufzuhalten:

Falls die saudische Bevölkerung sich schließlich zur Revolte erheben wird und die königliche Familie verjagen, dann nicht für eine demokratische Reform oder für eine islamische Republik. Sondern wegen der Mobiltelefone

Wird es die saudische Religionspolizei ("Muttawa") schaffen, alle Mobiltelefone zu verbieten? Dies würde dem Versuch gleichkommen, einem Amerikaner die Waffe wegzunehmen oder einem Engländer den Hund. Araber im Allgemeinen und die Saudis im Besonderen leben für ihre Mobiltelefone, auf eine Weise, die man in anderen Teilen der Welt nicht verstehen würde. Und wir sind physisch nicht dazu fähig, unser Telefon zu ignorieren, wenn es klingelt.

Zu diesem Zeitpunkt waren Kamera-Handys in Saudi-Arabien zwar bereits sehr verbreitet, aber noch verboten; seit Anfang dieses Jahres ist das Verbot aufgehoben. Schon zuvor hatte sich gezeigt, dass Araber ihrem klingelnden Handy in allen möglichen Situationen den Vorrang einräumen. Ob während der Wallfahrt in Mekka, bei der Umrundung der Kaaba, der Besteigung der heiligen Hügel, tausende Mobiltelefone klingeln wie verrückt und: Die Anrufe werden von den Wallfahrern angenommen, so ein entrüsteter Augen-und Ohrenzeuge. Auch mitten in einer geschäftlichen Präsentation setzte ein saudi-arabischer Redner für uns Europäer ganz eigentümliche Prioritäten, als sich sein Mobile meldete. Er ging ran:

Es war seine Mutter! Wir saßen da und hörten ihm fünf Minuten lang dabei zu, wie er ihr erklärte, warum er sie die letzten beiden Tage nicht besucht hatte. Seine Ausflüchte waren genial, ich werde sie künftig auch benutzen. Er beendete seine Präsentation ohne ein Wort der Entschuldigung.

The Religious Policeman

Dass Anrufe sogar während der schönsten amourösen Momente entgegengenommen werden, wie der Religionspolizist auch erzählt, ist ein Fauxpas, der ganz sicher nicht nur von arabischen Männern gemacht wird. Von solchen Geschichten gibt es auch im westlichen Anekdoten-Fundus genug. Dass man sich aber an geistliche Würdenträger wendet, um zu erfahren, ob der Ruf des Muezzin oder Koransuren als Klingeltöne erlaubt sind oder das islamische Glaubensbekenntnis als Logo auf dem Display des Handy, ob es erlaubt ist, sich per SMS scheiden zu lassen, sind allerdings Fragen, die andere Religionen nicht kennen.

Die Mobiltelefon-Industrie hat in arabischen und muslimischen Regionen Zuwachsraten wie kaum eine andere, auch im Irak gibt es mittlerweile mehr als eine Million Handy-Kunden, kein Wunder also, dass sich die Telefonfabrikanten längst auf diesen Markt eingestellt haben und mit "islamischen Features" aufwarten: Muslime können sich den Koran aufs Minitelefon laden, überall von Vorbetern der berühmtesten Moscheen der Welt zum Gebet gerufen werden, sich die "Qibla" anzeigen lassen, damit man an jedem Ort der Welt weiß, wo Mekka liegt, und das islamische Glaubensbekenntnis " das Tawid " als Logo auf dem Handy-Display herumtragen.

Die Schrift ist heilig, der Ton weniger

Doch mit Letzterem könnten Muslime in größte Nöte gelangen, wenn sie ihr Handy in jedem Moment bei sich haben wollen. Die entsprechende Anfrage eines Muslims bei einem Religionsgelehrten online ergab folgende Auskunft:

Tatsächlich ist es für eine Person nicht erlaubt, das Glaubensbekenntnis (Tawid) auf dem Display des Mobiltelefons zu haben, da das Telefon ins Badezimmer mitgenommen werden könnte. Nur wenn der Besitzer sicherstellt, dass das Telefon von unreinen Orten ferngehalten wird, wäre nichts Falsches daran, die Worte auf dem Mobile erscheinen zu lassen.

Die Schrift ist heilig, Ton weniger. So sei es zum Beispiel nicht "haram", ein Telefon mit ins Badezimmer zu nehmen, das eine Tonaufnahme des Koran enthält. Das Rechtsgutachten des Gelehrten begründet dies damit, dass Tonaufnahmen zwar im Telefon enthalten sind, aber eben nicht sichtbar, weshalb dies nicht unter die selben Regelungen falle wie die gedruckten Versionen des Koran (Mushaf).

Doch auch der Klang kann verboten sein. Zwar haben Rechtsgelehrte, Muftis, im Allgemeinen nichts daran auszusetzen, wenn ein Ruf zum Gebet als Handy-Klingelton verwendet wird; es gibt jedoch besonders strikte Muftis, die im Abspielen von musikalischen Klingeltönen Verbotenes erkennen, da Musik generell "haram" ist.

Schwierig auch der Umgang mit den Bildern der Kamera-Handys. Natürlich sind Bilder von unverschleierten Frauen "absolut haram". Solche Photos spielen aber eine große Rolle auf dem Vermittlungsmarkt von Heiratswilligen. Und es sind nicht nur Schuljungs, die damit ihre Streiche spielen und versuchen, Lehrerinnen oder Mädchen, die sie anhimmeln, möglichst unverschleiert mit dem Fotohandy zu erwischen, um dann die Bilder vielleicht sogar ins Internet zu stellen. Es sind oft Mütter, welche die Frauen unverschleiert sehen dürfen und bei Hochzeitsgesellschaften mögliche Kandidatinnen für ihren Sohn spionagemäßig mit ihren kleinen Kameras aufnehmen.

Sollte sich der junge Mann in der Wahl getäuscht haben, genügt für manche islamische Rechtsgelehrte übrigens, das dreimalige Abschicken einer SMS mit den Worten "Ich will eine Scheidung", damit die Trennung rechtsgültig ist.