Der moralische Widerstand gegen das Klonen - Hoffnung auf Unverantwortlichkeit?

Zur Diskussion um das Klonen von Menschen: Eine Erklärung für das Klonen und die moralischen Einwände von Jürgen Habermas gegen die vermeintlich neue Sklaverei.

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Bereits im letzten Jahr unterzeichnete eine Gruppe von Wissenschaftlern, darunter so illustre Namen wie Isaah Berlin, Francis Crick, Richard Dawkins, José Delgado, Johan Galtung, Williard V. Quine, Simone Veil oder Edward O. Wilson, nach dem Bekanntwerden des geglückten Klonens des Schafes "Dolly" - auch wenn weiterhin umstritten bleibt, ob Dolly wirklich so entstand, wie die schottischen Forscher behaupteten - eine Erklärung zur Verteidigung des Klonens und der Integrität wissenschaftlicher Forschung. Es handelte sich nicht um Geschäftemacher und Aufmerksamkeitssüchtige, auch nicht um Forscher, die direkt mit dem Klonen zu tun haben. Sie gaben bekannt, daß sie die "großen Fortschritte beim Klonen höherer Tiere" begrüßen und daß diese Technik auch zum Wohlergehen der Menschen beitragen könne, weswegen man die Freiheit und Integrität der Forschung auch nicht weiter behindern solle.

Klonen von Menschen - ein Angriff auf Freiheit, Menschenwürde und Demokratie?
James Hughes: Wider den Bio-Luddismus
Klonen, Aufmerksamkeit und Empörung - der Fall Seed

Die durch das Klonen entstehenden Probleme gingen auch nicht tiefer als die Fragen, "mit denen die Menschen durch Techniken wie Atomenergie, Gentechnik oder Computerverschlüsselung immer konfrontiert gewesen waren." Überdies gehören Menschen der Tierwelt an. Ihre Fähigkeiten unterscheiden sich graduell, aber nicht substantiell von denen anderer Tiere.. Ihre Gedanken und Gefühle basieren auf "elektrochemischen Gehirnprozessen und nicht auf einer immateriellen Seele, die so arbeitet, daß man sie mit keiner Methode erfassen kann." Alte religiöse Prinzipien, auch wenn sie anders eingekleidet wären, seien mithin ein schlechter Ratgeber und würden nur den wissenschaftlichen Fortschritt unterdrücken.

Das sind ungewohnte Töne. Die Unterzeichner berufen sich auf die Vernunft, die aber bei der emotional getriebenen Ablehnung des Klonens zu kurz gekommen wäre. Natürlich entstünden berechtige ethische Fragen, aber die Fortschritte in der Medizin, Biologie und Verhaltenswissenschaft hätten in diesem Jahrhundert nicht nur zu großen Fortschritten geführt, sondern auch gezeigt, daß die Menschen "im Allgemeinen dazu bereit waren, diese Fragen offen anzugehen und Antworten zu finden, die das allgemeine Wohlergehen vergrößern." Das ist in der Tat ein großes Vertrauen in die Vernunft, die man nicht unbedingt teilen muß, ohne gleich zu einem Irrationalisten und Luddisten zu werden. Freilich haben die überwiegend anglo-amerikanischen Wissenschaftler nicht die Last, die auf der deutschen Geschichte ruht und hierzulande die Menschen sensibler macht. Vermutlich hätten die Nazis, wenn sie denn dazu in der Lage gewesen wären, das Klonen auch eingesetzt, um die genetische Züchtung ihrer Herrenrasse zu perfektionieren. Heute aber ist wohl keine Diktatur zu sehen, die staatlicherseits Klonen einsetzen würde, auch wenn ethnische Konflikte immer wieder aufbrechen. Bei der Diskussion jetzt geht es um etwaige Bedürfnisse von Individuen, die eigenes Gewebe zur Transplantation oder wegen Unfruchtbarkeit Embryonen klonen wollen - und natürlich auch um ein mögliches Geschäft, das Richard Seed wittert und mit seinem Vorschlag machen will.

Die Klon-Gegner wissen, daß sie mit einfachen Erklärungen, warum man das Klonen verbieten sollte, nicht mehr auskommen, und jeder weiß, daß es mit der Ethik und der von Politikern für den Popularitätsgewinn inszenierten Empörung meist nicht weit her ist. Gesetze sind zum Brechen da, zumal wenn sie eine Technologie einschränken sollen, die große Gewinne verspricht und den Standort sowie Arbeitsplätze sichern könnte. Eine Berufung aufs Schicksal, Gottgegebene oder Natürliche trägt nur noch für unbelehrbare Verbissene, deren Zahl freilich zunehmen könnte. Die Beschwörung von unvorhersehbaren Risiken funktioniert nicht mehr recht wie bei der Gentechnologie, bei der nach den frühen apokalyptischen Warnungen bislang nichts sonderlich Beängstigendes eingetreten ist.

Kaum wurde hierzulande jemals offen darüber diskutiert, welche Vorteile und Zwecke das Klonen von Menschen eventuell haben könnte, während das Klonen von Lebewesen und Geweben schon gar nicht mehr in Frage steht. Es ist also nur noch ein kleiner Schritt, der zu überwinden ist - und der früher oder später gemacht wird. Und überhaupt haben wir uns an die permanente Anpassung ans Neue inzwischen gewöhnt und schwimmen in der Flut der über uns hereinbrechenden Innovationen mehr oder weniger geschickt mit. Aufregung braucht man ein bißchen, aber die verfällt mit der permanent strapazierten Aufmerksamkeit auch schnell wieder und sucht daher gleich nach Neuem und Spektakulärem, das wohlige Schauer des Entsetzens auslöst.

Zuflucht zum Schicksal?

Gleichwohl wollen Politiker, Journalisten und Intellektuelle gerne weiter ihre Rolle als Bedenkenträger spielen. Warum meinen eigentlich fast alle, sie müßten sich hinter der angeblich öffentlichen Meinung oder irgendeiner Sittlichkeit verschanzen? Ist der Widerstand gegen das Klonen von Menschen irgendwie mit dem Tabu des Inzests verwandt? Was müßte es eigentlich ein Kind kümmern, ob zwei Menschen mit ihren Genen und dem Cross-Over zu seiner genetischen Grundausstattung beigetragen haben oder nur einer? Auch die egoistische Sexualität oder irgendein anderer egoistischer Wunsch bringt die Zündung zustande, mit der dann eventuell, wenn man es zuläßt, ein Automatismus in Gang kommt, an dessen Anfang ein befruchtetes Ei und an dessen Ende ein selbst ungefragtes Kind steht. Was ist daran eigentlich so moralisch? Weil es immer so war - zumindest für die Überlebenden, die damit irgendwie zurechtkommen müssen?

Nehmen wir etwa Ulrich Greiner von der Zeit, der unter der Überschrift Zeugen statt Züchten in der Unterzeile - und immerhin auf der Titelseite - verspricht, uns zu sagen, "weshalb Menschen nicht Menschen klonen sollen." Im Artikel selbst kommt dann allerdings wenig. Immer mehr müßten wir uns entscheiden, weil eben bis in die "scheinbar natürlichsten Vorgänge hinein" der Mensch Kultur sei - und daß Kultur eben auch Technik ist, was er als Journalist doch aus eigener Erfahrung wissen müßte, bleibt aber beredt ungesagt. Aus unserer christlich-europäischen Kultur haben "wir" nach Greiner ein "Gespür Maß und Stil, für Sitte und Tradition", das aber bedroht sei durch den "schrankenlosen Egoismus", schon seit jeher ein Todfeind jeder Religion und (fast) jeder Moral. Irgendwie müsse man wieder "Maß und Verantwortung" finden und beherzigen, daß alles Machbare seinen Preis habe. Auch Klonen bringe nicht das ersehnte Glück - möglicherweise die Verweigerung aber auch nicht, ist man versucht, dem neuen Priester der Bescheidenheit entgegenzusetzen. Nach der Überschrift zu urteilen - aber das mag man doch nicht so gerne ausführen -, sollten wir uns aber eher dem Papst anschließen und alles der Natur überlassen, die wir dann aber doch schon seit Jahrtausenden verändert und gezüchtet haben. Sollen wir dann auch jede Planung, jede Empfängnisverhütung, jede Untersuchung des wachsenden Embryos, jede Abtreibung, jeden Kaiserschnitt und jeden Brutkasten ablehnen, weil das die Spontaneität stört und Verantwortung ins Spiel bringt? Bringt denn das Zeugen von Kindern das ersehnte Glück? Geht es vielleicht darum, ein letztes Stück Schicksal, Zufall oder Unverantwortlichkeit zu bewahren? Das hätte etwas Metaphysisches und auch Religiöses an sich, auch wenn es unter einem Schutzverlangen auftritt, eine Art Reservat für Kontingentes in uns einzurichten.

Vielleicht versteht man das paradoxe Verlangen nach Unverantwortlichkeit besser im Lichte eines am 16.01.1998 von einem amerikanischen Gericht gefällten Urteils. Insgesamt 42,9 Millionen Dollar muß die Gesundheitsorganisation Columbia/HCA bezahlen, weil sie gegen den Wunsch der Eltern ein Baby, das nach 22 Wochen auf die Welt kam, über ein Jahr lang künstlich am Leben gehalten hätten. Die Bezeichnung dafür: "ungerechtfertigte Geburt". Das Kind ist blind, hehirngeschädigt und nahezu völlig behindert. Die Anklage lautete, daß das Krankenhaus die Bitte der Eltern mißachtet hätten, das Neugeborene nicht mit künstlichen Mitteln wieder zu beleben. Columbia/HCA zeigte sich über das Urteil erstaunt, weil das Baby lebendig geboren wurde und überlebensfähig war, weswegen man die gesetzliche und moralische Pflicht gehabt habe, für es zu sorgen. Die Eltern schieben die Verantwortung an das Krankenhaus, das Krankenhaus verweist auf Gesetz und Moral, die verpflichten, das Leben des Kindes zu retten. Wo es Eingriffsmöglichkeiten oder die Vermeidung von Eingriffen gibt, müssen Entscheidungen getroffen werden, die in der Tat, wie Greiner sagt, natürliche Vorgänge unwiderruflich, egal ob durch eine aktive Handlung oder eine passive Duldung, der Kultur unterwerfen: keine Delegation an Natur oder Gott oder etwas anderes ist mehr möglich.

Jetzt hat sich auch noch der Philosoph Jürgen Habermas in die Mediendebatte eingeschaltet und in der Süddeutschen Zeitung vom 17./18. Januar 1998 über die "moralischen Grenzen des Fortschritts" räsonniert. Und wiederum steht die Zufälligkeit unserer Existenz im Zentrum der Argumentation, wobei flugs Freiheit ex negativo definiert wird, nämlich daß "keine Person über eine andere so verfügen und deren Handlungsmöglichkeiten so kontrollieren (darf), daß die abhängige Person eines Stücks ihrer Freiheit beraubt wird." In ihrer Persönlichkeitsbildung müssen nämlich Menschen eine Antwort auf die bislang als Schicksal oder als kontingenter Umstand verstandene Tatsache finden, daß wir das "Ergebnis eines zufallsbestimmten Prozesses" sind und uns schon "als eine bestimmte Person" vorfinden.

Freiheit basiert auf Zufälligkeit

Wir wollen jetzt keineswegs von der wirklichen Welt und der Einlösung der idealen Forderung sprechen, daß keine Person - wohl aber irgendein "zufallsbestimmter Prozeß" - eine andere eines "Stücks ihrer Freiheit" berauben dürfe, die gerade in der - möglicherweise unglücklich formulierten Überschrift des Habermasschen Artikels - "Sklavenherrschaft der Gene" liegt. Aber warum wird die genetische Zufälligkeit einer Person zur großen Freiheit und Autonomie erklärt? Nur weil keine andere Person dahintersteht, sondern nur die "Natur", die man schließlich als Rationalist nicht zur Verantwortung ziehen kann? Beim Klonen, ganz klar, hat jemand "über das genetische Programm eines anderen" entschieden. Deswegen könne sich ein Klon - wie ein Sklave, sagt Habermas - eines Teil seiner Verantwortung entziehen. Es geht also nicht eigentlich auch gar nicht um das Klonen, d.h. um die genetische Identität zweier Menschen. Die entsteht auch zufällig durch die Existenz von eineiigen Zwilingen. Es geht vielmehr um die Entscheidungskompetenz, die sich ein Menschen über einen anderen, den er klonen läßt, anmaßt.

Der Gedankengang hat zunächst etwas an sich. Menschen sind sich insofern gleich oder ebenbürtig, als jeder einen zufälligen Hintergrund besitzt, für den er nicht verantwortlich ist. Das macht die Autonomie eines jeden einzelnen aus, aus der gegenseitige Anerkennungsverhältnisse erwachsen, die unmöglich sind, wenn etwa über das Klonen eine Hierarchie zwischen "Produzent" und "Produkt" eingezogen wird. Aber so allgemein - und eigentlich vom Klonen abgelöst - dieses Argument formuliert wird, wäre es Einwand nicht nur gegen jede Art der Gen- und Reproduktionstechnologie, sondern auch etwa gegenüber dem Kinderkriegen, das auch auf Beschlüssen beruht und für das man nicht nur bei "ungerechtfertigten Geburten" verantwortlich gemacht werden könnte. Schließlich hat jeder der Beteiligten auch sein Erbgut zur Geburt gestiftet, selbst wenn es mit dem Partners gemischt wird. Zufälligkeit ist beim Klonen ja insofern nicht ausgeschlossen, weil nur das genetische Programm - aber wohl auch das nicht im einzelnen, solange sich nicht jedes Gen screenen und eventuell verbessern läßt - als Grundlage für eine künstliche ausgelöste Schwangerschaft wird. Das Genom legt keineswegs alles bereits fest, sonst müßten eineiige Zwillinge körperlich und als Person identisch sein. Den Kritikern liegt, zu fest verbohrt in Frankensteinphantasien, ein allzu reduktionistisches Verständnis des Genoms als Bauplan zugrunde. Zudem sei der genetische Code eines Geklonten "unwiderruflich" über ihn verhängt, obgleich daran ja gerade die Gentechnologie arbeitet, manche der unerwünschten Festlegungen zu manipulieren, um etwa Krebs zu behandeln.

Auch ein Klon findet seine genetische Erbschaft vor und muß seine Antworten darauf finden. Gleichwohl meint Habermas, daß die genetischen "Gegebenheiten", also das genetische Schicksal oder die genetische Kontingenz, für einen Klon auf andere Personen "als das Ergebnis ihres absichtlichen Tuns" eher zurechenbar ist als bei normalen Zeugungen. Hat der "Täter" mitsamt seinen medizinischen Tatgehilfen aber nur das gesamte Genom eines Menschen geklont, kann er dann wirklich für alle Einzelheiten verantwortlich gemacht werden? Ist er "mehr" verantwortlich als einer, der wissentlich ein Kind zeugt oder die Zeugung nicht verhindert, auch wenn dabei nur die Hälfte seines Genoms zum Zuge kommt? Spielt die Quantität eine Rolle? Ist es zufälliger, wenn ein Genom kloniert wird oder ein Cross-Over der Gene von Frau und Mann zustandekommt? Ist der Klon, nur weil ein ganzes Genom eines Einzelnen verwendet wurde, dann auch eher als Sklave zu verstehen? Will uns das Habermas sagen? Oder hätte er es nur unverdientermaßen besser als jeder herkömmlich Gezeugte, weil er sich eher entschuldigen könnte? Paßt dem Philosophen das nicht? Oder ist der Klon kein "richtiger" Mensch mehr - so wie wir archaisch Gezeugten -, weil ihm ein weiteres Stück Zufall abgenommen wurde? Meint der Philosoph deswegen, daß wir uns fragen sollten, welchen Blick ein Geklonter auf sich selbst richten würde - und "ob wir ihm dies zumuten dürfen." Wir, die "natürlich" durch Kontingenz Gezeugten.

Sicher, ein geklontes Kind kommt als geplantes Produkt mit vielleicht vielen Anläufen zustande. Aber das wäre bei einer In-Vitro-Fertilisation auch nicht anders. Man könnte ja auch fragen, wieviele Transplantationen eigenen oder fremden Gewebes oder technische Plug-Ins einen Menschen noch die Person sein lassen, die er genetisch gewesen ist, oder ob es eine moralische Verpflichtung gibt, der genetisch zu bleiben, der man von der Zeugung an gewesen ist. Wo hört die im Namen von vorgeblicher Autonomie und Freiheit zu akzeptierende Kontingenz auf, vor allem dann, wenn die Zufälligkeit keine "echte" mehr ist, sondern nur noch eine geduldete oder zugelassene?

Habermas fragt - und glaubt vermutlich daran -, ob moralische Gründe, "wenn sie öffentlich überzeugen, nicht auch ihre empirische Wirkung haben" können? Möglicherweise schon, aber die Gründe, die hier scheinbar rationalistisch und im Namen der Freiheit vorgeführt werden, überzeugen ebenso wenig wie jene Argumentationen, die irgendeine nicht zu überschreitende Grenze unterstellen. Und auch wenn man den gesamten Bereich der Biotechnologien oder überhaupt der Technologien moralisch und gesetzlich regelt, um zu sanktionieren, was man tun und lassen darf, käme man gerade nicht zur ersehnten Zufälligkeit und Unverantwortlichkeit. Nein, Bedenkenträger, Luddisten und Fahnenschwinger des Alten, der Zufall, sowieso nur eine Maske für Gottes nicht nachvollziehbare Entschlüsse, ist kein Ausweg, um sich vor der (Eigen)Verantwortung zu drücken oder die Schmach zu verherrlichen, zufällig auf dieser komplexen, wenig steuerbaren Welt zu sein und trotzdem dauernd verantwortlich zu sein.