Der Schmerz im Gehirn beim Einkaufen

Neuromarketing: US-Wissenschaftler konnten anhand aktiver Gehirnareale die Kaufentscheidungen von Menschen vorhersagen

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Gedankenlesen interessiert nicht nur den Großen Bruder, sondern auch die kleinen, kommerziellen Brüder. Neuroöknomie nennt sich die Forschungsrichtung, mit der das Gehirn der Menschen ausgespäht werden soll, um zu erfassen, wie man es am besten austricksen kann, um Produkte an den Mann oder die Frau zu bringen. Jetzt wollen Neurowissenschaftler mit Gehirnscans herausgefunden haben, warum Kreditkarten die Konsumfreude trotz leeren Geldbeutels fördern.

Was Gehirnscans tatsächlich bedeuten, ist freilich höchst fraglich. Bei der funktionellen Magnetresonanztomographie (fMRI) etwa geht man davon aus, die Areale zu erkennen, die in einer Situation besonders aktiv sind, da hier Stoffwechselvorgänge gemessen werden. Allerdings ist das bereits eine Frage der Interpretation, zudem muss die Situation, auf die die Versuchspersonen reagieren sollen, genau umrissen sein, was stets schwierig ist. Ein wenig erinnern die derzeit modischen Gehirnscans an die Mode der Phrenologie.

Wie auch immer, jetzt wollen Wissenschaftler des Department of Social and Decisions Sciences der Carnegie Mellon University, des Department of Psychology der Stanford University und der Sloan School of Management am MIT herausgefunden haben, wie sie in Neural Predictors of Purchases (Neuron, Volume 53, Issue 1, 4 January 2007) schreiben, dass der Kaufimpuls abhängt von einer Entscheidung zwischen den Vorlieben eines Menschen und dem Preis, den er für etwas bezahlen muss. Weil man die nacheinander erfolgende Aktivierung verschiedener Gehirnareale erkennen könne, lasse sich auch die Entscheidung antizipieren. Damit wird suggeriert, man könne Situationen so schaffen, dass Menschen auch bestimmte Waren kaufen werden.

Wer schon im Bereich der Neuroökonomie oder des Neuromarketing arbeitet (Im Kopf des Konsumenten), wird auch dazu neigen, Marketingmethoden in der Wissenschaft zu verwenden. Natürlich handelt es sich also um die angeblich erste Studie, die fMRI-Scans verwendet, um Kaufentscheidungen zu dokumentieren. Und natürlich verspricht man, dass daraus wichtige Erkenntnisse für die Wirtschaftstheorie abgeleitet werden können, weil die Kaufentscheidung doch das grundlegendste ökonomische Verhalten sei. Wie meist basiert wissenschaftsökonomisch die Studie nur auf Scans von wenigen Versuchspersonen. In diesem Fall von 26 Menschen, was stets die Frage erhebt, wie repräsentativ und aussagekräftig eine solche Studie überhaupt sein kann.

Die Versuchspersonen erhielten 20 Dollar, die sie für den Kauf von Dingen ausgeben oder auch sparen konnten. Die Produkte wurden ihnen auf einem Bildschirm in der fMRI-Röhre gezeigt. Später wurde deren Preis eingeblendet. Man konnte mit dieser Versuchsanordnung also zunächst erkennen, welche Hirnareale nach dem fMRI-Scan beim Anblick von bestimmten Produkten aktiv waren, die möglicherweise attraktiv für die Versuchspersonen waren, und was sich durch die Kombination mit dem Preis änderte. Ziel der Studie war, ob sich die Kaufentscheidung einer Person vorhersagen lässt.

Beim Anblick der Konsumgüter wurde der Nucleus accumbens im Vorderhirn aktiviert. Das ist ein Areal, das eine wichtige Rolle im Belohnungssystem des Gehirns spielt und Lernvorgänge mit Glücksgefühlen bzw. der Erwartung von solchen belohnt. Das Areal wird von vielen Drogen angesprochen und ist auch entscheidend an der Entstehung von Süchten beteiligt. Sehr vereinfacht ausgedrückt lösten die präsentierten Objekte erst einmal eine freudige Erwartung der zum Konsumenten gewordenen Versuchsperson aus, sie demnächst in Besitz nehmen zu können. Wenn dann der Preis dazu auftaucht, werden auf dem Hintergrund der knappen Ressourcen von 20 Dollar mögliche Gewinne oder Verluste austariert, also ob die Ware ihren Preis wert ist, ob sie ein Schnäppchen oder zu teuer ist.

Wenn die Preise den Versuchspersonen zu teuer waren, war die Inselrinde, ein Teil der Großhirnrinde, aktiv, während der mediale präfrontale Kortex deaktiviert war. Da letzterer als das Areal gilt, in dem Entscheidungen abgewägt werden, also ob der erwartete Genuss den "Schmerz" des Gezahlten überwiegt, würde hier die Inselrinde durch eine negative Erwartung oder Risikovermeidung die Entscheidung blockieren. Im Gegensatz zum Lust- oder Belohnungszentrum ist die Inselrinde vermutlich an der Aktivierung aversiver Gefühle beteiligt. Ob diese Interpretation richtig ist, mag dahingestellt sein, immerhin konnten die Wissenschaftler aufgrund der aktiven Areale der Versuchspersonen "präzise" ableiten, ob diese das ihnen gezeigte Produkt kaufen werden. Das scheint dann zu geschehen, wenn der Nucleus accumbens meldet, dass er das Produkt will, und der mediale präfrontale Kortex aktiv ist, also Gewinne und Verluste überdenkt. Das würde dann wohl auch heißen, dass dann, wenn der Kunde eine Ware prinzipiell haben will und schon einmal in den Prozess des Abwägens eingetreten ist, er mehr oder weniger schon zum Kauf neigt, sofern er das Geld zur Verfügung hat und nichts Dringendes benötigt wird. Das freilich mag beim Shopping als Freizeitaktivität mitunter der Fall sein, trifft aber wohl nur in Ausnahmesituationen zu.

Nach den Wissenschaftlern widerlegt ihre Studie die gängige Meinung, dass die Kunden die unmittelbare Befriedigung durch den Kauf einer Ware mit der möglichen Befriedigung durch eine andere Ware vergleichen, die sie dann nicht mehr kaufen können. Die Studie zeige hingegen, dass die Konsumenten die unmittelbare Befriedigung mit dem unmittelbaren "Schmerz" abwägen, das Geld für das Produkt zu verschwenden. Für Besitzer einer Kreditkarte werde dieser durch die Inselrinde repräsentierte Schmerz geringer, weil sie das Gefühl haben, dass sie das Produkt nicht gleich kaufen, da zwar die Kreditkarte belastet wird, aber die Zahlung vom eigenen Konto erst später und hinter ihrem Rücken erfolgt. Weil man dann also schneller zuschlägt, würden die Menschen auch eher dazu neigen, mehr Geld auszugeben, als sie haben. Man könnte sich mithin überlegen, wie man den Kaufrausch von Konsumenten reduziert, was die Wissenschaftler ansprechen, aber ebenso gut, wie man ihn noch besser, also schmerzloser machen könnte. Allerdings ist die Versuchsanordnung nicht sonderlich realistisch für das normale Konsumverhalten.