Der Spion, der zu viel trank

Pannen beim britischen Geheimdienst

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Der britische Geheimdienst produziert gerade eine ziemlich medien-unwirksame Kombination aus anmaßenden Überwachungsansprüchen und menschlichen Fehlleistungen. So hat ein britischer Geheimagent gerade eine Aktentasche mit hochgeheimen Dokumenten im Zug vergessen. Das Massenblatt The Sun berichtet, die Inlands-Aufklärung MI5 habe Premierminister Tony Blair über den Verlust informiert. Der Geheimdienst habe "besonderes Interesse" daran, dass die Papiere über Nordirland wieder auftauchen.

Panisch durchsuchte die Polizei sämtliche Züge und Haltestellen auf der Strecke, bisher ohne Erfolg. Der Verlust der Dokumente stelle, so der MI5, zwar keine unmittelbare Bedrohung der nationalen Sicherheit dar, die Bürger werden jedoch aufgefordert, die Dossiers, falls sie auftauchen, sofort zur Polizei zu bringen. Der Vorfall ist nicht der einzige in der Art. Erst kürzlich wurde einem MI5-Agenten an einem Bahnhof sein Laptop gestohlen, vergaß ein MI6-Agent seinen Laptop in einer Tapas-Bar, wurde einem Senior ArmyOfficer sein Laptop am Flughafen Heathrow gestohlen, wurde einem Agenten sein Laptop, der Ulster Geheimnisse barg, am Bahnhof London Paddington gestohlen.

Der MI6 Spion der zuviel trank, hatte im März einen regelrechten Wirbel ausgelöst, als er seinen Laptop in der Londoner Bar Rebato's oder bei der Heimfahrt im Taxi liegen ließ und den Verlust erst am nächsten Morgen bemerkte. Der Computer enthielt unter anderem die Namen von Spionen, die im Ausland tätig und deswegen potentiell in Gefahr geraten sind. Ob es Gegenagenten gelang, die elektronische Enkryption zu knacken ist ungewiss, eine Verbindung zu der Verhaftung eines MI6-Mannes in Russland, einige Tage später, ist in dem Zusammenhang nicht unwahrscheinlich.

Die Wurzeln des MI6, der die externe Sicherheit schützen soll und sich unter den beiden unterschwellig stets rivalisierenden Organisationen als ehrwürdiger Senior hervortut, reichen bis ins 16.Jahrhundert zu Elisabeth 1. zurück. Die Namen MI5 und MI6 sind im Jahr 1910 entstanden, als auf dem Höhepunkt einer deutschen Spion-Paranoia der Geheimdienst in zwei Sektionen aufgeteilt wurde. Vorbild für James Bonds Boss "M" war übrigens Mansfield Cumming, der erste Chef von MI6, dessen Codename allerdings "C" war. Über "C" wird erzählt, dass er sich einen Spaß daraus machte Fremde zu schocken indem er, ohne mit der Wimper zu zucken, mit dem Taschenmesser in sein behostes Bein stach, welches, wie diese nicht wussten, aus Holz war. Neben der vielleicht bald sprichwörtlichen Schusseligkeit der MI6 Agenten gab es noch weitere Peinlichkeiten in der Historie der britischen Geheimdienste. So führte der Verrat der Agenten Kim Philby und Donald Maclean, die über Jahre hinweg für die Russen spionierten, zu einem Skandal, bei dem der MI6 ziemlich dumm aus der Wäsche schaute, vor allem als noch weitere Verrate hinzukamen. Im April erschienen unter www.cryptome.org streng geheime Daten, die detailliert den Versuch des MI-5, einen lybischen Agenten "umzudrehen" beschreiben. Mit gerichtlicher Verfügung versuchte die britische Regierung damals, Schadensbegrenzung zu betreiben und die Berichterstattung darüber zu unterbinden. Das Weitergeben der geheimen Daten wird dem ehemaligen Spion David Shayler zugeschrieben. Shayler veröffentlichte schon mehrmals Top-Secret-Informationen, die Fehlschläge bei Geheimdienstaktivitäten verrieten.

Der führende Sicherheitsexperte: "Wir verlassen uns zu sehr auf Computer und nicht genug auf die gute alte Kraft des menschlichen Geistes." (vgl.Elend aus Überfluss)

Dabei soll aber die technische Überwachung kräftig vorangetrieben werden. MI5 und MI6 wollen, dass Telekommunikationsunternehmen und ISPs die Details über sämtliche Telefonanrufe, E-Mails und Pageimpressions für sieben Jahre aufbewahren sollen. Zur Zeit müssen, was ebenfalls sehr umstritten ist, Internet Service Provider in Großbritannien ihre Log-Files über Jahre hinweg aufbewahren für den Fall, dass sie für ein Verbrechen oder die Rückverfolgung von Spam-Mail oder Rechnungsstreitigkeiten gebraucht werden.