Des Nazis liebste Zecken

Neonazis fehlt im Rechtsrock die Innovation - während sie Punks und HipHopper hassen, hören sie dennoch deren Sound

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Mitte der 1980er Jahre nahm der Rechtsrock in Deutschland seine Anfänge. Bands wie Endstufe und Kraft durch Froide produzierten erste Demotapes, die Ex-Punks Böhse Onkelz veröffentlichten mit „Der nette Mann“ ein Album, das bis heute – trotz der späteren Entwicklung der Band – als ein Kultalbum des deutschsprachigen Rechtsrocks gilt. Gut zwanzig Jahre später und knapp fünfzehn Jahre nach dem ersten großen Rechtsrock-Boom im Zuge der Welle von ausländerfeindlichen Übergriffen in Deutschland haben sich zwar einige innovative Szenegrößen entwickelt. Jedoch hören Neonazis auf der Suche nach neuen Soundtracks für ihre Volksempfänger zunehmend auch wieder „Zeckenkram“.

Im Jahre 2002 stimmten die Berliner ZSK ihr Album „Riot Radio“ mit der sarkastischen Antifahymne „Küsst die Faschisten“ an, eine musikalische Umsetzung eines Gedichtes von Kurt Tucholsky. Als die linken Politpunks Anfang dieses Jahres ihr drittes Album „Discontent Hearts And Gasoline“ veröffentlichten, schufen sie nicht nur mit „Wenn so viele schweigen“ und „24. August 1992“ – dem Datum der Pogrome in Rostock – zwei neue Antifasongs. ZSK starteten zugleich die multimediale Kampagne Kein Bock auf Nazis. Doch derlei Klartext scheint einige Rechtsextremisten kalt zu lassen.

So berichtete eine 19-jährige Berlinerin in einem Rechtsrock-Forum unlängst davon, wie sie mit Freundinnen am 26. Juni 2006 ein Konzert in der Stadthalle Zwickau von Bloodhound Gang und ZSK besuchte: „auf der bühne standen [ZSK] skaterpunkrock vom feinsten nur leider war ick die einzige in der halle die die texte kannte somit viel ick ma wieder ‚leicht’ auf.“ Mitte Mai schrieb ein Neonazi im Webforum des „Freien Widerstandes“ (FW): „Außerdem wollt ich noch sagen, dass das neue Album von ZSK absolut beschissen ist und überhaupt nicht mit ‚from protest to resistance’ mithalten kann.“ Besagtes Album war der zweite ZSK-Tonträger – und enthielt etwa mit dem Song „Kein Mensch ist illegal“ ein Statement gegen Abschiebehaft und gegen Abschiebungen von Asylsuchenden.

Rechtsrock alias „Rock against communism“ (RAC) hat zwar seine Wurzeln im Punkrock und der bei Skinheads beliebten Oi!-Musik, auch Streetpunk genannt. Jedoch gehörten für Rechtsrocker Punks und Linke immer zum Feindbild. „Punkerklatschen ist gesund“, sangen Kraftschlag 1992. Die Zillertaler Türkenjäger empfahlen 1997 gegen „Zecken“ – also Linke und Punks – würden nur „Tritte in die Schnauze“ helfen. Senfheads entmenschlichten Punks 1997 als „linke Parasiten“ und Leitwolf sangen 1998: „Hey, Du scheiß Zecke – Verrecke!“ In ihren Web-Foren nannten Neonazis Punks und Antifaschisten „mistgesocks“, „gesindel“, „Abschaum“ und „Anarcho-Schweine“. Ein Neonazi schrieb im Mai 2006 über Antifaschisten in ein Szene-Forum: „Wir haben in unserem Land genug Bäume für diese Idioten ...! Und wir müssen keine Patronen verschwenden!“

Mitte Juni schrieb ein Neonazi an anderer Stelle, er finde RAC „zur zeit total zum kotzen“. In einem Rechtsrockforum fand ein Poster zeitgleich, RAC klinge seit Jahren musikalisch gleich und sei wegen der stupiden, einfallslosen Texte langweilig geworden, weswegen er und viele „Kameraden“ derzeit „entweder unpolitischen OI oder Metal“ hörten, etwa Motörhead und Slayer. Ein Neonazi fand unlängst in einer Diskussion, die linken Politrocker Rage Against The Machine seien eine „super band“. Eingangs zitiertes, 19-jähriges Nazigirlie schrieb Ende Juni in ein Forum: „[...] rac [...] geht [mir] irgendwie urst auf den keks.... [...] höre eigentlich nur noch [...] ZSK, Wohlstandskinder, Hatebreed, [...] Anti-Flag [...] sind zwar einige afa [antifaschistische; mik] bands bei, aba bei den texten erkennt man teilweiße keen unterschied zwichen unseren weltanschauungen.“ Anti-Flag gelten als eine der wichtigsten linken Punkbands weltweit.

Linke Musik für rechte Demos, Rap für rechte Abgeordnete

Im FW-Forum diskutieren Szenevertreter seit geraumer Zeit, welche Musik man auf rechten Demonstrationen über den „Lauti“ spielen soll. Dazu stellte ein Neonazi fest: „Auf jeden Fall alternative Musik wie z.B. Ton Steine Scherben mit: Allein machen sie dich ein [...] Die Ärzte mit Deine Schuld [...] es gibt auch andere Lieder mit den man seinen Protest zeigen kann, nicht nur immer RAC.“ Gerade im Bereich der „Freien Kräfte“ oder „Autonomen Nationalisten“ ist es seit Jahren nicht nur hip, linke Symbole und Inhalte zu okkupieren und im „nationalen sozialen“ Sinn umzudeuten. Auch linke Musik wurde wiederholt bei rechten Aufmärschen gespielt.

Andere FW-User indes ging derlei zu weit, man solle es „nicht übertreiben“ mit den linken Bands. So gebe es etwa längst bekannte Kultbands der Szene wie Sleipnir und Oidoxie, die musikalisch und erst recht textlich einen Aufmarsch prägen könnten. Daher fragte sich denn auch ein Neonazi: „Wozu braucht man [...] Zecken??“ Die Antwort dazu lieferten eine Reihe anderer Autoren im FW-Forum, aber auch in anderen Foren: mit alternativer Musik könne man auch Jugendliche außerhalb der rechtsextremen Szene „ansprechen“ – was rekrutieren meint.

Unterdessen geht es in Szeneforen wieder um eine Frage, die zuletzt zum Jahreswechsel innerhalb der Szene zu kontroversen Diskussionen und Anfeindungen führte (vgl. Rap hart den Heil den Hitler-Hop). Einerseits zirkuliert derzeit die Frage, ob man auf Demos und privat auch deutschsprachigen Rap und HipHop wie Fler oder Bushido spielen und hören soll. Andererseits, ob die Szene nicht endlich auch „NS-Sprechgesang“ als „eigene“ Musik schaffen solle. „Vorteile wären das man die jugend besser erreichen könnte, da sehr viele junge Menschen Hip Hop hören“, schrieb etwa ein Neonazi in einem Musikforum der Braunszene. Doch ein anderer fand: „So ein Dreck wie kann man solche Negermukke nur geil finden?“

Letztgenannte Meinung könnte in mehrfacher Hinsicht indes bald die Meinung „Ewiggestriger“ sein. So verwies ein Neonazi im FW-Forum darauf, dass die „Volksgenossen in Österreich“ vorbildlich und „mit Humor“ mit dem Thema „Polit-Rap“ umgingen. Wichtig sei „der Inhalt und nicht die Verpackung!“ ergänzte der Autor und machte auf den FPÖ-Politiker Heinz-Christian "HC" Strache aufmerksam. Der wandelt laut dem rechtsnationalen Wochenblatt „Junge Freiheit“ derzeit „auf Falcos Spuren“. Grund: der FPÖ-Spitzenkandidat hat im Wahlkampf einen Rap-Song zum Download angeboten, in dem der 37-Jährige reimt:

Ich bin HC, ein Volksvertreter, vielleicht sogar Überzeugungstäter, hier traut sich keiner die Wahrheit zu sagen, darum tu`s ich [...] Ich weiß, das gefällt den Mächtigen nicht, dass ein Rebell die Dinge ausspricht. Am Liebsten sähen sie mich stumm mit Knebel. [...] Es geht um die Zukunft, um Österreichs Sache. [...] Ich lass´ mir den Mund nicht gern verbieten, auch wenn die Gutmenschen noch so wüten. Die Wahrheit kommt irgendwann ans Licht [...] Wir wollen unser Land nicht mehr verschenken, an Menschen, die unsre Kultur nicht schätzen, sich über unsre Gesetze wegsetzen! Wer sich nicht integrieren will, für den hab´ ich ein Reiseziel: Ab in die Heimat, guten Flug! [...] HC Strache kämpft dafür, dass wir Österreicher Herren im eigenen Haus bleiben.

Die Wiener Zeitung stellte dazu fest, es entbehre „nicht einer gewissen Ironie, dass Strache [...] restriktivere Abschiebemaßnahmen musikalisch ausgerechnet mit einem der afroamerikanischen Kultur entsprungenen Stilmittel – dem Rap – einfordert.“ Und eigentlich singt Strache über nichts anderes, als es die NPD-Liedermacherin Annett in ihrer von der NPD-Schulhof-CD bekannten, ausländerfeindlichen Ballade „Zeit, zu rebellieren“ macht (vgl. Argumente gegen NPD-CD). Doch für Jugendliche, aber auch für einen Teil der Rechtsrocker – der härtere Klänge mag – klingt Annetts Mischung aus Weinerlichkeit, Pathos und Zorn unfreiwillig komisch.

Gerade ältere Neonazis, die ihre Wurzeln im Punk haben, hören weiterhin Punk und ähnliches. Die unterdessen als kriminelle Vereinigung verbotene, ausländerfeindliche und antisemitische Band Landser coverte denn auch 1996 das textlich leicht veränderte Lied „Allein machen sie dich ein“ der linksradikalen Hausbesetzer-Ikone Ton Steine Scherben. Landsers Song „Schlagt sie [die Kommunisten] tot“ klang 1992 schon verdächtig nach dem Lied „Take ´em All“, das die Skinhead-Kultband Cock Sparrer Anfang der 1980er Jahre auf ihrem Kultalbum „Shock Troops“ veröffentlichte. Es gibt indes auch neue Songs von Punkbands, die Neonazis wegen ihrer „nationalrevolutionären“ Inhalte mögen – ganz ohne Textänderungen. Ein solches Lied ist der ZSK-Song „Keine Angst“ von dem 2004 veröffentlichten Album „From Protest To Resistance“. Eigentlich war es gedacht als Kritik an die „Polizeibrutalität“ gegen linke und antifaschistische Demonstrationen:

Ich hab keine Angst vor euch! Wenn ihr verhindern wollt, dass jetzt Menschen auf die Strasse gehen. Wenn ihr versucht uns unser Recht auf Protest zu nehmen. Vor euren Wasserwerfern, und euren Räumfahrzeugen. [...] Keine Angst vor euch! Wenn ihr im Gleichschritt auf uns zugeht [...] Schlagstockeinsatz und [...] Tränengas. Das sind nur Zeitgewinne, doch was ändert das jetzt noch? Morgen sind wir wieder da!

In Zeiten, in denen Neonazis fast wöchentlich Aufmärsche initiieren und dabei „Autonome Nationalisten“ ihrem linken Vorbild mittels Schwarzer Blöcke, direkter Aktionen sowie dem Durchbrechen von Polizeiketten nacheifern, tatsächlich ein Lied, dass der „Nationale Widerstand“ als „eigene“ Hymne okkupieren kann.