Klonen, Aufmerksamkeit und Empörung
Der Mediziner Seed ist ein Pionier der Aufmerksamkeitsökonomie.
Die Nachricht ging mit der üblichen Geschwindigkeit des vernetzten Zeitalters um die Welt: Der amerikanische Mediziner Richard Seed hatte in der Öffentlichkeit verkündet, daß er in den USA eine Klinik für das Klonen von Menschen aufbauen will. Personal und willige Paare habe er bereits und in einundeinhalb Jahren könnte das erste Klonen stattfinden. Das koste jetzt noch eine Million Dollar, aber dann werde es billiger, und er denke daran, die USA mit entsprechenden Klonzentren zu überziehen. Profit, so gab er dann auf einer Pressekonferenz kund, sei "ein erstrebenswertes Wort. Profit ist entscheidend. Jede Tätigkeit eines Menschen muß einen Profit erzielen." Freiwillig machen die Medien Werbung für sein Projekt - oder auch nur für den Profit der Informationsgesellschaft: die Akkumulation von Aufmerksamkeit.
In den USA ist zwar das Klonen von Menschen nicht verboten, aber Präsident Clinton hat die Unterstützung der Forschung mit öffentlichen Geldern gesperrt. Angestrebt wird ein Moratorium von fünf Jahren, um während dieser Zeit juristische und ethische Probleme zu klären. In Zeiten der Globalisierung und der gleichzeitigen Fragmentierung ist aber jedes Verbot, das sich nur auf ein Territorium bezieht, von vorneherein zum Scheitern verurteilt. Die Konkurrenz der Standorte macht, zusammen mit den Kommunikations- und Transportmöglichkeiten, ein Ausweichen jederzeit möglich. Seed drohte denn gleich auch damit, daß er, falls seine Klinik in den USA verboten werden sollte, dann eben beispielsweise nach Mexiko, auf die Cayman Inseln oder auf die Bahamas gehen werde.
Da Seeds das Klonen von Menschen wie bei Dolly vornehmen will - Entkernen einer Eizelle, Einfügen des Kerns einer anderen, ausdifferenzierten Zelle und dann Verschmelzung mittels einer elektrischen Ladung -, dies aber noch niemals an menschlichen Zellen ausprobiert wurde und es auch bei Dolly nicht so einfach ging - immerhin mußten die schottischen Wissenschaftler letztes Jahr mehr als 200 Eizellen klonen, von denen nur wenige in den Uterus eingepflanzt werden konnten und wiederum nur ein einziges sich erfolgreich entwickelt hatte -, ist der Optimismus von Seed wahrscheinlich sowieso weit überzogen. Der freilich argumentiert, daß er als erster in den 70er Jahren erfolgreich einen menschlichen Embryo in die Gebärmutter einer anderen Frau verpflanzt habe. Auch damals sei das für unmöglich und ethisch bedenklich erklärt worden, heute sind solche Verfahren der Reproduktionstechnologie hingegen bereits Alltag.
Auf jeden Fall wolle er jetzt erst einmal das nötige Geld für den Aufbau der Klinik und das erste Klonen sammeln. In Zukunft sieht er in dieser Technik das Geld nur so sprudeln, weil ein riesiger Bedarf vorhanden sei. 10 bis 15 Prozent unfruchtbarer Paare, bei denen die In-Vitro-Fertilisation oder der Einsatz von Ersatzmüttern nicht funktioniere, könnten durch Klonen Kinder erhalten. Gegenwärtig seien das in den USA bis zu 10000 Paare, in Zukunft rechnet er mit 200000 Paaren auf dem Markt, den er als erster bedienen will, wenn ihm niemand zuvorkommt. Schließlich hat bereits ein Sektenführer verkündet, er wolle für die Menschen eine solche Klinik irgendwo einrichten. Vielleicht können sich die beiden, der Mediziner und der Guru, jetzt zusammen tun.
Die Sekte Raelian hatte bereits letztes Jahr bekanntgegeben, daß sie eine Firma namens Clonaid Corporation zum Klonen von Menschen zu gründen beabsichtige. Eilends schob man jetzt eine Pressemitteilung nach, daß man die Bemühungen des amerikanischen Wissenschaftlers unterstützen wolle, der schließlich dieselben Ziele verfolge: "Das Wichtigste ist nicht, der erste zu sein, sondern daß es gemacht wird. Als wir Clonaid gegründet haben, kündigten wir an, daß wir, sofern wir es nicht selbst machen, andere Laboratorien unterstützen könnten. Wir haben eine Liste von Kunden, Investoren und Wissenschaftlern, die mit einem motivierten Team zusammen arbeiten würden." Das wird Seed angeboten, der ja auch gesagt habe, daß Klonen eine Möglichkeit sei, wie Menschen das ewige Leben erlangen und Gott gleich werden können. Das stünde ja schließlich auch in der Bibel (siehe Paul Treanor: Klont den Papst.
Aber Seed und das Thema des Klonen zeigen, wie heutzutage Nachrichten und Prominenz auch im Bereich der Wissenschaft gemacht werden. Dolly wurde von der Zeitschrift Science zum wissenschaftlichen Höhepunkt des letzten Jahres erklärt. Und auch damals schlug die Brandung der Neugier und der Empörung für kurze Zeit hoch, zwang die Politiker, um an der Spitze des Volksgeistes zu bleiben, schnell Verbotsankündigungen in die Welt zu setzen. Der schottische Dolly-Vater Wismut verkündete eilends, daß man das Klonen von Menschen gesetztlich untersagen solle, weil es unmoralisch sei. Und jetzt hat wieder die EU am schnellsten reagiert und fordert ein Verbot des Klonens.
Der 69jährige Seed aber wollte sich vielleicht einfach am Ende seiner Karriere noch einmal ein Denkmal setzen - und alle fallen darauf herein. Bislang hat er jedenfalls nichts bekannt gemacht, wie konkret sein Projekt bereits gediehen ist - angeblich um Geheimhaltung bemüht. Klonen ist ein typisches Mem. Schon letztes Jahr konnte man seine rapide Ausbreitung beobachten. Warum also nicht vor die Öffentlichkeit treten, die, ebenso wie die Medien als kollektive Aufmerksamkeitsorgane, stets Neues, Aufregendes, Anstößiges, Provozierendes oder Katastrophales hören wollen. Daß Seed Mediziner ist und einschlägige Erfahrungen in der Reproduktionstechnik besitzt, läßt sein Projekt etwas ernsthafter als das des Gurus aussehen. Die Aufmerksamkeit und die allseits gespielte Empörung zeigten, daß er erfolgreich war und den richtigen Auslöser gefunden hat.
Narzißtisch genug für die neue Aufmerksamkeitsökonomie scheint er jedenfalls zu sein. Auf einer Pressekonferenz bekannte er, daß er bereits mit sieben Jahren "brilliant und verrückt" gewesen sei: "Mir macht es nichts aus, verrückt genannt zu werden." Und als Schüler seiner High-School-Klasse sei er schon am unbeliebtesten gewesen: "Ich wußte zuviel über zu viele Dinge." Vielleicht weiß er ja auch, wie man im Aufmerksamkeitsmarkt für Reproduktion sorgt. Leider hat der nur den Nachteil, daß ständig Neues nachgeschoben werdeen muß, um die Prominenz für mehr als ein paar Tage zu halten und dann wieder in die Provinzialität zurückzusinken. Fruchtbar und ausreichend mit Nachkommen versorgt ist er jedenfalls nach drei Heiraten, sieben Kindern und sechs Enkeln. Schon Platon verkündete, daß nicht die sexuelle Reproduktion, sondern nur die im Geiste, also der ewige Ruhm und die andauernde Aufmerksamkeit, erst wirklich zufriedenstellend sei. Das Mem der eigenen Person muß sich in den Köpfen der Menschen festsetzen und sich ausbreiten und reproduzieren. Vielleicht also liegen die Menschen falsch, wenn sie sich nur körperlich identisch klonen lassen wollen?
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