Design oder Nicht-Sein: Die lange Reise des VWs — vom Vergaser zum Versager

"Ha ha ha. Hinten ist er drin."

Teil 1: Die Geschichte der "Zitrone"

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Am Anfang — nun, vielleicht nicht total von allem Anfang, vom kompletten Anbeginn, an — aber doch irgendwann ziemlich am Anfang der Geschichte des Volkswagens in Amerika stand — das WORT. Das EINE Wort. Es lautete: "Lemon."

Damals, 1961, war es gar nicht mal ausgemacht, dass einer unter zehn der braven Bürgersleut, die zu jener Zeit die Illustrierten des Landes, "Life", "Saturday Evening Post", "Redbook" usw durchblätterten, mit diesem Slang-Wort irgendetwas anfangen konnte. Aber da stand es. Es war Teil einer Werbekampagne, die aus heutiger Sicht als "klassisch" gilt. Sie zählt sogar als der großartigste amerikanische Werbefeldzug des 20. Jahrhunderts schlechthin.

VW-Werbung, USA, 1961: "Lemon" - Ein früher Steve Jobs? Oder wie

Damals fragten die braven Töchter und Söhne und auch die braven Ehefrauen ihren Familievorstand noch: "Daddy, why is this car called a lemon?" Und die braven Pappis antworteten möglicherweise, "I don't know, Sugar. Maybe it's sour because it's a kraut car. A-ha-ha-ha."

Aus heutiger Sicht kann man das Wort ohne Kulturnachhilfe wieder nicht verstehen. "Lemon" hat seit damals andere Bedeutungen angenommen, es kann z.B. eine sexuell zugespitzte Erzählung sein, also gewissermaßen ein Porno für Mädchen im Teenie-Alter. Warum dann "Zitrone"? Weil der Saft rinnt, wenn man sie drückt. Tun Sie doch nicht so unschuldig, wir leben schließlich im Zeitalter des Massen-Pornos. Deswegen kann eine "Zitrone" heute auch eine Lesbe sein, aus vergleichbaren Gründen.

Erst an dritter Stelle erinnert man sich an die Bedeutung von "Schrottmobil", gemeint ist ein Auto, das nicht fährt. In der VW-Werbung sah man damals dieses merkwürdig altertümliche Auto mit der rätselhaften Unterschrift, "Mistkübel".

Es war der Einbruch der "Kunst" in den Bereich des puren Kommerzes, eine Werbung, die sich gerierte, als wäre sie ein Gemälde von Renee Magritte. "Ceci n'est pas une pomme" hieß es bei ihm oder "… une pipe", wie man es in Hunderten von Variationen bei Google nachsehen kann.

Hier stand nun statt dem Satz "Das hier ist kein Auto", der Satz, "Bei diesem Auto haben wir alles falsch gemacht." Kurz: "Lemon". Und der höfliche amerikanische Mittelstandsbürger, der sehr bald dieses Seifenkisterl kaufen wollen würde, sagte betulich, "Ooch, aber soooo schlimm isses doch gar nicht."

Tatsächlich blieb dem Amerikaner aber verborgen, dass er eine amerika-taugliche Luxus-Export-Version des VWs betrachtete, die der deutsche Durchschnittsbürger in Westdeutschland nie zu Gesicht bekommen würde, von der DDR sowieso ganz zu schweigen. Ich verweise einmal kurz auf drei Unterschiede: (a) die Weißwandreifen, (b) die Blinker auf den Kotflügeln und (c) den wunderschönen Gartenzaun, vulgo Stoßstange, der das Autochen vorne und hinten umrankte.

Der Amerikaner sah hier zudem auch eine moderne deutsche Werbegrafik, dominiert von einem damals modernen Schriftsatz, der im Begriff stand, den gesamten Globus zu erobern. Man nannte diese Type Helvetica, es war ein sans-serif Font, der in Amerika Hunderte von lustigen Grafik-Kreationen ablöste, und beispielsweise auch in Telepolis bis heute das Schrifbild dominiert. (BTW, ohne nennenswerte Lese-Erleichterungen — versuchen Sie einmal, in einem Helvetica-Text zu unterscheiden, ob es da "illi" oder "lili" heißt, aber, wie gesagt, es ist eine Grafiker-Kreation. Und Grafiker lesen bekanntlich nicht. Aber sie sind die treuesten Diener ihrer Herren — in der Werbung.)

Introducing Mr Kurt Kroner

Und: ganz wichtig. Die Werbung machte den Amerikanischen Käufer mit einem deutschen Werksarbeiter bekannt, der Tag für Tag, womöglich noch mit einer gemütlichen Pfeife zwischen den Zähnen, jeden einzelnen VW, der vom Band lief, auf Herz und Nieren prüfte. Der Mann hieß Kurt Kroner.

Für den Fall, dass wir geglaubt hätten, (wir, die amerikanischen Autokäufer) es handle sich hier um eine winzige Autofabrik am Nordpol, wo Santa's Helferlein unverdrossen ein solches Spielzeugauto nach dem anderen zusammenschraubten, ließ die Werbung uns wissen, dass Kurt Kroner nur einer von 3,389 Werksinspektoren sei, deren einziger Job es wäre, jeden Schritt bei der Produktion der täglich 3000 Autos in der Fabrik in Wolfsburg zu überwachen. Klammer auf: Ja, ganz recht, es gibt mehr Inspektoren bei uns, als wir Autos bauen — erläutert der Werbetext und scheint dabei dem jugendlichen Leser begütigend auf die Schulter zu klopfen. Das hast du völlig richtig erkannt, mein Junge. Klammer zu.

Dann wandte der Werbetext sich ernsthaft an den Pater familias.

Jeder Stoßdämpfer wird eigens getestet (Stichproben sind für uns einfach nicht gut genug). jede Windschutzscheibe wird minutiös untersucht. VWs sind bei der Kontrolle schon durchgeflogen wegen Oberflächenkratzern, die für das bloße Auge kaum sichtbar waren.

Aber bei der Endkontrolle — da geht es erst wirklich rund! Die VW-Inspektoren führen jedes Auto von der Montagestrecke direkt auf den Funktionsprüfstand, untersuchen insgesamt 189 Kontrollpunkte, und dann geht's auf den automatischen Bremsstand. Für einen VW unter jeweils fünfzig heißt es dann: "Sorry. Prüfung nicht bestanden.

Das Wort "Funktionsprüfstand" fand sich sogar regelrecht auf Deutsch ein, mit wie per Hand eingesetzten Umlaut-Pünktchen auf dem "ü" — als hätte man eben mal bei Wernher von Braun persönlich nachgefragt, ob dieses Auto auch bei einer Mondlandung was taugen könnte. Erst 10 Jahre später lernte das amerikanische Publikum seinen nächsten deutschsprachigen Begriff kennen: "Vorsprung durch Technik" — den Werbe-Slogan der Autofirma Audi.

Den Herrn Kroner traf man in späteren VW-Werbungen nicht mehr an — aber die Idee taugte den Leuten des Merkhefts vom Zweitausendeins-Verlag, die dort regelmäßig ihre "Frau Susemihl" die Bestellungen sortieren ließen.

Design bestimmt das Da-Sein

Nun gibt es hier noch ein paar Punkte anzumerken. Das Design und auch der Text dieser VW-Werbung war zwar komplett neuartig in Amerika, auch, dass sie in S/W gehalten war, war irgendwie wieder neu, jetzt wo alles bunt zu sein hatte, obwohl man sich denken konnte, dass dieses besondere "Schwarz" des Käfers eigentlich ein "Rot" sein musste. Ein richtig "schwarzer" Käfer hätte auf dem Foto wie der Gast auf einem Begräbnis gewirkt. Aber dieses ganze Layout war natürlich in Deutschland längst ein "alter Hut", weil es die Grafik-Handschrift der Zeitschrift "twen" war. Das im Englischen unbekannte Phantasie-Wort "twen" sollte signalisieren, dass man sich an Leser "so etwa ab 20" richtete. Man dachte dabei vielleicht an junge Grafiker und Werkschüler des Jahrgangs 1940, Leute im Alter der Beatles.

Aber die Macher waren Leute, die sich sowas wie "twen" vielleicht schon 1950 gewünscht hätten. Das Blatt wirkte also immer etwas altgvatterisch — oder sonstwie etepetete (verwöhnt, zimperlich, übertrieben fein). Es war ein Magazin zum Durchblättern, nicht eigentlich zum Lesen: Eine Grafiker-Postille.

In Amerika pickte ein Mann namens Jan Wenner ein paar Jahre später (1967) die Idee von "twen" auf und machte eine Zeitschrift daraus, bei der die Leser jede Zeile — auch wirklich lasen. Studierten, begehrlich aufsaugten. Wenners Magazin hieß "Rolling Stone". Seine Leser waren die amerikanischen "twenty-somethings", ein Lesepublikum, das "twen" in Deutschland nie wirklich erreicht hatte. Auch die sehr exklusive "twen"-Schallplatten-Edition kam erst mit ihrer allerletzten Scheibe irgendwann mal in Kontakt mit dem Erdboden. (1971, Rolling Stones, "Sticky Fingers".)

Ob Wenner jemals wirklich ein Heft von "twen" gesehen hat, sei dahingestellt. Aber er kannte die VW-Werbung, die circa 1967 auch mal — erstmals — in Farbe erschien, in knalligem Kodachrome. Doch damals, am Anfang, hatte VW zunächst noch seinen ersten richtigen Knaller anzubieten.

Es war ja nicht so, als ob dieser Volkswagen soeben erst von einem überdimensionalen Storch abgesetzt worden wäre. Da gab es den langen Vorlauf, die Wiese von Wolfsburg,1938 Adolf Hitler, und dazu Ferdinand Porsche, den Ingenieur, der das Modell seines "Kraft durch Freude"-Automobils beim "Führer" vorstellte. "Ja und sehen Sie, mein Herr Führer," so (können wir uns vorstellen) befleißigte sich Porsche, "und hier ist der Motor." Er macht die Klappe auf vorne, und — es ist kein Motor drin. — "Ja, was ist denn da passiert? Schweinerei! Der Motor fehlt!"— Der Führer, der nicht sonderlich viel von der Materie versteht, steht kurz vor dem Ausraster. Man wagt es, ihm, dem Großen Vergaser, ein defektes Modell seines Wunsch-Automobils für das deutsche Volk zu päsentieren? "Aber nein, mein Herr Führer, schauen Sie, da ist er ja, der Motor. Er ist im Heck. Es ist ein Auto mit Heckantrieb. Direkt auf die Räder hinten geht der Antrieb, dort, wo er hingehört. Ideal, etwas ganz Neues!" — Ja, und der Führer freut sich wie ein Kind, was für ein gelungener Scherz, der Motor ist hinten drin, vor lauter Freude muss er fast schon die Backen am eigenen Hintern zusammen kneifen, da hinten ist der Motor drin. Und es gibt ein Foto davon.

What the Heck? Beetlemania in the USA

Mehr als zwei Jahrzehnte sind seitdem vergangen, es hat den zweiten Weltkrieg gegeben, es hat Porsches französische Kriegsgefangenschaft gegeben, es hat den Renault 4CV gegeben, der wie ein modernisierter Käfer aussieht, mit vier Türen, sogenannten Selbstmörder-Türen, insgesamt 4,5 Millionen Mal gebaut, und es hat den Citroen 2CV gegeben, eine Kopie des Käfers, die in Frankreich 2,5 Millionen Stück verkaufte. Es hat in England den Morris Minor gegeben, der wie eine Porsche-freie 4CV-Adaption aussah, ohne Heckmotor, der aber der erfolgreichste britische Wagen seiner Zeit war, mit 1,6 Millionen gebauten Fahrzeugen. Warum wurde keiner dieser Wagen ein Erfolg in Amerika?

Die Beetles, erfolgreiche Autos aus Europa, aber nur einer schaffte es in Amerika.

BEI DEN ANDEREN fehlte der Gimmick, der spezielle Trick, das Ei des Columbus. Die erste VW-Werbung war da schon sehr genial - und auch subtil. Dieses Auto in der Dreiviertel-Totalen, das aussah, auf dem Foto, wie die Pyramide von Tenochtitlan, oben abgeflacht, überstrahlt von einem gleichmäßig grauen Summton, wie aus einem Moog-Synthesizer, schien eine besondere Offenbarung zu offerieren, für die man in Amerika ohnehin immer ein offenes Ohr hatte.

"Lemon."

Es war ein kompletter Blödsinn, aber er löste sich auf. Es gab eine Erklärung dafür: "Wir picken die Zitronen heraus," lautete der letzte Satz, "damit Sie die Pflaumen bekommen können." Plums auf Englisch, Wohlgeschmack, Saftigkeit, Süße, positive Assoziationen. Und jetzt kam die dritte Werbeschaltung, das Bild von diesem Heckmotor.

Ha ha ha, der Trick hatte schon beim "Führer" funktioniert, jetzt versuchte man ihn auch beim amerikanischen Käufer. Ein winziger kleiner Boxermotor verbirgt sich hinter der Heckklappe, mit gerade einmal vier Schrauben ist er dort befestigt, im Handumdrehen kann er dort auch wieder herausmontiert werden.

Der VW hieß Volkswagen, weil es nur dieses eine Auto gab, den Volkswagen. Aber in Amerika musste man lernen, zu unterscheiden. Es gab die Firma VW, und es gab die drei Modelle, den Käfer, den Karman Ghia und den Bulli. The Beetle hatte vorher noch nicht so geheißen, aber jetzt hieß er so. Auf der ganzen Welt hieß der Volkswagen jetzt der Käfer.

Drei Jahre später kamen vier Burschen aus Liverpool und nannten sich "The Beatles", da mussten die Kids ja ausrasten. Denn das Auto ward Mensch geworden. Und genau wie der Käfer diese runde Form hatte, den gekrümmten Buckel, so hatten nun auch die Liverpoodles diesen Mop-Top, diese abgerundete Einheitsfrisur.

Die kam natürlich auch wieder aus Deutschland, auf Umwegen, aber doch. Aus Hamburg. Astrid Kirchherr, die Freundin der Gruppe, hatte ihnen die deutsche Architekten oder Intellektuellen-Frisur verpasst. Enzensberger, Brecht. Die kämmten die Haare nach vorne und schnitten sich die Fransen ab wie Cäsar. Und der kleine Oliver Grimm, der beliebteste Kinderstar der Fünfzigerjahre, Liebling aller Muttis, trug die Beatles-Frisur perfekt als Erster zur Schau.

Die Beatle-Frisur imitiert den Beetle, der Pompadour macht den Greis zur Bestie. Foto Donald Trump: Gage Skidmore. Lizenz: CC BY-SA 2.0

Der Trick dabei war ja der: die auf der niedrigen Stirn hoch aufgetürmte Elvis- oder Pompadour-Frisur signalisierte den intellektuellen Versager, den reinen Triebmenschen, den Schrecken aller Muttis. Bei den Beatles-Frisuren war die Blödheit der vier Burschen erfolgreich kaschiert, das Design bestimmte ihr Da-Sein. Die äußere Form rangierte vor der inneren Substanz, bzw suggerierte Substanz, wo möglicherweise gar keine vorhanden war.

Der amerikanische Präsident Ronald Reagan bewies einem Interviewer, dass es bei ihm umgekehrt funktionierte. Die glatt nach vorn gekämmten Haare ließen Reagan aussehen wie einen traurigen alten Mann. Kämmte er seine (angeblich ungefärbte) Haarpracht zu einem Pompadour hoch, hatte man den strahlenden Sieger. Auch der gegenwärtige Amtsinhaber, Trump, wäre ohne sein markantes Haar-Design nur ein gewöhnlicher alter Mann.

Fortsetzung folgt

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