Der spanische Prozess gegen den katalanischen "Procés"

Seite 2: Kritik an der EU und an Gerichten

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Er hatte den katalanischen Aktivisten Jordi Cuixart vor der Verlegung noch im Gefängnis besucht. Der Chefredakteur von Özgürüz, der selbst in seiner Heimat verfolgt wird, macht darauf aufmerksam, dass man mitten in Europa mehr als ein Jahr "ohne Anklage" in Untersuchungshaft sitzen kann, wie der Chef der Kulturorganisation Òmnium Cultural.

"Cuixarts Geschichte ließ mich auch an den Unternehmer und NGO-Pionier Osman Kavala denken, der seit über einem Jahr ohne Anklage in der Türkei in Haft sitzt, weil er angeblich die Gezi-Proteste initiiert hat", zieht Dündar einen Vergleich zur Türkei. "Leider schwieg die EU zu der Rechtsverletzung."

Was Europa zusammenhalten sollte, "ist der Vorrang des Gesetzes", deshalb könne es nicht sein, dass hier Menschen lange "ohne Anklage, ohne vor den Richter getreten zu sein, im Gefängnis sitzen", kritisiert er die EU. "Wie kann man zulassen, dass Putin und Erdogan auf diese Weise die Chance haben, zu sagen: 'Sehen Sie, Dinge wie bei uns kommen auch in Europa vor'?"

Interessant sind auch die Schlussfolgerungen Dündars aus dem Debakel, das Spanien und Europa in Katalonien zu verantworten hat. "Ich weiß nicht, ob Europa an einem Referendum über die katalanische Unabhängigkeit zerbrechen kann. Doch es wird zerbrechen, wenn es Rechte missachtet."

Proteste auf den Straßen in Barcelona. Foto: CDR

Und die werden in Spanien mit komplizenhafter Duldung aus der Gemeinschaft weiter mit Füßen getreten. Vielleicht sollte daran erinnert werden, dass Spanien immer wieder wegen Folter und Misshandlungen vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) verurteilt wird und nicht von einem Gerichtshof in Moskau oder Ankara.

Es sollte alle Demokraten aufhorchen lassen, wenn der EGMR in Straßburg feststellt, dass baskische Politiker keinen fairen Prozess in Spanien hatten und zu Unrecht sechseinhalb Jahre inhaftiert waren.

Und es ist zudem der Europarat der die Unabhängigkeit der spanischen Gerichte in Zweifel zieht und feststellt, dass Richter und Staatsanwälte gemäß "politischer Verbindungen" und nicht nach "juristischen Verdiensten und Qualifikationen" auf höchste Posten kämen. Dass Richter und Staatsanwälte immer wieder auch für eine unabhängige Justiz streiken, erinnert ebenfalls mehr an Zustände in der Türkei als an einen demokratischen Rechtsstaat.

Vor dem Prozesstermin werden alle Befürchtungen vom Obersten Gerichtshof bestätigt, dass die Katalanen wohl kaum in Madrid einen fairen Prozess erwarten haben. Warum schließt man sonst die internationalen Beobachter aus, die wie die Menschenrechtsorganisation Amnesty International den Prozess beobachten wollten?

Sie bekommen keine Plätze im Saal reserviert. Es wiederholt sich hier ebenfalls, was aus dem höchst absurden Prozess gegen baskische Jugendliche schon bekannt ist, die wegen einer Kneipenrangelei zu Terroristen abgestempelt werden sollen.

Auch in ihrem Fall wurde, wie hochrangige Juristen massiv kritisieren, die Verteidigung zum Teil ausgehebelt. So wurden sogar Videoaufnahmen, die das Gegenteil der Anschuldigungen zeigen, nicht zugelassen und auch zahlreiche Entlastungszeugen nicht. Zum Teil wurden sie erst auf massiven öffentlichen Druck zugelassen, hatten aber keinen Einfluss auf das Urteil. Im Fall der Katalanen wiederholt sich das Spiel. Während alle Zeugen der Anklage zugelassen werden, wurden zahlreiche Zeugen der Verteidigung abgelehnt.

So darf zum Beispiel der König, der laut Verfassung schließlich "unantastbar" ist, nicht vernommen werden, obwohl er mit seiner Brandrede die Lage erheblich zugespitzt hatte. Auch die Einsicht in Akten, die darüber aufklären, ob die spanische Regierung zum Beispiel darüber debattiert hat, den Ausnahmezustand über Katalonien zu verhängen, wird verweigert.

Fast alle internationalen Zeugen und Experten wurden abgelehnt, darunter auch Experten für das Selbstbestimmungsrecht, wie Sonderberichterstatter der UNO, Friedensnobelpreisträger wie Ahmed Galai oder der bekannt Linguist Noam Chomsky wie auch der Historiker Paul Preston.